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Polen will von Ungarn lernen

Der Fall Mateusz Piskorski

Von Rainer Rupp *

Eine andere Meinung zu haben als die politische Führung, das war im Mediengeschäft noch nie für die Karriere förderlich. In Polen ist man jetzt mit dem Fall Mateusz Piskorski einen Schritt weiter gegangen. Weil der stellvertretende Direktor des vierten Kanals von Radio Polen in einem Interview die Fakten so schilderte, wie er sie als Wahlbeobachter in Belarus erlebt hatte, der polnische Außenminister jedoch das Gegenteil behauptete, wurde er kurzerhand von seinem Posten gefeuert. Gefragt, ob er Parallelen sieht zwischen seinem Fall und den Versuchen in Ungarn, per Gesetz kritischen Journalisten den Mund zu verbieten, erklärte Piskorski gegenüber junge Welt, diese Tendenz sei inzwischen "in etlichen europäischen Ländern zu erkennen". Allerdings gebe es Unterschiede. In Ungarn werde dafür eine neue Rechtsgrundlage geschaffen. Diese sei zwar sehr kontrovers, aber sie werde von der parlamentarischen Mehrheit unterstützt. Für seine Entlassung gebe es dagegen "gar keine Rechtsgrundlage".

Was genau wird Mateusz Piskorski vorgeworfen? Am 18. und 19. Dezember 2010 war er als Vertreter des Europäischen Zentrums für Geopolitische Analysen (ECGA), einer polnischen Nichtregierungsorganisation, als Beobachter für die Präsidentschaftswahlen in Belarus. Er legt Wert darauf, daß er als Privatperson unterwegs war und nicht von seinem Sender als Journalist nach Minsk geschickt wurde. Zusammen mit Beobachtern aus verschiedenen Ländern besuchte Piskorski 20 Wahllokale, um dort die Prozeduren zu überprüfen und mit den anwesenden Vertretern der jeweiligen Parteien zu sprechen. Diesen würden als erstes Unregelmäßigkeiten auffallen und sie hätten auch ein Interesse, diese zu melden. Später gab Piskorski dem belorussischen Fernsehen ein Interview über seine Eindrücke. "Trotz etlicher Warnungen hat es keine Hinweise auf ernstzunehmende Verstöße gegen das Wahlgesetz gegeben", zitierten ihn tags darauf am 20. Dezember polnische Medien.

In Polen sorgte Piskorskis Wiedergabe der Fakten für Aufregung und teils helle Empörung. Denn zeitgleich hatte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sich zum Sprecher der belorussischen Oppositionsgruppen gemacht und öffentlich erklärt, die Präsidentenwahl in Belarus sei nicht legitim, weil mehrere Standards nicht eingehalten worden seien. Er selbst habe ganz andere Wahlergebnisse als die offiziellen und die zeigten, daß der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko im ersten Wahldurchgang nicht gewonnen habe, so Sikorski. Dagegen sprechen jedoch auch die Beobachtungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Georg Schirmbeck, der vor Ort in Belarus zum gleichen Schluß wie Piskorski gekommen war. In einem Spiegel-Interview sagte er: "Ich war in 16 Wahllokalen. In keinem einzigen Wahllokal gab es irgend etwas zu meckern. Wer in diesen Wahllokalen etwas zu meckern hat, der muß bei uns auch meckern. Das sah gut aus."

Dennoch war man in Warschau fest entschlossen, Piskorski wegen seiner mangelnde Bereitschaft, politisch korrekt zu lügen, nicht länger in einer Spitzenposition im polnischen Medienapparat zu lassen. Am 21. Dezember wurde der stellvertretende Direktor von Kanal 4 vor den Verwaltungsrat von Radio Polen zitiert. Dort wurde ihm eröffnet, daß Radio Polen gegen den Präsidenten von Belarus agiere und daß Piskorskis Interview im belorussischen Fernsehen von der Leitung des Senders nicht gutgeheißen wurde. Am nächsten Tag erfuhr der so Gescholtene dann über die offizielle Webseite des Senders, daß er von seinem Posten gefeuert war: "Weil Herr Piskorski die Standards des unparteiischen Journalismus gebrochen hat, ist er gestern seines Postens enthoben worden. Maßnahmen zu seiner Entlassung sind eingeleitet worden", hieß es dort. Diese Erklärung könnte direkt aus dem Orwellschen Ministerium für Wahrheit stammen, wo alle Begriffe in ihr Gegenteil umgemünzt wurden. Versuche von junge Welt, von Radio Polen eine Stellungnahme zu bekommen, blieben erfolglos. Bitten um Rückruf blieben unbeantwortet.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


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