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"Portugals Regierung ist am Ende"

Linkspolitikerin Marisa Matias über die Krise der politischen Führung in ihrem Land *


Am Montag trat Portugals Finanzminister Vitor Gaspar zurück. Einen Tag später folgte Außenminister Paulo Portas, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei CDS-PP und Juniorpartner in der Koalition mit der konservativen PSD. Im Land wird der Ruf nach Neuwahlen lauter. Über die Regierungskrise sprach Dominic Heilig mit der Europaabgeordneten und stellvertretenden Vorsitzenden der Europäischen Linken Marisa Matias vom Linksblock (Bloco de Esquerda).


Am Montag noch dachte man, der Rücktritt des parteilosen Finanzministers sei harmlos. Nun gibt es eine ausgewachsene Regierungskrise. Warum?

Vitor Gaspar ist ein Technokrat und an der Demokratie gescheitert. Ein Mann mit den besten Beziehungen zur Troika und zur Europäischen Zentralbank. Bereits vor acht Monaten wollte er zurücktreten, blieb dann aber, um die Evaluation der Kürzungspolitik durch die Troika abzuwarten. Vor wenigen Wochen kassierte dann das Verfassungsgericht viele seiner zentralen Sparvorhaben. Letztlich ist er mit allem gescheitert, und so war es nur konsequent zurückzutreten. Dass ihm Außenminister Paulo Portas gefolgt ist, hat die Situation verschärft.

Paulo Portas ist Vorsitzender des kleineren Koalitionspartners von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho (PSD). Was waren die Gründe für seinen Rückzug?

Offiziell war Portas nicht mit der Entscheidung von Ministerpräsident Passos Coelho einverstanden, Finanzstaatssekretärin Maria Luis de Albuquerque zur Nachfolgerin Gaspars zu machen. Sie ist eine der umstrittensten Politikerinnen des Landes. Hinter den Kulissen aber gibt es schon seit Langem Konflikte zwischen den Koalitionspartnern. Was in den letzten Monaten hier in Portugal passierte, ist das Gegenteil von dem, was die Regierung als Ziel ihrer Politik kommunizierte: Stabilität.

Ist nun zu erwarten, dass die Koalition endgültig zerfällt?

Das bleibt abzuwarten. Ministerpräsident Coelho verfügt ohne die rechtspopulistische CDS-PP nicht mehr über die Mehrheit im Parlament. Am Mittwoch hat er deshalb den Rücktritt von Portas abgelehnt und ist erst einmal zu Bundeskanzlerin Angela Merkel gereist. Für gestern war ein Treffen zwischen Portas und Coelho geplant. Portas nennt seinen Rücktritt »unwiderruflich«. Ihm gehen die Privatisierungen und die Kürzungspolitik seit geraumer Zeit zu weit. Das ist der Knackpunkt in der Koalition. Festzuhalten bleibt dennoch, dass Portas die rechtskonservative Regierung unter Coelho erst ermöglicht hatte. Deshalb bleiben Gewerkschaften und Linke bei ihrer Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen.

Der Druck auf die Regierung ist zuletzt noch einmal gewachsen. In der vergangenen Woche gab es einen weiteren Generalstreik. Liegen darin die eigentlichen Beweggründe für Portas' Rückzug?

Der Generalstreik am 27. Juni war viel stärker als der im November vergangenen Jahres. Diesmal hat sich auch der private Sektor zu großen Teilen beteiligt. Zuvor gab es zudem einen Ausstand der Lehrer, die gegen Lohnkürzungen und weitere Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen an den Schulen protestierten. In dieser Woche musste die Regierung schließlich nachgeben. Das war ein großer Erfolg für die Protestbewegung. Für Sonnabend sind erneut landesweite Proteste angekündigt, mit einem Ziel: die gesamte Regierung zum Rücktritt zu zwingen.

Ohne eigene Mehrheit kann Ministerpräsident Coelho auch nicht weitermachen. Was nun?

Das Verrückte ist doch, dass Portas zwar seinen Rückzug aus der Regierung erklärt hat, seine Partei aber anscheinend Teil der Koalition bleiben will. Die Verhandlungen über neue Koalitionsbedingungen führt nun der Vorsitzende der CDS-PP: Paulo Portas. Hätte man mir all das vor einem Jahr gesagt, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Was jetzt geschieht, ist das bloße Klammern an die Macht.

Wenn es aber doch zu Neuwahlen kommen sollte, welche Chancen hätte der Bloco do Esquerda?

Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Zuspruch erhalten, wie im Übrigen die gesamte politische Linke im Land und die Gewerkschaften. Ich hoffe, dass wir gemeinsam und erfolgreich für einen Politikwechsel streiten werden. Klar ist: Die Regierung ist am Ende und mit ihr auch die unsozialen Kürzungspakete in Portugal und die Politik der Troika in Europa. Das Defizit steigt in den zweistelligen Bereich, die Arbeitslosenquote ist längst zweistellig und die fortgesetzten Privatisierungen zerstören massiv die Sozialsysteme.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 5. Juli 2013


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