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Ein Dorf gegen Chevron

Im ostpolnischen Zurawlów legen sich die Bewohner mit dem nach Schiefergas suchenden Ölmulti an. Gefahren für Trinkwasser und Landwirtschaft befürchtet

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Der konservative Südosten Polens, in dem die polnische Rechtspartei Recht und Gerechtigkeit eines ihrer größten Wählerreservoirs vorfindet, gilt gemeinhin nicht gerade als eine Brutstätte umstürzlerischer Umtriebe. Folglich sorgen die beharrlichen Proteste von Einwohnern des ostpolnischen Dorfes Zurawlów, die sich gegen den Energieriesen Chevron richten, inzwischen für Aufsehen. Seit Anfang Juni blockieren die Demonstranten die Zufahrt zu einem Gelände, auf dem der Konzern mit der Fracking- Methode Schiefergas fördern will. Bei dieser Technik werden mit hochgiftigen, krebserregenden Chemikalien versetzte Flüssigkeiten in tiefliegende Gesteinsschichten gepreßt, um das darin enthaltene Gas heraus zu drücken.

Anfang Juni haben Dutzende Protestierende das Firmengelände besetzt, um auf die drohende Verseuchung des Grundwassers in der Region aufmerksam zu machen. Diese Risiko ist beim Fracking immer gegeben, da der zur Schiefergasförderung eingesetzte Chemiecocktail durch die Grundwasser führenden Schichten gepumpt werden muß. Man kämpfe nicht um die eigenen, unmittelbaren Interessen, berichtet eine Dorfbewohnerin gegenüber der Regionalzeitung Dziennik Wschodni. Es gehe den Demonstranten um die Interessen ihrer Kinder und Enkel: »Denn es ist ungewiß, was die Folgen in 20 oder 50 Jahren sind.« Insbesondere die Bauern sind besorgt, daß die Schiefergasförderung die Region für die Landwirtschaft dauerhaft unbrauchbar machen könnte. »Wir wollen die hier nicht, sie sollen verschwinden, wir leben doch in einem demokratischen Land«, empörte sich ein weiterer Demonstrant.

Die Behörden reagierten auf die Proteste mit massenhaften Vorladungen zur Polizeidirektion in der Nachbarstadt Zamosc, wie das Nachrichtenportal Infoseite-Polen berichtete. Zudem verhalte sich das Sicherheitspersonal Chevrons äußerst provokativ, indem es etwa die Gegner permanent filme. Diese Einschüchterungsversuche hätten aber nur zur Verhärtung der Fronten beigetragen. Inzwischen haben die Demonstranten ihren Protest vor das Firmengelände verlagert und die Zufahrtsstraßen blockiert. Rund drei Dutzend Demonstranten halten permanent die Stellung vor dem Chevron-Gelände. Doch könnten diese über »Alarmsirenen sofort Verstärkung organisieren«, berichtete das Internetportal Gazeta.pl. Es gebe innerhalb der lokalen Bevölkerung, insbesondere unter den Bauern, eine »gewaltige Entschlossenheit, Kampfkraft und Solidarität«. Ein Zeltlager inklusive Feldküche sei bereits entstanden. »Wir kochen für alle gemeinsam «, erklärte ein Dorfbewohner.

Auswärtige Umweltaktivisten haben sich den Blockierern von Zurawlów angeschlossen und knüpfen unter dem Motto »Occupy Chevron« an die jüngsten globalen Protestwellen anzuknüpfen versuchen. Das Protestcamp erfahre einen beständigen Zustrom neuer Teilnehmer, berichteten die Organisatoren unter der Woche. Inzwischen seien auch ausländische Demonstranten aus Tschechien, den USA, Litauen und Deutschland angereist. In Warschau kam es zu Solidaritätsaktionen. Die Demonstranten werden wohl einen langen Atem mitbringen müssen, da Polens rechtsliberaler Regierungschef Donald Tusk weiterhin entschlossen ist, die Förderung von Schiefergas allen Widerständen zum Trotz zu forcieren. Wenn ein Investor in Polen Milliarden in die Schiefergasförderung investieren wolle, dann müsse ihm ein wirtschaftliches »Sicherheitsgefühl« vermittelt werden, dozierte Tusk ende Mai in bezug auf entsprechende Umweltrichtlinien in Polen. Die sind dem Premier anscheinend zu strikt: Der Umweltminister müsse nicht nur wie ein Ökologe, sondern auch wie ein »Geschäftsmann « denken, ansonsten werde »jemand anderes dies erledigen«, warnte Tusk laut Forbes Polska. Über das Sicherheitsgefühl der Einwohner in den vom Schiefergasabbau betroffenen Regionen äußerte er sich hingegen nicht.

occupychevron.tumblr.com

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Juni 2013


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