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Kanonen statt Kohle

Proteste gegen Zechenschließungen in Polen halten an. Energie- und Fiskalpolitik im Clinch, das Militär als lachender Dritter

Von Reinhard Lauterbach *

In Polen haben sich die Proteste von Bergleuten gegen die geplante Stillegung von vier Kohlegruben ausgeweitet (siehe jW vom 13. Januar). Inzwischen laufen in allen 14 Betrieben der staatlichen Bergbauholding Kompania Węglowa (KW) Werksbesetzungen; Hunderte Bergleute sind Medienberichten zufolge unter Tage im Hungerstreik. In den bereits privatisierten Zechen fanden Solidaritätsversammlungen statt. Von einem Bröckeln der Protestfront ist nichts zu beobachten. Im Gegenteil: Am Donnerstag demonstrierten vor dem polnischen Parlament in Warschau eine Gruppe von Bauern ihre Solidarität mit den Bergleuten.

Anlass für den Widerstand ist ein Sanierungsplan der rechtsliberalen Regierung von Premierministerin Ewa Kopacz für KW. Das Unternehmen fahre Verluste von monatlich 200 Millionen Złoty (ca. 50 Millionen Euro) ein, heißt es. 80 Prozent dieser laufenden Verluste fallen nach Regierungsangaben in den vier Bergwerken an, die geschlossen werden sollen. Nach Darstellung der Regierung droht der KW bereits im Februar die Insolvenz, weil das dann fällige 14. Gehalt der Bergleute nicht mehr ausgezahlt werden könnte.

Unter anderem wegen dieses Zeitdrucks beriet das Parlament in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag über eine Novellierung des Bergbaugesetzes. Sie sieht vor, die gefährdeten Bergwerke in eine Auffanggesellschaft zu überführen, die – dann durchaus mit staatlichen Zuschüssen – die Beschäftigung »sozialverträglich« reduzieren soll. Dazu gehört, dass von den 9.000 betroffenen Bergleuten 6.000 in andere Betriebe der KW übernommen und 3.000 über Abfindungen und Vorruhestandsregelungen entlassen werden sollen. Die Abfindungen reichen dabei bis zu 24 Monatsgehältern und sind damit für polnische Verhältnisse durchaus beachtlich. Der Vorruhestand wird allen Bergleuten angeboten, die weniger als vier Jahre bis zu ihrer Rente haben. Die Kosten dieser Operation werden auf zirka drei Milliarden Złoty (750 Millionen Euro) geschätzt.

Theoretisch könnte von dem Geld, das die Regierung für den Sozialplan in die Hand zu nehmen bereit ist, auch der Betrieb der betreffenden Bergwerke noch einige Zeit weiter subventioniert und abgewartet werden, bis der derzeit extrem niedrige Kohlepreis wieder steigt. Aber nur theoretisch. Denn direkte staatliche Beihilfen für die Branche hat die EU verboten. Auch die Überlegung der Regierung, die Kompania Węglowa mit den sehr profitablen halbstaatlichen Stromkonzernen in einer Energieholding zu verbinden und so die Defizite der Zechen aus den Gewinnen der Kraftwerke zu bezahlen, ist zumindest schwierig umzusetzen. Denn durch die Privatisierung von Teilen der Kraftwerke über die Börse hat sich die Regierung institutionelle Investoren ins Haus geholt, die von einer solchen Subventionspolitik nicht zwangsläufig überzeugt sind. Schließlich sind es nicht zuletzt die Kraftwerke als Hauptkunden der Bergwerke, die für deren Absatzprobleme und damit die Krise verantwortlich sind. Denn sie importieren im Interesse ihrer eigenen Bilanzen lieber billige Kohle aus Russland, als den heimischen Rohstoff zu verfeuern. Vom Finanzminister, an den die Stromkonzerne die Dividenden für den staatlichen Anteil abführen, war kein Protest hiergegen zu vernehmen.

Wenn das Thema der Sanierung des polnischen Kohlebergbaus mit unschöner Regelmäßigkeit wiederkehrt, liegt das daran, dass die Haltung aller polnischen Regierungen gegenüber der Branche in sich widersprüchlich war und ist. Einerseits setzt die Energiepolitik entschieden auf die Kohle als im eigenen Land reichlich vorhandenem Rohstoff. Daher rührt auch die Skepsis Polens gegen alle Klimaschutzprogramme der EU. Andererseits liegen die Selbstkosten der Förderung wegen der geologischen Verhältnisse so hoch, dass sie auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig ist. Dort sind die Preise in den letzten drei Jahren um zwei Drittel gefallen und werden bestimmt durch Tagebaukohle aus Australien, Südafrika und Russland. Außerdem sind die Bergwerke und ihre Nebenbetriebe seit sozialistischen Zeiten Hochburgen gewerkschaftlicher Organisation, was im Schatten der politischen Präferenz für den Energieträger so geblieben ist. Damit verbunden sind stabile Beschäftigungsverhältnisse und für polnische Verhältnisse hohe Löhne sowie betriebliche Sozialleistungen. Wer dies angreifen will, muss sich seit jeher auf politischen Ärger einstellen. So auch diesmal. Die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczyński tönt im Verbund mit der Gewerkschaft »Solidarność« von einer »Hinrichtung des polnischen Bergbaus«, die die Regierung anstrebe. Das ist mit Sicherheit falsch. Was Warschau will, ist ein billigerer Bergbau, der das Lohnniveau senkt und dem Staat nicht mehr auf der Tasche liegt. Denn das Geld des Steuerzahlers wird in den kommenden Jahren in Polen für anderes gebraucht: Das Verteidigungsministerium hat ein 20-Milliarden-Złoty-Programm zur Aufrüstung und Modernisierung der Streitkräfte des Landes aufgestellt. Es umfasst nicht nur Kanonen, sondern von neuen U-Booten bis zu supermodernen US-Marschflugkörpern alles, was der Generäle Herz begehrt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. Januar 2015


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