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Warschau blufft, Prag denunziert

Regierungen ignorieren Bevölkerungsstimmung gegen US-Raketenschild

Von Thomas Kachel *

Der Schlängelkurs der tschechischen und der polnischen Regierung in der Frage des USA-Raketenschilds offenbart zunehmende Schwierigkeiten mit der eigenen Öffentlichkeit.

Die Friedensbewegung mobilisiert weiter. Ein Referendum sei »unnötig«, wird in Prag wieder in alter Halsstarrigkeit verbreitet. Und auch die noch zu Jahresbeginn geäußerten »Zweifel« der polnischen Regierung an der militärischen Notwendigkeit des US-Raketenschirms sind auf einmal »im Grundsatz« ausgeräumt, wie nach dem Treffen von USA-Außenministerin Condoleezza Rice mit ihrem polnischen Amtskollegen kürzlich verkündet wurde: Die polnische Regierung ließ sich ihre Zustimmung von Washington mit der Zusage versüßen, man werde auch das polnische Luftabwehrsystem modernisieren. Die USA-skeptische Haltung Donald Tusks -- ein Bluff. Nun eilt man sich, die Stationierungsverträge bis Ende Februar unterschriftsreif zu machen.

Gleichzeitig gibt es in Tschechien den Versuch, die lokale Opposition in Brdy, der Radar-Stationierungsregion, aufzukaufen -- mit einem Strukturhilfepaket. Und gegen die Friedensbewegung läuft eine Denunziationskampagne an: Der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS behauptete Ende Januar, dass »Moskau« die Stützpunktgegner finanziell unterstütze.

Wie unsauber auch immer das Vorgehen der USA-treuen Eliten in Prag und Warschau ist, es zeigt immerhin, dass man sich in den dortigen Regierungskanzleien der eigenen Bevölkerung (sprich: Wählerschaft) gegenüber längst nicht so sicher fühlt, wie man sich gibt. Dass liegt auch an der langen, unermüdlichen Arbeit der jungen Friedensbewegung. In beiden Ländern verweisen die Aktivisten auf die unverändert ablehnende Haltung der Mehrheit der Tschechen (73 Prozent) und der Polen (52 Prozent) gegenüber dem Projekt. Sie rüsten zu neuen Aktionen. Am 15. März ruft man in beiden Ländern dazu auf, das Gedenken an den Jahrestag des Irakkrieg-Beginns auch für den Protest gegen den US-Raketenschirm zu nutzen. In Polen mobilisiert eine Koalition mehrerer Initiativen zu einem großen Friedensmarsch, der am 29. März vom nordpolnischen Slupsk nach Redzikowo führen soll, wo eine Basis für die US-Abfangraketen geplant ist.

»Auch deutsche Friedensfreunde sind herzlich eingeladen«, wirbt Damian Moran von der polnischen Kampagne gegen Militarismus. Er beklagt, dass der Stimme der Stationierungsgegner, die die Meinung der Mehrheit der Polen vertritt, die Möglichkeit verwehrt wird, in den nationalen Medien ihre Sicht darzustellen. Mit kleinen Happenings will auch die tschechische Initiative »Ne zakladnam« (Keine Basen) auf sich aufmerksam machen, wie jüngst mit dem Abladen leerer Umzugskartons vor dem Prager Regierungssitz -- einer Aufforderung zum Auszug an eine Regierung, deren Sicherheitspolitik den Willen der Mehrheit der Tschechen nicht repräsentiere. Der Vorwurf der Finanzierung durch Moskau sei kindischer Nonsens: »Unsere Konten sind immer transparent geführt worden, eine russische Finanzierung gibt es nicht«, sagt Ne-Zakladnam-Sprecher Jan Majicek gegenüber unserer Zeitung.

Die Initiative will auch auf einen weiteren Bluff reagieren. Beim kommenden NATO-Gipfel, der vom 2. bis zum 4. April in Bukarest tagen wird, will der tschechische Premier Mirek Topolanek erreichen, dass der Raketenschild offiziell ein NATO-Projekt wird, damit er dann zu Hause die Hände heben kann: Seht ihr, die anderen wollen es ja auch! »Einen solchen Beschluss würden die tschechischen Grünen zum Vorwand nehmen, um im Parlament für den Raketenschild zu stimmen«, fürchtet Majicek, »obwohl dies der Beschlusslage der Europäischen Grünen eindeutig widerspricht. Deshalb werden wir auch und besonders in Bukarest präsent sein müssen.«

* Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2008


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