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Schweinische Probleme

Nach Griechenlands Ruin richten die Finanzmärkte nun ihren Blick auf Portugal. Soziale Abwehrkämpfe vor neuen Herausforderungen

Von Peter Steiniger *

Nicht alle Schweine sind gleich: Portugal ist nicht (wie) Griechenland. Der Vergleich wird in diesen Tagen auch am Tejo viel strapaziert. Er klingt wie ein Bannspruch, der ein drohendes Übergreifen der monetären Krise in Hellas auf das nächste schwache Glied in der EU-Kette abwenden soll. Doch das in den Medien und in der Finanzwelt mittlerweile eingebürgerte Acronym »PIGS« (engl.: Schweine), welches für die Anfangsbuchstaben Portugals, Italiens, Griechenlands und Spaniens steht und die weiche Flanke der Euro-Länder markiert, besudelt das iberische Land nicht ganz willkürlich.

Portugal hat mit einer anhaltenden und tiefgreifenden strukturellen Krise zu kämpfen. Die verarbeitende Industrie steht unter dem wachsenden Konkurrenzdruck anderer Billiglohnländer. Die Landwirtschaft ist wenig effizient, eine starke Migration aus dem Binnenland in die küstennahen Zentren verstärkt ökonomische und soziale Disparitäten. Das Sprudeln der Einnahmequelle Tourismus ist stark abhängig von externen Faktoren. Eine Flaute in reicheren EU-Ländern wie Großbritannien, Spanien oder Deutschland, die einen Großteil der Besucher stellen, sorgt auch für Ebbe an den Stränden.

In der Abwärtsspirale

Gemessen an den Stabilitätskriterien für die Europäische Währungsunion (Maastrichter Vertrag) hat Lissabon reichlich Dreck am Stecken. Trotz einer zunehmend restriktiven Haushaltspolitik konnte die Staatsverschuldung nie auf die festgeschriebene Höchstgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gedrückt werden. Im vergangenen Jahr schnellte sie auf über 77 Prozent hoch. Während 2008 das Defizit im Etat auf 2,7 Prozent des BIP und damit auf den niedrigsten Wert seit der Wiedererlangung der Demokratie 1974 gedrückt werden konnte, wurde 2009 schon mit einem Minus von 9,4 Prozent abgeschlossen. Nach einer Dauerstagnation von mehr als einem Jahrzehnt mit sinkender Binnenkaufkraft schlägt nun zusätzlich die weltweite Rezession kräftig durch und bringt Portugals Ökonomie auf Talfahrt.

Die Krise macht sich nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Seit dem Sommer vergangenen Jahres ist die offizielle Erwerbslosenquote von 9,1 Prozent auf 10,5 Prozent gestiegen. 570000 Portugiesinnen und Portugiesen sind nun bei den Arbeitsämtern gemeldet. Tatsächlich stehen sogar 660000 Menschen auf der Straße, rechnet die größte Gewerkschaftszentrale des Landes, CGTP-Intersindical, vor. Der Anteil Dauerarbeitsloser stieg im Laufe eines Jahres um 34 Prozent. Prekäre Beschäftigung nimmt einen großen Raum ein. Fast jeder fünfte Arbeitsvertrag ist nur auf Zeit -- eine doppelt so hohe Rate wie unter griechischen Verhältnissen. Statistisch lebt jeder fünfte Portugiese unterhalb der Armutsgrenze.

Kampfansage von links

Die Themen Arbeit und Löhne prägten folgerichtig landesweit auch die Veranstaltungen und Demonstrationen zum Maifeiertag. Die sich als Klassenorganisation verstehende Intersindical, die am Sonnabend zugleich den 40. Jahrestag ihrer Gründung beging, stellt sich dabei klar in Opposition zur Politik der Sozialisten (PS) unter Premier José Sócrates. Dessen »Stabilitäts- und Wachstumsprogramm« (Programa de Estabilidade e Crescimento -- PEC) würde verstärkt jenen Kurs fortsetzen, welcher zu einem Rückgang der Produktivität, zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und mehr sozialer Ungleichheit geführt habe. Es sieht unter anderem Kürzungen bei den Sozialausgaben, insbesondere der Arbeitslosenunterstützung, vor, sowie eine höhere Besteuerung des Mittelstands und weitere Privatisierungen von Staatsvermögen. Die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen eingefroren werden. Alles in allem ein Wunschkonzert für die EU-Kommission und die Akteure auf dem Kapitalmarkt. Dort möchte man Kreditwürdigkeit zurückgewinnen. So, wie das Kaninchen auf die Schlange, schaut die politische Führung im »PIGS«-Staat auf die Noten der Ratingagenturen, nachdem in der zurückliegenden Woche als erste Standard & Poor's (S&P) Portugal abwerteten und so dessen Zugang zu Kapital verteuerten. Die Agentur Fitch lobte unterdessen die Regierung Sócrates und ließ ihr das zweifelhafte Kompliment zukommen, »daß die finanzielle Situation Portugals nicht so ernst ist wie die Spaniens«.

»Nach Griechenland wurden in dieser Woche Portugal und Spanien Opfer brutaler Attacken des spekulativen Kapitals«, mahnte auf ihrer Lissaboner Maikundgebung auch die den Sozialisten nahestehende Gewerkschaft UGT (União Geral de Trabalhadores). Portugal dürfe sich nicht beugen, forderte UGT-Chef João Proença. Zugleich begrüße er »den Dialog zwischen der Regierung und der größten Opposi­tionspartei«. Sócrates steht einer Minderheitsregierung vor, die beim PEC den Schulterschluß mit den rechtsliberalen Sozialdemokraten (PSD) unter Passos Coelho praktiziert -- eine Art informelle Große Koalition. Viel politischen Kredit auf der Linken hat er ohnehin nicht zu verspielen.

Intersindical nutzte den 1. Mai, um einmal mehr den politischen Kurswechsel einzufordern. Bereits in den vergangenen Monaten sahen sich die Regierenden mit Streiks und Massenaktionen konfrontiert, wie sie Portugal seit Jahrzehnten nicht mehr kannte. Parlamentarische Unterstützung kommt von den Kommunisten (PCP) und dem pluralen Linksblock (BE). Für den 29. Mai kündigte CGTP-Generalsekretär Manuel Carvalho da Silva einen nationalen Protesttag an.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


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