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Philippinen: Katastrophenkapitalismus

Selbst ein Jahr nach dem Taifun »Haiyan« kommt der Wiederaufbau nur schleppend voran. Manila nutzt die Katastrophe zur Militarisierung

Von Rainer Werning *

Am 8. November 2013 war einer der heftigsten der bis dahin jemals registrierten tropischen Wirbelstürme »Haiyan« (lokal als »Yolanda« bekannt) über die zentrale Inselgruppe der Visayas hinweggefegt. Mit Böen von bis zu 370 Stundenkilometern und fünf Meter hohen Flutwellen hinterließ der Taifun eine breite Schneise der Verwüstung. Am schwersten betroffen waren die Inseln Samar und Leyte mit der Haupt- und Küstenstadt Tacloban.

Bis Herbst 2014 sind laut Angaben der Regierung in Manila über 6.340 Todesopfer zu beklagen. Vier Millionen Menschen wurden obdachlos und aus ihrem Umfeld gerissen. Sie leben unter meist miserablen Bedingungen in Notunterkünften. Ende Oktober erklärte Dr. Julie Hall, die Philippinen-Residentin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), gegenüber der Presse in Manila: »Etwa 800.000 Menschen leiden unter großen psychischen Problemen. Ein Zehntel von ihnen ist depressiv und bedürfte unbedingt dringender Hilfe und intensiver medizinischer Fürsorge. Doch es gibt nur 70 gut ausgebildete Fachkräfte und zirka 300 halbwegs geschulte Gemeindearbeiter, die sich um die Betroffenen kümmern können«. Insgesamt sind laut Europäischer Kommission bis zu 16 Millionen Menschen, etwa ein Sechstel der 100 Millionen Einwohner des Inselstaates, auf unterschiedliche Weise durch »Haiyan« in Mitleidenschaft gezogen werden. Freund und Helfer USA?

Während staatliche Unterstützungsmaßnahmen nur schleppend erfolgten, eilten die USA überraschend schnell zu Hilfe. Doch ihr Einsatz diente vorrangig dem Zweck, die bilaterale militärische Zusammenarbeit neu zu gestalten. Im Rahmen der auf die Regionen Asien und Pazifik fokussierten Militärstrategie (»Pivot to Asia«) von US-Präsident Barack Obama, die seit 2011 verfolgt wird, ist vorgesehen, die Philippinen wieder dauerhaft als Ankerplatz und Operationsbasis zu nutzen. Anlässlich des Besuchs einer Delegation hochrangiger US-Kongressabgeordneter in Manila erklärte der philippinische Außenminister Albert del Rosario auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 25. November 2013, die Präsenz der US-Navy im von »Haiyan« betroffenen Gebiet habe gezeigt, dass »ein Rahmenabkommen, welches den USA eine verstärkte Rotationspräsenz erlaubt«, notwendig sei. Tatsächlich kam es dann anlässlich von Obamas Staatsvisite in Manila Ende April dieses Jahres zur Unterzeichnung des »Abkommens über eine erweiterte Verteidigungskooperation« (AEDC).

Im fernen Manila erklärten derweil Regierungssprecher, Polizei- und Armee-Einheiten seien »zum Schutz vor Plünderern« aufgeboten worden. Regionalkommandeure der Philippinischen Streitkräfte (AFP) lancierten die bewusste Falschmeldung, Guerilleros der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), hätten Rettungskonvois am Transport dringend benötigter Hilfsgüter gehindert.

Politpossen

»Haiyan« machte zahlreiche Städte und Orte auf mehreren Inseln dem Erdboden gleich – aber Leytes Metropole Tacloban mit ihren etwa 250.000 Einwohnern wurde vor einem Jahr über Nacht zum Inbegriff der Katastrophe. Nicht allein die Größe, sondern auch und gerade die politische Besonderheit war dafür ausschlaggebend.

Seit Ende der 1940er Jahre ist Tacloban City die politische Hochburg der Romualdezes, deren berühmteste Tochter die einstige Schönheitskönigin der Stadt und späteree Frau bzw. Witwe des Diktators Ferdinand E. Marcos, Imelda Romualdez Marcos, ist. Taclobans Bürgermeister ist Alfred Romualdez, ein Neffe der noch immer umtriebigen Imelda, die heute ihrerseits als Kongressabgeordnete des zweiten Distrikts von Ilocos Norte fungiert, der Heimatprovinz ihres im Hawaiier Exil verstorbenen Gatten. Alfreds Ehefrau sitzt im Stadtrat von Tacloban, während ein anderer Familienspross, Ferdinand Martin Romualdez, gegenwärtig Kongressabgeordneter des ersten Distrikts auf Leyte ist. Präsident Benigno Aquino III. hingegen ist der Sohn des einst gewichtigsten politischen Widersachers von Marcos, Benigno »Ninoy« Aquino II. Dieser war 1983 nach seiner Rückkehr aus US-amerikanischem Exil auf dem Flughafen von Manila erschossen worden.

Vorwahlkampf

Schon die Hilfsmaßnahmen für die Taifunopfer gingen in Korruption und einer politischen Schlammschlacht unter. Aber es sollte noch dicker kommen. Am 6. Dezember 2013 kürte Präsident Aquino den 66jährigen Panfilo Lacson qua Präsidialorder zu seinem Chefmanager für den Wiederaufbau der durch »Haiyan« zerstörten Regionen (siehe Spalte). Von 1999 bis 2001 war Lacson Generaldirektor der Philippinischen Nationalpolizei, und seitdem saß er bis Ende Juni 2013 im Senat. Die Medien des Landes bezeichnen Lacson aufgrund seines neuen Aufgabenbereichs kurz als »Zaren des Wiederaufbaus«. Als Hauptmanager der Katastrophenhilfe kann er darüber entscheiden, welche Mittel in welcher Höhe für welche Zwecke verwandt werden. Ein idealer Nährboden für Korruption, die seit Juli 2013 die Schlagzeilen der Medien im Lande dominiert.

Nicht einmal ein Monat verging, bis sich erste Kritiker zu Wort meldeten. Architekten aus dem In- und Ausland bemängelten die minderwertige Qualität der überteuerten Notunterkünfte. Durchschnittlich sind 8,64 Quadratmeter für eine Einheit vorgesehen, wo mindestens fünf Personen »leben« sollen. Viele Menschen sind außerdem erbost darüber, dass innerhalb von vierzig Metern von den Küstenufern entfernt ein genereller Baustopp gilt. Mitglieder von Pamalakaya, eines Zusammenschlusses sozialpolitisch engagierter Fischer, haben wiederholt gegen diese Verbotspolitik demonstriert. In den vom Taifun zerstörten Gebieten will die Regierung mit Hilfe eines gerade erst vom Präsidenten unterzeichneten 8.000seitigen Wiederaufbauplans die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen vorantreiben. Beschönigend spricht man von »Building Back Better« – alles soll schöner als zuvor herausgeputzt werden. Dort sollen Finanz-, Bank- und Investmentgeschäfte ebenso betrieben werden wie agroindustrielle Unternehmen, Touristenressorts und »Shopping Malls«. Was im philippinischen Big Business Rang und Namen hat, hockt bereits in den Startlöchern und wird früher oder später Hauptnutznießer der Sturmkatastrophe.

Wut und Widerstand

Seit Ende Januar 2014 kommt es in und um Tacloban City immer wieder zu Demonstrationen gegen die staatlichen Behörden. Gefordert werden ausreichende Nahrungsmittel, menschenwürdige Unterkünfte und medizinische Versorgung. Allein im Frühjahr 2014 gingen mehrfach Zehntausende wutentbrannter Menschen aus Leyte und Samar in Tacloban auf die Straße, um lautstark ihren Unmut hinauszuschreien. Es waren durch die Katastrophe politisierte Einwohner, die sich Kundgebungen der Bewegung namens »People Surge« (»Aufbegehren des Volkes«) anschlossen. Deren Sprecherin, die Benediktinerin Edita Eslopor, begründete die ungewohnten Protestzüge mit bitteren Worten: »Diese massiven Umzüge unterstreichen die tiefe Unzufriedenheit der Menschen über die kriminelle Vernachlässigung und das klägliche Unvermögen von Mister Aquino, sich angemessen um das Wohl der Bevölkerung zu kümmern.« »People Surge« plant nunmehr, sich landesweit zu verankern.

[Eine ausführlichere Fassung des Artikels findet sich auf der Internetseite der Stiftung Asienhaus: www.asienhaus.de]

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. November 2014


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