Ein Hauch von Nelkenrevolution
In Portugal wird der Ruf nach Sturz der skandalgeschüttelten konservativen Regierung lauter
Von Ralf Streck, Lissabon *
Portugal begeht heute (25. April) feierlich und
kämpferisch den 39. Jahrestag der
Nelkenrevolution. Wohl nie in den
vergangenen Jahren war die Stimmung
am »Tag der Freiheit« so rebellisch.
Eine Mehrheit in Portugals Bevölkerung
will die konservative
Regierung von Pedro Passos Coelho
»zum Teufel jagen«. Das Revolutionslied
»Grândola, Vila Morena
« erlebt eine Renaissance,
dessen Ausstrahlung im Radio am
25. April 1974 um 0:30 das Startsignal
für den von linken Militärs
angeführten friedlichen Sturz der
Diktatur gab. Überall wird wieder
»Grândola, braungebrannte Stadt,
Heimat der Brüderlichkeit« besungen,
in der »das Volk bestimmt
«. Die angezählte Regierung
stolpert derweil von Skandal
zu Skandal. Sogar das Verfassungsgericht
wirft ihr längst ein
»Suchtverhalten« bei Verfassungsverstößen
vor. Die große sozialistische
Oppositionspartei trägt
die Sparpolitik nicht mehr mit und
hat der Regierung das Misstrauen
ausgesprochen. Mario Soares,
einst Ministerpräsident und graue
Eminenz der Partei, gab zu, auch
mit Regierungsvertretern im Gespräch
zu sein, »um diese Regierung
zu stürzen«. Erst kürzlich
hatte er vor »sozialen Unruhen«
gewarnt, weil seinen Landsleuten
der Kragen platze.
Die Lage für Coelhos Sozialdemokratische Partei (PSD) (die in
Wirklichkeit konservativ ist) und für ihren rechtsliberalen Partner CDS-PP hat sich weiter zugespitzt. In den letzten Tagen wurden »hochspekulative« Geschäfte staatlicher Wasser-, Öl- und Verkehrsbetriebe bekannt. Die gingen komplizierte Deckungsverträge
mit ausländischen und einheimischen
Banken ein. Betroffen sind laut Medienberichten
die U-Bahn-Betreiber von Lissabon und
Porto sowie das Eisenbahnnetz
Refer. Die Zeitung »Publico« berichtete, die eigentlich zur
Absicherung gegen Zinsschwankungen gedachten Finanzpapiere
hätten die Zinsen für die öffentlichen
Unternehmen um 20 Prozent in die Höhe getrieben.
Nach eigenen Angaben bemüht sich die Regierung
schon seit zwei Monaten in Verhandlungen mit den Banken, die Verluste für den Staat zu minimieren. Bis Ende der Woche sollen die Ergebnisse
bekannt gegeben werden. Die Verluste dürften sich
auf mindestens drei Milliarden
Euro belaufen. Der Rechnungshof hatte
längst davor gewarnt.
Die Summe ist noch höher
als die Lücke, die das
Verfassungsgerichtsurteil
kürzlich im Haushalt gerissen
hat, weil darin die Lasten nicht
gerecht verteilt waren. Sogar
Empfänger von Kranken- und Arbeitslosengeld
sollten geschröpft
und erneut Renten und Löhne im
Staatsdienst gekürzt werden, obwohl
das Gericht derlei schon 2011
annulliert hatte. Nun muss noch
stärker gespart werden, obwohl es
in Behörden längst kein Klopapier
mehr gibt und in Gerichten Papier
fehlt, um Urteile kopieren zu können.
Das Land werde »lahmgelegt
«, meint auch Coelhos Parteikollegin
Manuela Ferreira Leite,
Spitzenkandidatin der PSD in der
Hauptstadt.
Wegen Skandalen musste die
Regierung zuletzt in nur zehn Tagen
zwei Mal umgebildet werden,
erneut wurden drei Staatssekretäre
entlassen. Zuvor trat Superminister
Miguel Relvas zurück, der
2007 sonderbarerweise in nur einem
Jahr einen Politologieabschluss
im dritten Anlauf erlangt
hatte. Von 36 Prüfungen legte er
nur vier ab. Seit fast einem Jahr
ist das bekannt, doch erst jetzt zog
Pedro Passos Coelho Konsequenzen.
Sein harter Sparkurs geht auch
nicht auf. Die europäische Statistikbehörde
hat nun mitgeteilt,
dass das Haushaltsdefizit 2012
wieder um zwei Prozentpunkte
auf 6,4 Prozent gestiegen ist
– der größte Anstieg
aller Länder. Portugal
durchlebt die tiefste Rezession
seit 1974. Nur noch die Arbeitslosigkeit
floriert. Der Schuldenstand
ist auf gefährliche 124
Prozent der Wirtschaftsleistung
gestiegen.
Auch der Präsident der Wirtschaftskommission,
Luis Campos Ferreira (PSD), spricht von der
»schwierigsten Situation», die das
Land jemals durchgemacht hat.
»Wir müssen im Jahr acht Milliarden
Euro an Zinsen bezahlen,
das ist der größte Posten im Haushalt.
« So wird auch an Gesundheit
und an Bildung gespart, womit
dem Land die Zukunft verbaut
werde, kritisiert die Opposition. In
Scharen verlassen gut ausgebildete
junge Menschen wegen einer
Jugendarbeitslosigkeit von fast 40
Prozent das Land. »Ich glaube,
dass man in zwei Jahren positive
Effekte feststellen wird«, sagt
Ferreira. Hoffnung auf baldige
Besserung kann er
der Bevölkerung offensichtlich
nicht machen.
In zwei Jahren wird es eine andere
Regierung geben, ist
eine große Mehrheit
im Land überzeugt. Etwas
wird passieren, denn längst gärt
es auch im Militär stark. Auch Offiziers-
und Soldatenvereinigungen
fordern den Sturz der Regierung. Sie sahen sich
bisher nicht zu einem friedlichen
Putsch berufen, weil man es nicht
mehr mit einer Diktatur zu tun habe.
Da die Regierung aber immer
klarer gegen die Verfassung verstößt,
ändert sich die Stimmung in
den Streitkräften.
Auch die Mittelschicht sieht
keine Zukunft mehr. »Hier bricht
alles zusammen», resümiert Artur
Sosa in einer langen Schlange vor
dem Arbeitsamt in Lissabon. Hoffnungen
auf einen Job macht sich
der 49-Jährige längst nicht mehr:
»Was soll ich erwarten, wenn nicht
mal Studierte einen Job finden?«
Auch den Gewerkschaften reicht
es. »Der Hunger ist zurück«, stellt
Arménio Carlos fest, Chef des großen
Gewerkschaftsverbandes. Das
sei vor zwei Jahren noch undenkbar
gewesen. Der Revolutionstag
und der 1. Mai würden
nicht bloß »Gedenktage« sein. Es
stünden »entscheidende Momente
« an, in denen der Regierung und
der EU-Kommission von der
Mehrheit klargemacht werde: »Es
reicht!«
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 25. April 2013
Zurück zur Portugal-Seite
Zurück zur Homepage