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Polen blinkt rechts

Oppositionskandidat Andrzej Duda gewinnt Präsidentenstichwahl. Wahlbeteiligung bei 52, in den PiS-Hochburgen bei 70 Prozent

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka *

Bei der Stichwahl zum Präsidentenamt in Polen hat Andrzej Duda seinen Erfolg aus der ersten Runde ausbauen können. Der Politiker der nationalkonservativen Oppositionspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) bekam nach den am Montag vorliegenden Hochrechnungen am Sonntag 52 Prozent der Stimmen. Er gewann damit einen knappen, aber deutlichen Vorsprung gegenüber dem Amtsinhaber Bronislaw Komorowski.

Duda verdankt seinen Sieg vor allem der hohen Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Während die Wahlbeteiligung im Landesdurchschnitt bei 52,3 Prozent lag, erreichte sie in den PiS-Hochburgen im Süden und Osten den für polnische Verhältnisse sensationellen Wert von 70 Prozent. Dieser liegt auch weit über der langjährigen Wahlbeteiligung in diesen Regionen. Außerdem gelang es Duda offensichtlich, den Großteil der im ersten Wahlgang an diverse rechte Protestkandidaten wie Pawel Kukiz und Janusz Korwin-Mikke gegangenen Stimmen abzuräumen. Duda hatte im Wahlkampf auch soziale Akzente gesetzt und unter anderem angekündigt, die unpopuläre Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre zurückzunehmen, die Komorowski vor zwei Jahren durch seine Unterschrift in Kraft gesetzt hatte. Für die kleinen Ladenbesitzer hatte Duda die Ankündigung einer Sondersteuer für die – alle ausländischen Konzernen gehörenden – Supermärkte im Angebot. Dem klerikal gesinnten Teil der Wählerschaft hatte er versprochen, die eingeschränkte Bezahlung der künstlichen Befruchtung durch die Krankenkassen wieder zurückzunehmen. Seine Wahlkampfpolemik gegen die ungesicherten und mies bezahlten Arbeitsverhältnisse, die Millionen von Polen das Leben schwermachen, milderte Duda schon am Morgen nach der Wahl ab. Von den sogenannten Drecksverträgen müsse man »nach und nach abkommen«.

All diese Projekte gehören freilich im technischen Sinne nicht zu den Kompetenzen des Präsidentenamtes. Der Staatspräsident hat in Polen ähnlich wie in Deutschland überwiegend repräsentative Aufgaben; er kann zwar eigene Initiativen ergreifen, muss aber dann für diese Mehrheiten im Parlament finden. Ein Großteil von Dudas Wahlversprechen setzt entsprechend voraus, dass seine Partei im Herbst auch die Parlamentswahl gewinnen und dann »durchregieren« kann. Duda hat zwar am Montag angekündigt, individuell aus der Partei von Jaroslaw Kaczynski austreten zu wollen; er wolle der Präsident aller Polen sein. Doch wird er einen Stab von PiS-Politikern in seine Kanzlei berufen, darunter für das Ressort Europapolitik einen Professor namens Krzysztof Szczerski, der Polen wieder zu einer »konfessionellen Republik« machen und dem Episkopat ständige Sitze im Senat, dem polnischen Oberhaus, zuschanzen möchte. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski zeigte sich übrigens am Wahlsonntag nicht auf Dudas Wahlparty. Als dies Journalisten auffiel, ließ er mitteilen, er habe den Wahlabend im Marienwallfahrtsort Czestochowa verbracht, um das Land »der Fürsorge der Muttergottes anzuempfehlen«. Wahrscheinlicher ist, dass er bei dieser Gelegenheit mit dem einflussreichen Abt des dortigen Klosters über eine Zusammenarbeit mit der konservativen Fraktion des Klerus im Parlamentswahlkampf beraten hat. Auch Duda hatte sich in seiner Kampagne auf geistlichen Beistand verlassen können: Einige seiner Wahlkampfauftritte hatte er gleich von Kirchenkanzeln aus absolviert.

Nach Dudas Sieg dürfte es für die seit acht Jahren regierende rechtsliberale Bürgerplattform schwer werden, in den wenigen Monaten bis zur Parlamentswahl die Initiative zurückzugewinnen. Ihr gewichtigster Vorwurf gegen Duda war zuletzt, er blockiere seine Planstelle an der Juristischen Fakultät der Krakauer Universität, weil er dort als Abgeordneter beurlaubt ist, aber nebenher noch an einer Privathochschule Vorlesungen gehalten habe. Außerdem rechnet die Bürgerplattform vor, dass eine Rücknahme der Erhöhung des Rentenalters »viel zu teuer« sei und »die Jungen« für »die Alten« in Haftung nehme. Genau weil sie diese neoliberale Rhetorik leid sind, haben offenbar diesmal auch viele junge Wähler für Duda gestimmt. Auch soziale Proteste in Polen kommen meist in rechtem Gewand daher.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Mai 2015


Rechte Hoffnung

Olaf Standke über die Präsidentschaftswahl in Polen **

Schon Polens Noch-Präsident Bronislaw Komorowski versteht sich als Konservativer, auch wenn er auf dem Ticket der liberalen Bürgerplattform reiste. Und doch kann man von einem Rechtsruck in Warschau sprechen.

Schon Polens Noch-Präsident Bronislaw Komorowski versteht sich als Konservativer, auch wenn er auf dem Ticket der liberalen Bürgerplattform reiste. Und doch kann man von einem Rechtsruck in Warschau sprechen. Denn das Lager der extremen Nationalkonservativen hat einen neue Star, der bisher als Hinterbänkler der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) galt: Andrzej Duda gewann auch die Stichwahl um das höchste Staatsamt. Sie war vor allem eine Wählerabrechnung mit der verfehlten Politik von Regierungschefin Ewa Kopacz und mehr noch ihres Vorgängers Donald Tusk, der als EU-Ratspräsident nach Brüssel gewechselt ist.

Gerade die soziale Unzufriedenheit ist in Polen offensichtlich viel größer, als es die Regierenden in ihrer Selbstgefälligkeit wahr haben wollten. Duda, der sich im Wahlkampf zwar stramm patriotisch, aber nicht ganz so eurokritisch wie die PiS präsentierte, will nun Präsident aller Polen sein und das Parteibuch abgeben. Für PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ist das Votum jedoch vor allem ein Signal mit Blick auf die Parlamentswahl im Herbst und nur der erste Schritt auf dem Weg zurück zu Macht. Ob der neue Staatschef dabei mehr ist als seine Marionette, wird man nach der letzten Ära der Kaczynski-Zwillinge an Polens Spitze samt außenpolitischem Rüpel-Kurs auch in Brüssel und Berlin mit Interesse verfolgen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. Mai 2015 (Kommentar)




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