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Finanz-Fado in Portugal

Regierung beantragt Hilfskredite der EU / Summe könnte bis zu 90 Milliarden Euro betragen

Von Ralf Streck, Madrid *

Als drittes Land im Euroraum nach Griechenland und Irland hängt künftig auch Portugal am EU-Finanztropf.

Lange hatte Portugals Regierung beteuert, keine EU-Hilfen zu benötigen. Doch nun will der geschäftsführende Ministerpräsident José Sócrates einen entsprechenden Antrag in Brüssel stellen. »Wir haben einen Zeitpunkt erreicht, wo ein Verzicht auf diese Entscheidung unzumutbare Risiken für dieses Land bedeuten würde«, sagte Sócrates am Mittwochabend im Fernsehen und klang dabei melancholisch wie ein Fado-Sänger. Letzter Anstoß war, dass Portugal für Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit mittlerweile fast zehn Prozent Zinsen zahlen muss.

Sócrates macht die Opposition für die Lage verantwortlich. Rechte wie linke Oppositionsparteien hatten kürzlich im Parlament den vierten Sparplan der Minderheitsregierung abgelehnt, worauf der Ministerpräsident zurücktrat. Beide Vorgänge hätten die Lage dramatisch zugespitzt, versuchte Sócrates, der bis zu den Neuwahlen am 5. Juni kommissarisch regiert, sich zu rechtfertigen.

Dabei wäre Selbstkritik seiner sozialdemokratisch orientierten Sozialistischen Partei durchaus berechtigt. Entgegen allen Warnungen gab Sócrates vor einem Jahr den gemäßigten Kurs zur Haushaltskonsolidierung auf. Drastische Sparpläne trieben das Land in die Rezession. Damit brachen Steuereinnahmen ein und die Sozialausgaben stiegen. Weil zudem die hohen Zinsen den Schuldendienst verteuern, wird in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit von 8,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwartet – geplant waren 7,3 Prozent.

Für die explodierenden Zinsen sorgten immer neue Abstufungen der Bonitätsnote Portugals durch Ratingagenturen. Grundlos hatte Moody's vor 16 Monaten plötzlich dem Land einen »langsamen Tod« prophezeit. Dabei liegt es bei der Gesamtverschuldung unter dem EU-Durchschnitt. Als der von Ratingagenturen geforderte Sparkurs eingeleitet wurde, änderte sich deren Argumentation: Nun wurde das aus dem Sparkurs resultierende schwache Wachstum als Begründung für weitere Herabstufungen genannt; heute liegt Portugal bei der Bonität hinter Kasachstan. Da die EU-Partner Lissabon nicht unterstützten, wurde das ärmste Land Westeuropas zum leichten Opfer von Spekulanten.

Die Wirtschaftszeitung »Diario Económico« berichtete gestern unter Berufung auf Regierungskreise, Lissabon werde in Brüssel 90 Milliarden Euro beantragen, 5 Milliarden mehr als Irland. Die erste Tranche der EU-Hilfen dürfte schon Anfang Mai eintreffen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte jetzt, der Hilfsantrag werde »in schnellstmöglicher Weise entsprechend den einschlägigen Regeln behandelt«. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte die Entscheidung Portugals einen »vernünftigen und notwendigen Schritt«. Dagegen kritisierte sein schwedischer Kollege Anders Borg, Sócrates hätte den Hilfsantrag schon viel früher stellen sollen. Portugal habe sich selbst und Europa in eine sehr schwierige Lage gebracht.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


Schockstarre

Angst vor Rezession in Portugal nach Bankrotterklärung. Regierungschef Sócrates kriecht unter Euro-Rettungsschirm

Von Mirko Knoche **


Alles Werben um die Gunst der Zocker war vergebens. Portugal muß sich unter den Euro-Rettungsschirm flüchten und beantragt Hilfen in Höhe von bis zu 90 Milliarden Euro. Diese Zahl nannte die Wirtschaftszeitung Diario Económico am gestrigen Donnerstag. Nach Irland hängt Portugal nun als zweite Euro-Nation am Tropf des europäischen Rettungsfonds. Für Griechenland hatten die europäischen Staats-und Regierungschefs noch eine gesonderte Lösung gefunden. Der Schutzschirm ist mit gravierenden Einschnitten in die Souveränität der Empfängerländer verbunden. Wer Geld aus diesem Topf bezieht, muß sich an strenge Auflagen der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds (IWF) halten. Die Vorgaben greifen direkt in die Haushaltshoheit der Mitgliedsstaaten ein. Deshalb hatte sich die Lissaboner Regierung lange gegen die Inanspruchnahme des Rettungsfonds gesträubt.

Hunger droht

Die staatliche Bankrotterklärung wurde in Portugal mit Entsetzen aufgenommen. »Da kommt ein Tsunami auf uns zu«, sagte der Staatssekretär für Industrie, Carlos Zorrinho. Über Parteigrenzen hinweg geht jetzt die Angst vor einer schweren Rezession um. Die finanziellen Einschnitte würden tiefer sein als alle bisherigen, so die Befürchtung. Die Kirche warnt vor Not und Hunger. »Immer mehr Menschen kommen zu uns, weil sie sich entscheiden müssen, ob sie Lebensmittel oder Medikamente kaufen«, mahnte eine Caritas-Sprecherin. Dabei steckt das Land mitten im Wahlkampf, weil Premier José Sócrates Ende März seinen Rücktritt eingereicht hat. Unmittelbar zuvor hatte die sozialistische Minderheitsregierung im Parlament eine Mehrheit für ihren Sparkurs verfehlt. Die konservativen Sozialdemokraten (PSD) hatten Sócrates auflaufen lassen. Seither ist er nur noch kommissarisch bis zu Wahl Anfang Juni im Amt. Ihm war es nicht gelungen, das Land aus eigener Kraft an den Finanzmärkten zu stabilisieren. In der Folge stuften die Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit Portugals an den Kapitalmärkten herunter.

Sócrates hat in der Vergangenheit drei Sparpakete gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung durchgeboxt. Dabei verließ er sich auf die konservative PSD. Die entzog den Sozialisten im März bei der vierten Sparrunde jedoch die Unterstützung und geriert sich seither als Anwalt der kleinen Leute. Die Konservativen wollen den Popularitätsverlust des Premiers nutzen und ihn an der Regierungsspitze beerben. Die sozialen Proteste gegen die Kürzungspolitik stützten sich indes nicht nur auf die linken Parteien und Gewerkschaften, sondern besonders auf die »Generation in der Klemme«, also auf die am Arbeitsmarkt abgehängten Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Mit dem Schritt unter den Euro-Rettungsschirm schürt die Lissaboner Regierung jetzt weiteren Unmut im Land. Denn die Etats, etwa für Soziales oder Bildung, können nun nicht mehr beschlossen werden, ohne das ferne Brüssel und den IWF in Washington um Erlaubnis zu bitten. Das Ziel der EU-Kommission und des Währungsfonds ist es dabei nicht, die Bevölkerung zu beruhigen. Es geht darum, den Forderungen der Gläubiger Portugals nachzukommen. Das sind nicht nur die vielgescholtenen Börsenhaie, sondern auch die institutionellen Anleger. Dazu gehören sowohl die Deutsche Bank als auch die großen Versicherungen. Denn die Versicherungswirtschaft legt ihr Kapital vorwiegend in festverzinslichen Wertpapieren an, wie die Financial Times Deutschland am Donnerstag in Erinnerung rief. Die Geschäftsbanken schöpfen Geld, indem sie es billig bei der Europäischen Zentralbank (EZB) leihen, um es zu hohen Zinsen an die Euro-Schuldnerstaaten weiterzureichen. Wegen der beträchtlichen Gewinnspannen aus diesen Schleusergeschäften haben verschiedene Ökonomen verlangt, die Banken künftig zu umgehen und die Kredite der Zentralbank als Euro-Bonds zu einem einheitlichen Zinssatz an die Mitgliedsstaaten zu vergeben. Ein solcher Zinssatz wäre für Staaten wie Portugal, Irland oder Griechenland deutlich billiger.

Spanien nächstes Opfer?

Im Moment bleibt die EU beim Konzept des Rettungsschirms. Sein Umfang beträgt 750 Milliarden Euro, die aber nicht in bar zur Verfügung stehen. Zu 440 Milliarden Euro besteht der Fonds aus Garantien der Euro-Länder. Dazu kommen 60 Milliarden Euro von der EU-Kommission und 250 Milliarden Euro vom IWF. Der Schirm läuft Mitte 2013 aus und wird dann durch ein ähnliches Gebilde mit vergleichbaren finanziellen Mitteln ersetzt. Die Bundesregierung hatte sich erfolglos dagegen gewehrt, daß die Gelddruckmaschine unbefristet weiterläuft. Sie wollte Euro-Bonds durch die Hintertür verhindern.

Nachdem Portugal als dritter Euro-Staat eine Insolvenz gegenüber den ausländischen Gläubigern nur mit fremder Hilfe abwenden konnte, richten sich die Augen nun auf Spanien. Dessen Regierung hatte es gestern laut dpa vorsorglich »total ausgeschlossen«, Gelder von EU und IWF anzunehmen. Diese Dementis waren zuvor aber auch aus den Hauptstädten der anderen drei Länder zu vernehmen. »Spanien ist auf gutem Weg«, beruhigte auch der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn die nervösen Märkte.

** Aus: junge Welt, 8. April 2011


Der Pleitegeier kreist weiter

Die Bankrottspekulationen über Griechenland finden kein Ende

Von Anke Stefan, Athen ***


Die Spekulationen, dass Griechenland vor dem Bankrott steht, haben wieder Konjunktur, ebenso wie die postwendenden Dementis. Vertragsarbeiter der Athener Stadtverwaltung protestierten in di Vertragsarbeiter der Athener Stadtverwaltung protestierten in dieser Woche gegen ihre Entlassung. Ungeachtet aller Entwarnungsbekundungen aus EU-Hauptstädten: Die Schuldenkrise im Euroland schwelt weiter. Auch Portugal benötigt jetzt Hilfskredite. Und Griechenland steckt trotz einer milliardenschweren Rettungsaktion wieder in Finanzturbulenzen. Dabei hatte die Regierung in Athen, wie gefordert, harte Sparpakete beschlossen. Diese treiben seit Monaten viele Menschen auf die Straße.

Es ist nicht das erste Mal, dass international darüber spekuliert wird, ob Griechenland trotz Milliardenkrediten vor dem unmittelbaren Staatsbankrott steht. Üblicherweise werden solche Spekulationen von angesehenen Publikationen unter Bezugnahme auf »hochrangige, aber anonyme Quellen« in die Welt gesetzt und ebenso regelmäßig von Griechenland sowie seinen Kreditgebern umgehend zurückgewiesen.

So dementierte auch der Internationale Währungsfonds (IWF) Anfang der Woche die vom deutschen Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« verbreitete Information, der IWF dränge hinter den Kulissen Griechenlands Regierung zu einer »Umschuldung«. Die Veröffentlichung entbehre jeder Grundlage, hieß es beim IWF, der auf die Verlautbarung des Direktors der IWF-Europa-Abteilung, Antonio Borges, verwies. Dieser hatte bei einem ähnlichen Anlass vor wenigen Wochen versichert, die Schulden Griechenlands seien sehr wohl rückzahlbar und auch der Bankensektor des Landes mache Fortschritte.

Trotz aller Dementis aber wollen die Unkenrufe nicht verstummen. Im Gegenteil, angesichts der Inanspruchnahme des Europäischen Rettungsschirms durch das neue Sorgenkind Portugal und die neuesten Zahlen aus dem kriselnden Griechenland mehren sich die Stimmen sogar innerhalb der Regierungspartei, die sich für einen Schuldenschnitt aussprechen. Das Haushaltsdefizit lag Ende 2010 nicht wie bisher angenommen bei 9,4, sondern bei 10,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit sowohl weit über den ursprünglich angepeilten 8,1 und erst recht über den vom EU-Stabilitätspakt erlaubten drei Prozent. Und für die ersten drei Monate des laufenden Jahres stellten die Finanzprüfer bereits eine neue Lücke von 1,1 Milliarden Euro zwischen tatsächlichen und angestrebten Staatseinnahmen fest. Die Staatsverschuldung selbst ist auf fast 150 Prozent des BIP angewachsen, die Wirtschaft im letzten Jahr um über vier Prozent geschrumpft und für dieses Jahr wird ein weiteres Schrumpfen um etwa drei Prozent vorausgesagt. Und auch die viel beschworenen Fortschritte des einheimischen Bankensektors stehen auf tönernen Füßen. Erst kürzlich beschloss die Regierung in Athen eine neue 30 Milliarden Euro schwere Finanzierungsspritze für den griechischen Kreditsektor.

Während die Linke des Landes schon seit längerem davon ausgeht, dass die eingeschlagene Politik das Land früher oder später in die Pleite treiben wird, hat Finanzminister Giorgos Papakonstantinou nun auch mehr und mehr mit Widerstand in der eigenen Partei zu kämpfen. So sprachen sich erstmalig am Dienstag auf einer Sitzung der PASOK-Parlamentariergruppe Politiker – darunter Vasso Papandreou – offen für einen Schuldenschnitt aus. »Ständig reden wir davon, dass keine neuen Sparmaßnahmen ergriffen werden und ergreifen dann welche«, warf Frau Papandreou der eigenen Regierung vor. Die Umsetzung der Politik führe zu Fehlergebnissen, das Programm gehe nicht auf und müsse geändert werden, forderte die ehemalige Ministerin. Nach Meinung des letzte Woche aus den USA zu Gesprächen mit der Regierung angereisten Finanzmagnaten George Soros haben die Finanzmärkte de facto ohnehin eine Umschuldung eingeleitet. Dort werden griechische Bonds nämlich bereits zu etwa 30 Prozent unter Nennwert gehandelt.

Eine Umschuldung sei ausgeschlossen, erwiderte Finanzminister Papakonstantinou. Nach den Plänen der Regierung soll der eingeschlagene Weg strikt weiter verfolgt werden. Die immer wieder entstehenden Lücken sollen mit noch drastischeren Einsparungen geschlossen, die Staatsschulden mit dem Verkauf von Staatsunternehmen und der Überlassung von Liegenschaften abgebaut werden. Die Versilberung des öffentlichen Eigentums dürfte auch der eigentliche Anlass des Besuches des umstrittenen Finanzspekulateurs George Soros gewesen sein.

*** Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


Der Rubikon in der Euro-Krise

Linke Ökonomen warnen vor Schuldenschnitt

Von Kurt Stenger ****


Linke Ökonomen fordern einen Kurswechsel der europäischen Politik, um die Schuldenspirale zu stoppen.

Erst Griechenland, dann Irland, jetzt ist Portugal an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten und benötigt Hilfskredite. Kürzlich hatte der EU-Gipfel einen dauerhaften Rettungsmechanismus beschlossen, um ein solches Szenario zu vermeiden – offenbar erfolglos, wie das Hilfsgesuch Lissabons zeigt.

»Der Rettungsschirm ist gut, auch wegen seiner langfristigen Perspektive, er reicht aber nicht für eine Beruhigung«, sagt Gustav A. Horn, wissenschaftlicher Direktor des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Vielmehr gehe es um Maßnahmen, die einen »geordneten Entschuldungsprozess« der betroffenen Länder ermöglichen. Horn schlägt – wie andere – die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds vor, der Euro-Bonds mit niedrigem Zinssatz für alle Mitgliedstaaten ausgeben müsste. Die Europäische Zentralbank müsste dies geldpolitisch unterstützen – die jetzt beschlossene Leitzinserhöhung sei »symbolisch falsch«.

Die eigentliche Ursache für die Schuldenprobleme, erläutert Stephan Schulmeister vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), ist das auf dem Kapitalmarkt kräftig gestiegene Zinsniveau von Anleihen einzelner Euro-Staaten. Zinsen von zehn Prozent und mehr, wie sie Griechenland und Portugal Investoren derzeit bieten müssen, könne kein Land verkraften. Das WIFO hat die Wirkungen eines einheitlich niedrigen Zinssatzes von drei Prozent für Staatsanleihen im Euroraum durchgerechnet – Ergebnis: Die Staatsverschuldung im gesamten Euroraum würde mittelfristig deutlich sinken – und zwar erheblich stärker als mit den beschlossenen oder angekündigten Sparmaßnahmen. Zudem würde ein niedriger Zinssatz es den betroffenen Ländern ermöglichen, zu investieren und für nachhaltigen Aufschwung zu sorgen, was die Schuldensituation weiter entspannen würde.

Ein »Haircut« (Schuldenreduzierung durch Teilverzicht der Gläubiger) ist für die beiden Ökonomen kein Ausweg. Dies klinge zwar gerecht, wäre aber »ökonomisch schädlich«, meint IMK-Chef Horn. Ein solcher Staatsbankrott wäre der »Rubikon, der nicht überschritten werden darf«. Dadurch würden die Risikoprämien aller Euroländer steigen, was die Schuldensituation generell verschlimmern würde. Wie WIFO-Experte Schulmeister erläutert, würden die Gläubiger auch bei dem Vorschlag niedriger Zinsen beteiligt werden: durch erheblich geringere Renditen. Dies sei allemal besser als die abrupte Abschreibung von Forderungen mit schwer absehbaren Folgen.

Horn warnt indes vor einem einfachen Weiter-so auf EU-Ebene: »Wenn man keine vernünftige Regelung findet, die einen Staatsbankrott ausschließt, würde es sofort Spekulationen gegen das nächste Land geben.« Dies könnte Spanien sein.

**** Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


Arm und Reich

Von Kurt Stenger *****

Wohlfahrtsverbände in Portugal berichten von zunehmender Not und Hunger. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei über elf Prozent. Die Folgen der rigiden Sparprogramme bekommen diejenigen zu spüren, die am wenigsten für die Schuldenkrise im ärmsten Land Westeuropas können. Und von den erwarteten EU-Hilfskrediten haben sie ebenfalls nichts Positives zu erwarten – sie werden nur in Verbindung mit weiteren harten sozialen Einschnitten zu haben sein.

Portugal ist zum Opfer einer massiven Spekulation geworden, die von den unverantwortlich agierenden Ratingagenturen erst richtig angefacht wurde. Zocker konnten gleich doppelt abkassieren: zunächst mit Wetten auf den Kursverfall der Staatsanleihen und dann mit den extrem hohen Zinsen auf neue Anleihen, deren Bedienung künftig mit Hilfe des Rettungsschirms garantiert wird.

Es ist nun wirklich offensichtlich, dass das Krisenmanagement der EU nicht greift. Griechenland ist trotz der Hilfskredite in erneute Turbulenzen geraten. Und Portugal wurde in eine Finanzklemme getrieben, obwohl das Land nie unseriös gewirtschaftet und auch keine stürzenden Banken mit Megasummen gerettet hat. Es braucht nicht gewaltige Hilfspakete mit rigiden Sparauflagen, sondern ein stabil niedriges Zinsniveau, das Zocken unmöglich machen würde. Nur dann gäbe es auch eine wirtschaftliche Perspektive für das Land – Voraussetzung wiederum für einen Abbau der sich verschärfenden Armut.

***** Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011 (Kommentar)


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