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Ende der Dürre zwischen Moskau und Warschau

Komorowski trifft binnen drei Tagen Medwedjew, Wulff und Obama

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski betont den Unterschied zu seinem grollenden Vorgänger: Gleich zu Beginn seiner Amtszeit setzt er Akzente für die internationalen Aktivitäten seines Landes.

Nach langwierigen und emsigen Vorbereitungen in Warschau und Moskau empfing Bronislaw Komorowski am Montag den Präsidenten der Russischen Föderation Dmitri Medwedjew. Am Dienstag stattete Bundespräsident Christian Wulff seinen Besuch in Warschau ab. Und für Mittwoch ist in Washington ein Treffen Komorowskis mit US-Präsident Barack Obama vorgesehen.

In den Gesprächen mit dem Gast aus Moskau, der von vielen Ministern und in polnisch-russischen Beziehungen erfahrenen Experten begleitet wurde, ging es auf polnischen Wunsch um das zweiseitige Verhältnis zwischen beiden Staaten, wobei der »historische Hintergrund« (Katyn, Smolensk und vieles mehr) zur Sprache kommen sollte und gekommen ist. Dmitri Medwedjew, der in Polen als konsequenter »Entstalinisierer« und Modernisierer bewertet wird, war dafür völlig offen, ließ kein Thema aus und zeigte sich bereit, alles – »bis zum Letzten« – aufzuklären, darunter aber auch das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in Polen nach dem Krieg von 1920.

In ihrem Verhandlungspaket brachten die Gäste aus Moskau aber auch eine Menge an Sachthemen mit, die vorwiegend die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Energieproblematik betrafen. Polen hat ein großes Defizit im Handel mit Russland. Atmosphärisch verlief der Staatsbesuch bestens, der am Dienstag mit der gemeinsamen Kranzniederlegung am Mausoleum zu Ehren der in Polen im Zweiten Weltkrieg gefallenen sowjetischen Soldaten endete. Die Einschätzungen der Politiker enthielten wohldurchdachte Worte: »Die Dürre in den polnisch-russischen Beziehungen ging zu Ende«, sagte Bronislaw Komorowski auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, auf der Dmitri Medwedjew einen »neuen Geist« beschwor und auf manche skeptische polnische Stimme einging, als er erklärte, dieser neue Geist sei keineswegs taktisch, sondern eben strategisch. Es wäre eine Sünde, wenn man die Möglichkeit zur grundsätzlichen Verbesserung der russisch-polnischen Beziehungen nicht wahrnähme. Nicht nur für den Osten, sondern für ganz Europa sei dies von größter Bedeutung.

Der Besuch Christian Wulffs, der Polens westlichen Nachbarn repräsentiert, mit dem ein Neuanfang aus offizieller polnischer Sicht bereits völlig gelungen ist, trug symbolhaften Charakter. Prominente Teilnehmer fanden sich zu einer Feierstunde im Warschauer Schloss ein, Jugendliche durften einem Treffen Komorowskis und Wulffs im Saal des Präsidentenpalasts zuschauen, in dem vor 40 Jahren, am 7. Dezember 1970, der Vertrag zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik unterzeichnet wurde. Gewürdigt wurden sowohl der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal im ehemaligen Warschauer Getto 1970 als auch Helmut Kohls Verdienste um jenen Vertrag vom November 1990, in dem die Staatsgrenze zwischen Polen und Deutschland an Oder und Lausitzer Neiße bestätigt wurde – und zwar in jenem Verlauf, den das inzwischen gänzlich verschwiegene, aber 40 Jahre ältere Görlitzer Abkommens zwischen Polen und der DDR beschrieben hatte.

Wenn Bronislaw Komorowski am heutigen Mittwoch in Washington mit Barack Obama zusammentrifft, wird er seinem Gastgeber sagen können, dass Polen seine Beziehungen mit Russland in Ordnung bringt. Folglich wolle Warschau an der Neuordnung der strategischen Sicherheit Europas, wie sie von den USA, der NATO und Russland diskutiert wird, beteiligt sein. Zwar ruft der Verzicht auf den »Raketenschirm«, der nun wohl nicht in Polen errichtet wird, an der Weichsel nach wie vor Skepsis hervor, denn man wünscht sich durchaus die Anwesenheit von NATO- und USA-Soldaten auf polnischem Gebiet. Doch dieses Manko könnte durch US-amerikanischen und NATO-Luftschutz ausgeglichen werden. Na ja, und der Visumszwang für polnische Bürger, wird Komorowski seinem Gastgeber sagen, müsste doch endlich abgeschafft werden.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2010


NATO-Wetterberichte

Von Olaf Standke **

Das klang alles so schön mit dem endgültigen Abschied vom Kalten Krieg. NATO und Russland einigten sich auf dem Gipfel der Allianz in Lissabon auf eine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr. Von einem »beispiellosen« Schritt sprach Bündnis-Generalsekretär Rasmussen danach, schließlich würden die einstigen Erzfeinde erstmals bei ihrer Verteidigung kooperieren. Vielleicht liest man ja irgendwann in öffentlich gemachten diplomatischen Depeschen, was er und andere wirklich dachten. Denn während Washington nach dem Amtswechsel im Weißen Haus schon zuvor einen Neustart in den Beziehungen zu Moskau verkündete, hat der Nordatlantik-Pakt Pläne zum Schutz der baltischen Staaten vor einer angeblichen russischen Bedrohung entworfen, wie man inzwischen dank Wikileaks weiß. Wobei man ohnehin existierende Szenarien für Polen Richtung Osten ausgeweitet hat. Dabei war doch auch mit der damals gültigen NATO-Strategie Russland offiziell kein Sicherheitsrisiko mehr.

Nun haben wir hier ein neues regionales Einsatzschema für die östlichen Vorposten des Paktes und dort die gestern wiederholte Versicherung aus dem Brüsseler Hauptquartier, dass NATO und Russland keine Gefahr füreinander darstellten. Ein Widerspruch in sich, der in Moskau für Misstrauen sorgen dürfte, auch wenn der Kreml versucht, die Angelegenheit herunterzuspielen . Zumal es der nach den jüngsten Kongresswahlen geschwächte USA-Präsident Obama bisher nicht schaffte, den im Frühjahr unterzeichneten bilateralen START-Vertrag zur atomaren Abrüstung gegen die konservativen Hardliner durch den Washingtoner Senat zu bringen. So könnte schon bald eine neue Kaltfront drohen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2010


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