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Massenstreiks in Spanien und Portugal

Beteiligung höher als zuletzt im März / Zahlreiche Verletzte und Festnahmen

Von Ralf Streck, San Sébastian *

Erstmals legte am Mittwoch ein 24-stündiger Generalstreik das öffentliche Leben auf der gesamten iberischen Halbinsel lahm. Mehrere Millionen Europäer haben am Mittwoch auf den Straßen und Plätzen in mehr als 20 Ländern ihrem Ärger über die Sparmaßnahmen Luft gemacht. Bei Generalstreiks in Spanien, Italien, Portugal und Griechenland stand das öffentliche Leben still. Am Rande der Proteste gab es Festnahmen und Verletzte.

Ein voller »Erfolg« war der Generalstreik am Mittwoch der spanischen und portugiesischen Gewerkschaften. »Wir müssen für unsere Rechte, die Zukunft unserer Kinder und für die Arbeitsplätze im Land kämpfen«, sagte der Chef des großen portugiesischen Gewerkschaftsverbands CGTP, Arménio Carlos. Er hatte den Anstoß zum ersten gesamtiberischen Generalstreik im Oktober gegeben. Carlos nannte den »Kampftag« auf einer Pressekonferenz »einen der größten und wichtigsten Generalstreiks«, den das Land jemals erlebt habe. Besonders große Auswirkungen hatte er im öffentlichen Dienst, wo sogar 80 Prozent der portugiesischen Justizangestellten gestreikt haben sollen. Schulen waren geschlossen, der Müll blieb liegen, in Krankenhäusern gab es nur Notdienste. Züge, Fähren, Metros und Busse fielen in den Städten fast vollständig aus, weil Notdienste oft nicht eingehalten wurden. Hoch war die Beteiligung auch in den Häfen und der Industrie.

In mehreren spanischen Städten kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikposten und der Polizei. Als hunderte Demonstranten eine Polizeiabsperrung zur Plaza de Cibeles in Madrid durchbrechen wollten, schlugen Beamte der Antiaufruhreinheiten mit Schlagstöcken auf sie ein und feuerten mit Gummigeschossen. Landesweit wurden nach Angaben des Innenministeriums 34 Menschen Zusammenstößen verletzt, darunter 18 Polizisten. Mehr als 80 Menschen wurden festgenommen. Für den Abend waren zwei Großkundgebungen in Madrid geplant.

Der Chef der spanischen großen Arbeiterkommissionen (CCOO), Ignacio Fernández Toxo, und der Chef der kleineren Arbeiterunion (UGT), Cándido Méndez, sprachen von einer größeren Beteiligung als am 29. März, als gegen die Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy gestreikt worden war. Cándido Méndez sagte, die Arbeiter in Spanien hätten sich mehrheitlich an dem Streik beteiligt, »um nicht unumkehrbar in den Abgrund« gestoßen zu werden. Beide Gewerkschafter hoben es als »historisch« hervor, dass es Proteste in 23 Ländern gab und werfen ihrer Regierung Wahlbetrug vor. Vor einem Jahr hatte Rajoy die Wahlen mit den Versprechen gewonnen, die Steuern zu senken, den Kündigungsschutz nicht anzugreifen, die Schere nicht am Bildungs- und Gesundheitssystem anzusetzen und keine Banken mit Steuermilliarden zu retten. Das Gegenteil hat er getan und mit dem Haushalt 2013 werden die Maßnahmen noch verschärft.

Anders als die Empörten-Bewegung und die CGTP in Portugal, die auch von vielen Militärs unterstützt werden, setzen die Gewerkschaften in Spanien aber nicht auf den Sturz der Regierung. Sie wollen Rajoy nur zur Umkehr zwingen. Die kleineren anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CGT und CNT und die Empörten trauen ihnen nicht. Sie verweisen darauf, dass CCOO und UGT auch die Rentenreform einschließlich der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 im Jahr 2010 abgenickt haben. CGT und CNT demonstrierten deshalb nicht gemeinsam mit den großen Gewerkschaften.

In Portugal nehmen CGTP und Empörte die Stimmung der Bevölkerung auf. Viele Menschen fühlen sich von Coelho verraten und verkauft. Seine Partei hatte die sozialistische Regierung im Frühjahr 2011 wegen ihres Sparkurses nicht mehr unterstützt und Neuwahlen erzwungen. Seit Coelho regiert, hat er die Sparpolitik aber noch verschärft. Durch Steuererhöhungen könnten die Beschäftigten ab 2013 erneut bis zu zwei Monatslöhne verlieren. Positive Effekte blieben bisher aus, die Arbeitslosigkeit ist auf den Rekordwert von 16 Prozent gestiegen.

Dass die Beteiligung in Portugal größer als im März war, ist dem Unmut zu verdanken, der schon im September fast eine Million Menschen gegen den Sparkurs auf die Straßen trieb. Der CGTP hat geschafft, dass sich nun aus dem kleineren Gewerkschaftsverband 30 Einzelgewerkschaften und 28 unabhängige Arbeitnehmerorganisationen angeschlossen haben.

Obwohl die Lage in Spanien mit einer Arbeitslosenquote von 26 Prozent deutlich zugespitzter ist, gelingt es CCOO und UGT nicht, dies für sich umzumünzen. Im Baskenland wurde am Mittwoch kaum gestreikt. Der UGT-Gewerkschafter Marcelino Salvador bedauert, dass die baskischen Gewerkschaften nicht mit zum Streik aufgerufen haben. »Die Uneinigkeit schadet uns Arbeitern enorm«, sagte er.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 15. November 2012

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