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Tod eines Oligarchen

Jan Kulczyk war zu Lebzeiten der reichste Mann Polens. An seiner Biographie ist ablesbar, wie die neue Bourgeoisie Osteuropas entstanden ist

Von Reinhard Lauterbach *

Der nach den Ranglisten reichste Mann Polens, Jan Kulczyk, ist am Dienstag im Alter von 65 Jahren in Wien gestorben. Sein Vermögen wurde zuletzt auf umgerechnet knapp vier Milliarden Euro geschätzt. Kulczyk war zeit seines geschäftlichen Lebens in Polen umstritten. Die Bourgeoisie überhäufte ihn mit Titeln wie »Geschäftsmann des Jahres« und Pöstchen in diversen Lobbyorganisationen. Kritiker vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums unterstellten ihm stets, mit den polnischen Kommunisten dunkle Geschäfte gemacht zu haben. Anders sei nicht zu erklären, wie der Mann aus dem Nichts zum Multimillionär habe aufsteigen können.

Ganz aus dem Nichts stieg er aber gar nicht auf. Die erste Million Dollar Startkapital erhielt er nach offiziellen Angaben von seinem Vater Henryk Kulczyk, der sie mit dem Verkauf polnischer Pfifferlinge und Blaubeeren nach Westb
Kulczyk senior nutzte zu diesem Zweck Nischen aus, die das sozialistische Polen der »Privatinitiative« ließ, kungelte mit Vertretern der Staatsmacht und ließ sich davon auch durch die Einführung des Kriegszustands 1981 nicht abhalten. Das steckt heute all denen quer in der Gurgel, die die Einführung des Kapitalismus in Polen als Bedingung für die Rückkehr von Religion, Moral und historischer Gerechtigkeit verkannt haben – und nicht ganz banal als Gelegenheit zur Bereicherung nutzten wie die Familie Kulczyk.

Jan Kulczyk begann, kaum mit dem Jurastudium fertig, zu handeln: Zuerst mit einer rosafarbenen Seife aus polnischer Produktion, die auch in der BRD Industriedreck von den Händen der Werktätigen wusch. Kulczyk war nie ein »produzierender« Kapitalist, er machte sein Geld mit Vermittlertätigkeiten und mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums. Insofern ist er ein klassischer Oligarch. Seinen ersten großen Auftrag bekam er Anfang der 90er Jahre – ohne Ausschreibung: 3.000 VW-Dienstwagen für die polnische Polizei. Die politischen Geschäftsverbindungen des Papas hätten nichts dazu beigetragen, das kann man glauben oder nicht. Und als die Autos später erst für viel zusätzliches Geld für Polizeizwecke nachgerüstet werden mussten, brauchte dies den Vermittler Kulczyk nicht mehr zu interessieren. Wenig später kaufte er die bis dahin staatliche Telefongesellschaft Telekomunikacja Polska S. A.. Die Kredite dafür bekam er – staatlich garantiert – von der nach wie vor staatlichen PKO Bank Polski. 2005 verkaufte er die Anteile mit Gewinn an France Telecom. Vermutlich das Geschäft seines Lebens machte er, als er 1996 einen Minderheitsanteil an dem gerade erst entstehenden Mobilfunkanbieter Era erwarb, den er 2006 für das Vierzigfache des Einstiegspreises an die Deutsche Telekom weiterreichte. Als Goldgrube erwies sich auch der Einstieg in die Betreibergesellschaft der »Autobahn der Freiheit«, die von der Grenze bei Frankfurt an der Oder nach Warschau verläuft. Kulczyk übernahm einen etwa 250 Kilometer langen Abschnitt von Rzepin, kurz hinter der Grenze, bis zur Stadt Konin, von dem er die letzten 50 Kilometer schlicht und einfach vom Staat geschenkt bekam. Dort, zwischen Wresnia und Konin, war bereits in den 1970er Jahren eine autobahnartige Schnellstraße gebaut und bis vor einigen Jahren für den Nutzer kostenfrei betrieben worden. Heute zahlt man auf Kulczyks Autobahn umgerechnet 20 Cent pro Kilometer, das ist so viel wie in Italien und für polnische Verhältnisse sehr teuer. Entsprechend dient die Autobahn den Reichen Polens und seiner östlichen Nachbarn dazu, ihre Karossen einmal ordentlich auszufahren. Das offizielle Tempo 140 interessiert niemanden. Auch ein Geschäftsmodell. Der Lkw-Verkehr dagegen wälzt sich aus Kostengründen weiterhin durch die Ortschaften entlang der alten Straße.

Kulczyk stand immer wieder im Verdacht, in eine der vielen Korruptionsaffären des kapitalistischen Polens verwickelt gewesen zu sein. Es war ihm jedoch nie etwas nachzuweisen. Auffällig ist, dass er nach den letzten derartigen Vorwürfen seine Investitionstätigkeit ins Ausland verlegte und sich aus Polen zurückzog, wobei er sein Inlandsgeschäft marktschonend liquidierte, indem er es bei Gelegenheit einer Scheidung seiner Exfrau überließ.

Kulczyk verstand sich früh auf die »Pflege der politischen Landschaft«. Er hielt Kontakt zu den alten »Genossen« der postsozialistischen Sozialdemokratie und kungelte gleichzeitig mit dem damaligen Staatspräsidenten Lech Walesa. Er gab sich als aufgeklärter Kapitalist mit Verständnis für den Umweltschutz, auch wenn er zuletzt vorwiegend in Öl- und Gasprojekte von der Ukraine bis Nigeria investierte. Kulczyk spendete viel für Kunst und Kultur, unter anderem umgerechnet fünf Millionen Euro für das neue Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau und 1,25 Millionen Euro für ein Multimediazentrum am Marienwallfahrtsort Czestochowa. Er zu diesem Zeitpunkt schon geschieden, aber das hinderte die Bischöfe nicht, das Geld des »Sünders« anzunehmen. Das kirchliche Begräbnis dürfte gesichert sein.

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. Juli 2015


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