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Ambitioniertes Abtauchen

Mit einer modernen U-Boot-Flotte will sich Polen in der NATO profilieren

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka *

Polen wird seine U-Boot-Flotte in den nächsten Jahren modernisieren. Die Zeitung Rzeczpospolita berichtete vor einigen Tagen, Ministerpräsident Donald Tusk habe grünes Licht für die Pläne der Marineführung gegeben. Geplant ist die Anschaffung von drei neuen U-Booten für umgerechnet knapp zwei Milliarden Euro ab 2018. Die finanzielle Anstrengung, die das Land zu diesem Zweck unternimmt, ist erheblich: Die Kosten entsprechen einem Viertel des polnischen Militärhaushalts für 2013. Um den Auftrag bewerben sich ein französischer und ein deutscher Hersteller. Die U-Boote sollen die fünf alten Modelle ersetzen, die die polnische Marine derzeit in Dienst hat: vier Exemplare der deutschen Klasse 209, die in den 60er Jahren für Norwegen gebaut und um 2000, als sie dort ausrangiert worden waren, an Polen weitergegeben wurden – und ein Boot aus sowjetischer Produktion aus den 80er Jahren.

Frankreich bietet Polen U-Boote der Scorpène-Klasse an. Ihr Vorteil aus Sicht der polnischen Marineführung: Sie sind geeignet, strategische Marschflugkörper abzufeuern und wären damit, wie polnische Militärpublizisten sich begeistern, als Element einer eigenen polnischen Abschreckungsfähigkeit geeignet. Der Vorteil des deutschen Schiffstyps 212A liegt dagegen darin, daß dieses Modell mit einem Brennstoffzellenmotor derzeit den modernsten konventionellen Antrieb besitzt und damit am längsten unter Wasser operieren kann. Das macht es besonders geeignet für Langzeiteinsätze in »Krisengebieten« weitab von der Heimatbasis. Überdies sind die deutschen U-Boote für den Einsatz in der flachen Ostsee optimiert worden. Marschflugkörper können sie zwar in ihrer derzeitigen Version nicht abschießen, die deutsche Thyssen-Krupp Naval Systems soll eine Aufrüstung der Boote für diese Option jedoch in Aussicht gestellt haben. Frankreichs Präsident François Hollande hat seinerseits bei einem Besuch in Polen vor einem Jahr mit Unteraufträgen für die mit der Insolvenz kämpfende polnische Marinewerft in Gdynia gewinkt, was dort mindestens 1000 Arbeitsplätze für einige Jahre sichern würde. Die Verhandlungen laufen derzeit hinter verschlossenen Türen.

Die polnischen Pläne zur U-Boot-Aufrüstung mögen auf den ersten Blick überdimensioniert wirken, denn wozu sollten in der engen und auf drei Seiten von NATO-Staaten begrenzten Ostsee zusätzliche U-Boote dienen? Als schlüssiger Grund erscheint da die Existenz des Ostseeanrainers Rußland mit seiner großen Marinebasis in Baltijsk bei Kaliningrad. Diese Basis zu blockieren, könnte im Kriegsfall wichtig werden, um die baltischen Staaten als Nordostflanke der NATO versorgen und halten zu können. Doch solch konventionelles Denken ist offenbar nicht alles, was polnische Strategen mit der U-Boot-Aufrüstung verbinden. Der Verweis auf eine eigene Abschreckungsfähigkeit, die das Land anstreben müsse, deutet auf eine gewisse Frustration in der Militärführung hin. Denn ist nicht Polen Mitglied der NATO und befindet sich damit offiziell unter dem amerikanischen Atomschirm? Offenbar gibt es in Polens militärischer Elite Zweifel, wie ernst diese Garantie zu nehmen ist.

Daß die USA den russischen Krieg gegen Georgien 2008 und seine Ergebnisse de facto hingenommen haben, ist in Polen mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen worden. Man befürchtet offenbar, gegebenenfalls ebenso zur Spielmasse größerer strategischer Überlegungen der USA werden zu können, wie es seinerzeit Georgien ergangen ist. Die Frage einer französischen Zeitung im Sommer 1939, ob es lohne, für Danzig in den Krieg zu ziehen, lebt als Trauma im polnischen Sicherheitsdenken weiter. So herrscht in Warschau auch Enttäuschung darüber, daß das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa wohl doch nicht in der Form zustande kommen wird, wie es unter George W. Bush geplant und von der damaligen Kaczynski-Regierung enthusiastisch begrüßt worden war.

Die polnische Logik ist am Frontstaat-Paradigma der Bundesrepublik im Kalten Krieg orientiert und läuft darauf hinaus, sich für die USA so unentbehrlich zu machen, daß diese das Land nicht fallenlassen könnten. Die Alternative einer Verständigung mit Rußland wird in Polen nicht ernsthaft diskutiert. Wenn jetzt über strategische U-Boote unter eigener Flagge nachgedacht wird – auch die Marschflugkörper müßten freilich erst noch beschafft werden – dann deutet das auf Ambitionen hin, die über den Status eines NATO-Mitläufers hinausgehen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Oktober 2013


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