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Unheimliche Deutsche

Die polnische Öffentlichkeit blickt mit gemischten Gefühlen auf die deutsche Rolle in der Griechenland-Krise

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka *

Am Anfang war noch der Stolz, dabeigewesen zu sein. Am Tag nach dem EU-Sondergipfel zu »Grexit« oder Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone verwiesen die polnischen Medien darauf, dass es EU-Ratspräsident Donald Tusk gewesen sei, der Angela Merkel und Alexis Tsipras daran gehindert habe, die Verhandlungen platzen zu lassen. Tusk immer noch als »ihren« Mann in Brüssel zu sehen, ist ein typischer Reflex der polnischen Öffentlichkeit.

Zehn Tage später hat sich das Bild differenziert. Liberale Medien wie das Magazin Polityka oder die Tageszeitung Gazeta Wyborcza bemühen sich, Verständnis für beide Seiten zu zeigen. Heiner Flassbeck und Gianis Varoufakis werden ebenso zitiert wie Wolfgang Schäuble und Hans-Werner Sinn. Der polnischen Rechten dagegen sind Merkels Durchmarsch in Brüssel und Schäubles Drohung mit dem »Grexit auf Zeit« erkennbar unheimlich. »Diese phantastischen, fleißigen Deutschen«, überschrieb Bogusław Chrabota, Chefredakteur des konservativen Intelligenzblatts Rzeczpospolita, am Wochenende seinen Kommentar. Natürlich war das ironisch gemeint, aber die Ironie war sehr gebrochen. Die BRD meine heute, sich für den Faschismus nicht mehr schämen zu müssen, das Argument der Vergangenheit habe sich abgenutzt. »Deutschland hat heute in Europa keinen Konkurrenten. Es kann die Bedingungen diktieren. Die Deutschen lieben Ordnung, Disziplin und Berechenbarkeit. Wie werden sie reagieren, wenn sich die Welt nicht nach ihnen richtet?«

Ideologische Schlenker wie die Identifikation staatlicher Politik mit einer sogenannten nationalen Mentalität beiseite gelassen, drückt sich in diesem Kommentar das Dilemma der polnischen Haltung gegenüber Deutschland aus. Es ist eine Hassliebe. Die Methoden deutscher Hegemonie in der EU wecken ungute Erinnerungen, aber gegen ihre Ziele hat der offizielle polnische Diskurs wenig einzuwenden. Kein Kommentator, der nicht erwähnte, dass Merkel von den Regierungen der osteuropäischen EU-Staaten unterstützt wurde. Niemand, der sich nicht vor dem Hintergrund des polnischen Rentenniveaus über die »wohlgenährten griechischen Frührentner« lustig gemacht hätte.

Polen hat, obwohl seine Wirtschaftsdaten es irgendwo in der Mitte des europäischen Südens ansiedeln, die Ambitionen eines »Nordlichts«. Sein Mainstream sieht keinen Anlass für Solidarität mit Ländern wie Portugal oder Griechenland. An jenen wird im Gegenteil zum Gebrauch des heimischen Publikums, das langsam gegen die Niedriglöhne und unsicheren Beschäftigungsverhältnisse zu grummeln beginnt, die Phrase von der heilsamen Wirkung des »Sparens« immer aufs neue wiederholt.

Die polnische Regierung hält sich mit offiziellen Kommentaren zurück, schließlich ist Polen kein Euro-Land und wird – das ist Konsens aller Parteien in Warschau – auch so schnell keines werden. Die nationalkonservative Partei PiS, die aller Wahrscheinlichkeit nach die nächste Regierung des Landes stellen wird, hängt wirtschaftspolitisch einer Art Nationalkeynesianismus an und predigt die Vorteile einer eigenen Währungspolitik. Am liebsten würde sie auch die Bestimmung aus dem EU-Beitrittsvertrag ignorieren, die Polen »zu gegebener Zeit« zum Beitritt zum Euro verpflichtet.

Im Fall eines Wahlsiegs im Oktober verspricht die PiS ein höheres Kindergeld und andere Sozialleistungen, die auf jeden Fall das Staatsdefizit in einer solchen Höhe halten werden, dass ein Euro-Beitritt schon von den Zahlen her ausgeschlossen werden kann. Das ist insofern bequem, als sich dann niemand die Mühe zu machen braucht, eine Absage an den Euro politisch zu begründen.

Die Bundesregierung soll angeblich keine Berührungsängste mehr gegenüber einer PiS-geführten Regierung in Warschau haben. Es soll sogar schon Berliner Avancen in Richtung einer Art deutsch-französisch-polnisches Triumvirat an der EU-Spitze gegeben haben, in dem Polen die Rolle eines Juniorpartners mit Zuständigkeit für Ost- und Zentraleuropa zugedacht wäre – sofern es zügig dem Euro beitrete. Dies wollen jedenfalls polnische Medien von deutschen Regierungsvertretern erfahren haben. Bestätigungen aus Berlin gibt es hierfür nicht, vor den Wahlen schon gar nicht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Juli 2015


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