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Zwischen Widerstand und Resignation

US-amerikanischer Raketenschild spaltet Polen

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Eine Region stellt sich quer: Die Bevölkerung rund um die nordpolnische Ortschaft Redzikowo, wo die US-amerikanische Raketenabwehr hinsoll, lehnt die Staionierung weiterhin ab. Laut einer jüngsten Umfrage der Zeitung Gazeta Wyborcza ist die Mehrheit der Bevölkerung Polens inzwischen – auch unter dem Eindruck des Krieges in Georgien – für den Aufbau des US-Stützpunktes, doch in der unweit von Redzikowo gelegenen Stadt Slupsk sprachen sich 58 Prozent der Befragten gegen dieses Vorhaben aus, nur 34 Prozent befürworteten es.

In der malerischen Küstenregion bemüht sich eine Bürgerinitiative, den Widerstand gegen die Raketenbasis zu organisieren. Sie startete dazu am 22. August eine Unterschriftenkampagne. Die Bewohner mehrere Dutzend Dörfer der vor allem vom Tourismus lebenden Region haben sich bereits gegen die Raketen ausgesprochen. Der Gemeindevorsteher von Redzikowo, Mariusz Chmiel, hat angekündigt, den Bau der Abschußrampen durch eine konsequente Anwendung der Umweltschutzbestimmungen und anderer administrativer Maßnahmen möglichst lange zu verzögern. Seitens des Verteidigungsministeriums wurde dem störrischen Lokalpolitiker schon vorgeworfen, sich als »zweiter Außenminister« aufzuspielen.

Die polnische Linke opponiert ebenfalls geschlossen gegen den Raketenschild. In Warschau, Gdansk und etlichen weiteren Städten fanden erste Demonstrationen und Protestkundgebungen statt, die unter anderem von den polnischen Grünen, den »Jungen Sozialisten« und der Polnischen Arbeiterpartei PPP unterstützt wurden. Dennoch bewegten sich diese ersten Proteste lediglich in Größenordnungen von Dutzenden oder wenigen hundert Menschen. Es bleibt abzuwarten, ob dies der Anfang einer Protestwelle, oder einer bereits einsetzenden Resignation innerhalb der polnischen Linken ist.

Auch Polens Sozialdemokraten haben sich geschlossen gegen die Raketenstationierung gestellt. Die sozialdemokratische Tageszeitung Trybuna startete eine Kampagne, die ein nationales Referendum in dieser Frage zum Ziel hat.

Inzwischen ist auch klar, daß die Tusk-Administration auf einen Großteil ihrer Forderungen gegenüber Wa­shington verzichtete, die sie während der zäh geführten, fünfzehnmonatigen Verhandlungen als unabdingbar erachtete. Eine einzige Batterie von Patirot-Abwehrraketen, die überdies unter Kontrolle der US-Streitkräfte verbleibt, ist Warschau von Washington verbindlich zugesagt worden. Ebenso werden die USA der Republik Polen im Falle eines Angriffs mit ballistischen Raketen verbindlich Beistand leisten. Alle anderen, teilweise lautstark von den polnischen Medien hinausposaunten Versprechen sind Teil einer »mündlichen Deklaration«.

Polnische Politiker beeilten sich zu versichern, daß auch der kommende Präsident der USA gemäß der Deklaration handeln werde – doch bindend ist sie nicht. In diesem mündlich vorgetragenen Dokument erklären die USA und Polen, im Fall eines Angriffs durch eine »Dritte Seite« sich gegenseitig beizustehen. Zudem soll eine bilaterale Kommission eingerichtet werden, die den Modernisierungsbedarf der polnischen Streitkräfte einschätzen soll. Zur Erinnerung: Premier Tusk verlangte ein verbindliches milliardenschweres Hilfspaket der USA für Polens Streitkräfte sowie einen völkerrechtlich verbindlichen, bilateralen Beistandspakt Washingtons im Kriegsfall. Bekommen hat Polen neben den Worthülsen der Deklaration nun einen dauerhaften Konflikt mit Rußland.

* Aus: junge Welt, 30. August 2008


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