Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ukraine-Krieg als Chance

Polens Rüstungsindustrie wittert Geschäftsmöglichkeiten beim östlichen Nachbarn. Militärs warnen vor Alleingängen

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka *

Polen ist schon seit Beginn des Konflikts im Donbass einer der wichtigsten westlichen Lieferanten für das ukrainische Militär. Es begann mit einer Art »Ameisenhandel«: Ukrainer überquerten massenhaft die Grenze nach Polen und bekamen in den grenznahen Städten Lublin oder Przemyśl von »Freiwilligen« persönliche Schutzausrüstungen wie Helme und kugelsichere Westen ausgehändigt. Diese »exportierten« sie individuell und gaben sie in der Ukraine an die Nationalgarde oder die Freiwilligenbataillone weiter.

Finanziert wurde das Ganze von sogenannten Nichtregierungsorganisationen wie der »Open Dialogue Foundation« in Warschau, die ihre Finanzberichte an das polnische Außenministerium richtet und auf ihrer Sponsorenliste auch das Warschauer Goethe-Institut aufführt. Ein Verfahren wegen illegalen Waffenexports gegen den ukrainischen Partner der Stiftung wurde im Herbst 2014 wegen »geringer Sozialschädlichkeit« eingestellt.

Kein Wunder, denn in der zweiten Jahreshälfte 2014 ist die polnische Rüstungswirtschaft in das Geschäft mit dem Krieg in der Ukraine eingestiegen. Tausende Helme und Splitterschutzwesten gingen ebenso über die Grenze wie einige Dutzend Nachtsichtgeräte eines optischen Betriebs aus Warschau. Man hätte auch mehr geliefert, aber das scheiterte am Geld.

Wie die Zeitung Rzeczpospolita Anfang dieser Woche berichtete, soll sich das ändern. Die Chefs mehrerer Unternehmen der staatlichen Rüstungsholding Polska Grupa Zbrojeniowa (PGZ) seien in der vergangenen Woche zu einer »diskreten Verkaufsmission« in Kiew gewesen. Nach Informationen der Zeitung ging es insbesondere um Artillerieleitsysteme und Aufklärungsdrohnen, Scharfschützengewehre und um Zusammenarbeit bei der Modernisierung der sowjetischen Panzer im Bestand der ukrainischen Armee.

Die ukrainische Rüstungswirtschaft des Landes produziert zwar offiziell rund um die Uhr, leidet aber daran, dass etliche Komponentenfertiger aus den Aufstandsgebieten im Donbass als Zulieferer ausgefallen sind. Kiew wären nach dem Bericht polnische Firmen an deren Stelle willkommen – allerdings sind es kapitalistische Unternehmen, und für ein »Djakuju« (ukrainisch: Dankeschön) werden sie nicht liefern. Der Branchenverband der polnischen Rüstungsindustrie beschwert sich über Unklarheiten bei der Auftragsvergabe – man wisse nicht immer, ob hinter Bestellungen aus der Ukraine staatliche Garantien stünden und ob Geld vorhanden sei.

Polnische Politikwissenschaftler zweifeln im übrigen daran, ob die Ukraine die Lieferungen aus dem Ausland überhaupt brauche. Andrzej Wilk vom Institut für Oststudien, das dem Warschauer Außenministerium untersteht, hält den ukrainischen Ruf nach westlichen Waffensystemen für eine in erster Linie psychologische Aktion der Kiewer Regierung.

Nach mehreren militärischen Niederlagen gegen die Aufständischen brauche sie sichtbare Zeichen westlicher Unterstützung, um ihre eigene Basis bei der Stange zu halten und zu verhindern, dass sich die Moral der Armee noch weiter auflöse. In dieser Situation wartet das offizielle Warschau offensichtlich auf die Entscheidung der USA, ob diese in die Aufrüstung der ukrainischen Armee einsteigen, bevor es der eigenen Rüstungsindustrie grünes Licht gibt. Denn bei allem Interesse daran, eine prowestliche Ukraine als Pufferstaat zwischen dem eigenen Land und Russland zu wissen, will Warschau in dem Konflikt keine Alleingänge starten, mit deren Folgen es allein fertig werden müsste.

Der pensionierte Vizegeneralstabschef Leon Komornicki warnte dieser Tage vor der Gefahr, dass polnische Waffen in ukrainischer Hand Moskau ein weiteres Argument liefern könnten, die Aufständischen ganz offen aufzurüsten. Und Russlands Möglichkeiten auf diesem Gebiet seien größer als alles, was Polen leisten könne.

Überdies wächst in Warschau wie auch in anderen westlichen Hauptstädten offenbar die Sorge, dass westliche Waffenlieferungen in unkontrollierbare Hände fallen könnten, mit anderen Worten: Dass frisch aufgerüstete Freiwilligenbataillone sich von der Regierung in Kiew lossagen und einen Krieg auf eigene Rechnung führen könnten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. Februar 2015


Zurück zur Polen-Seite

Zur Polen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage