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Pyrrhussieg für Kohlekumpel

Polens Regierung statuiert beim aktuellen Bergarbeiterstreik kapitalistisches Exempel: Chef wird entlassen, sein Kürzungsprogramm aber fortgeführt

Von Reinhard Lauterbach *

Noch einen Bergarbeiterstreik wie den von Anfang Januar bei der staatlichen polnischen Kohleholding »Kompania Węglowa« wollte sich die rechtsliberale Regierung von Ewa Kopacz nicht leisten. Während sie die Protestbewegung vom Jahresbeginn noch mit Sozialplänen befriedete, hat sie gegen den Streik der Kumpel bei der halbstaatlichen »Jastrzębska Spółka Węglowa« (JSW) im südpolnischen Revier vom Gericht bis zur Polizei alle staatlichen Machtmittel eingesetzt. Das paradox scheinende Ergebnis: Das nach außen vertretene Streikziel ist erreicht, denn der Direktor der JSW reichte seinen Rücktritt ein. Doch sein Kürzungsprogramm, das Anlass des 16tägigen Ausstandes war, wird unter neuer Führung durchgesetzt.

Die JSW ist der größte Produzent von Kokskohle in der EU. Sie beschäftigt in sieben Bergwerken und einer Kokerei etwa 29.000 Menschen, davon rund 22.000 unter Tage. Der Konflikt hatte sich an der Absicht von Vorstandschef Jaroslaw Zagórowski entzündet, das Lohnsystem zum Vorteil der Firma zu verändern. Zentraler Punkt waren zwei Forderungen der Unternehmensleitung: die Zuschläge für die Arbeit am Wochenende zu streichen und das 14. Monatsgehalt der Bergleute von den Ergebnissen der Firma abhängig zu machen. Die aber hängen entscheidend von den Weltmarktpreisen für Kohle, der Konjunktur in der Stahlbranche und anderen Faktoren ab, auf die die Belegschaft keinen Einfluss hat. Alle diese Größen belasten den polnischen Bergbau und indirekt den Staatshaushalt. Beim Streik ging es also letztlich darum, wer das Konjunkturrisiko trägt. Knapp 260 Millionen Złoty (etwa 65 Millionen Euro) wollte die Unternehmensleitung einsparen, die Gewerkschaften hatten unter deren Druck einen eigenen Plan vorgelegt, der etwa die Hälfte der vom Management geplanten Kostensenkungen gebracht hätte.

Die Bewegung begann, inspiriert von den erfolgreichen Kämpfen bei der staatlichen Kompania Węglowa, mit breitem Rückhalt. Einige Bergleute besetzten die Förderanlagen unter Tage, etwa zwei Dutzend starteten dort sogar einen Hungerstreik. Nicht Streikbereite zogen es offenbar vor, sich der Auseinandersetzung dadurch zu entziehen, dass sie sich krankschreiben ließen oder Überstunden abfeierten. Die Geschäftsleitung versuchte den Ausstand als anachronistisches Festhalten der Bergleute und ihrer Gewerkschafter an Besitzständen darzustellen und wurde darin von der Mainstreampresse unterstützt. Die sammelte eifrig Belege dafür, wo sich Gewerkschafter angeblich privat bereichert und das Unternehmen dadurch geschädigt hätten. Diese Entsolidarisierungskampagne wird in Polen immer dann aufgelegt, wenn relativ gut organisierte Berufsgruppen wie die Bergleute oder die Beschäftigten der Energiewirtschaft Lohnforderungen stellen – nach dem Motto: Ihr wollt etwas behalten, was wir schon lange nicht mehr haben. Soziale Errungenschaften werden so allein durch die Tatsache ihres Abbaus in anderen Bereichen zu »Privilegien« umdefiniert. Trotzdem erreichte diese Kampagne ihr Ziel nur eingeschränkt: die Bevölkerung im oberschlesischen Revier blieb im wesentlichen solidarisch.

In dieser Situation rief die Geschäftsleitung der JSW die Justiz zu Hilfe – was ohne die Billigung der staatlichen Mehrheitsaktionäre nicht denkbar gewesen wäre. Am 12. Februar erklärte ein Gericht in Jastrzębie-Zdrój den Streik für illegal, weil er wirkte – und das Unternehmen um täglich rund sieben Millionen Euro an Einnahmen gebracht habe. Eine Unterstützungsdemonstration von Frauen und Kindern der Streikenden wurde von der Polizei auseinandergetrieben, wobei das Unternehmen den Einsatz der Beamten offenbar voraussah, denn bereits im Vorfeld warnte es auf seiner Internetseite vor dem »Missbrauch von Kindern und Jugendlichen« durch die Gewerkschaften. Bei einer Demonstration von Bergarbeitern und sie unterstützenden Fußballfans vor dem Unternehmenssitz setzte die Polizei sogar Kleinkaliberwaffen ein.

Das Gerichtsurteil vom Donnerstag brachte für die Gewerkschaften auch das Risiko hoher Schadenersatzklagen mit sich. Deshalb sahen sie sich gezwungen, den Streik mit Wirkung zum Montag zu beenden. Einen Pyrrhussieg konnten sie mitnehmen: der verhasste Vorstandschef reichte seinen Rücktritt ein. Auf seine Person und sein angebliches Missmanagement hatten die Gewerkschaften die Auseinandersetzung zuletzt zugespitzt.

Allerdings knüpfte Zagórowski sein Ausscheiden an die Forderung, dass die Gewerkschafter sein Kostensenkungsprogramm im wesentlichen akzeptierten. So hat die Arbeitsniederlegung die für die Arbeiter bittere Folge, dass sie den Produktionsausfall der 16 Streiktage an 16 Samstagen in den nächsten Monaten wieder wettmachen müssen. Eine Bestätigung der Erkenntnis, dass die Funktionäre des Kapitals in der Politik Charaktermasken dieses Produktionsverhältnisses sind – und als solche austauschbar.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Februar 2015


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