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Portugals Regierung zerbröckelt

Premier Coelho sucht nach Strohhalmen

Von Ralf Streck, San Sebastian *

In Portugal hält die Welle von Ministerrücktritten an, aber Ministerpräsident Pedro Passos Coelho bleibt stur: Er will das Land »nicht im Stich lassen«. Die Blicke richten sich nun auf Staatspräsident Anibal Cavaco Silva.

Nachdem Finanzminister Vítor Gaspar bereits am Montag den Hut genommen hatte, trat am Dienstagabend auch Außenminister Paulo Portas zurück. Die konservative Regierungskoalition stand damit bereits auf der Kippe. Am Mittwoch spitzte sich die Lage für Ministerpräsident Pedro Passos Coelho weiter zu: Während er sich auf dem Weg nach Berlin zur »Konferenz zur Förderung der Jugendbeschäftigung« befand, kündigten portugiesische Medien die bevorstehenden Rücktritte von Landwirtschaftsministerin Assunção Cristas, Sozialminister Pedro Mota Soares und vier Staatssekretären an.

Es konnte nicht überraschen, dass die übrigen Regierungsmitglieder der konservativen Volkspartei (CDS-PP) ihrem Parteichef Portas folgen würden. Coelhos Sozialdemokratische Partei (PDS), tatsächlich rechts, verfügt nach dem faktischen Zerbrechen der Koalition nicht mehr über die Mehrheit. Und selbst PDS-Führungsmitglieder wie der frühere Innenminister Ângelo Correia sprechen nun von Neuwahlen.

Correia konnte schon nach Portas' Abgang nicht mehr erkennen, wie sich Premier Coelho an der Regierung halten will. »Das Land braucht Stabilität«, sagte er. Alle politischen Akteure hätten verstanden, dass die Vorgänge schlecht für das Land seien, kritisierte er PDS und CDS-PP.

Coelho selbst aber hatte sich noch am Dienstagabend in einer Fernsehansprache geweigert, den Rücktritt des Außenministers anzunehmen. Obwohl Portas seinen Schritt als »unwiderruflich« bezeichnet hatte, wollte Coelho ihn bewegen, das Amt weiterzuführen, um seine Regierung zu retten.

Das scheint indes unmöglich zu sein, denn dazu müsste er seine neue Finanzministerin entlassen. Dass Coelho gegen den Willen der CDS-PP die bisherige Finanzstaatssekretärin Maria Luis de Albuquerque zur Nachfolgerin Gaspars machte, hatte Portas und die CDS-PP erzürnt. Albuquerque soll den Sparkurs fortführen, der in der CDS-PP längst Widerspruch hervorgerufen hat, weil das Land immer tiefer in die Rezession gerät, die Arbeitslosigkeit neue Rekordwerte erreicht und das Haushaltsdefizit nicht sinkt. Portas hatte erwartet, dass der Abgang von Finanzminister Gaspar einen »neuen politischen und ökonomischen Zyklus« ermöglicht. Seinen Rücktritt begründete er mit »bekannten Differenzen« zum Sparkurs.

Coelho klammert sich indes weiter an jeden Strohhalm: »Ich trete nicht zurück«, sagte er, »Ich werde das Land nicht im Stich lassen.« Das klang wie das berühmte Pfeifen im Walde. Die Blicke richten sich derweil auf Präsident Anibal Cavaco Silva. Oppositionsparteien, Gewerkschaften und sogar Arbeitgeberverbände fordern von ihm die Auflösung der Regierung und die Ansetzung von Neuwahlen. Für den heutigen Donnerstag hat Cavaco Treffen mit Coelho und dem sozialistischen Oppositionsführer António José Seguro angesetzt. Neuwahlen hatte er zwar bisher als »Atombombe« bezeichnet, doch nicht ausgeschlossen, sie unter »besonderen Umständen« wie einer »politischen Krise« einzusetzen. Die Börse in Portugal stürzte angesichts des Regierungschaos am Mittwoch so stark ab, wie seit 1998 nicht mehr.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


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