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Portugal im Spartaumel

Trotz Protesten und anhaltender Rezession verabschiedete das Parlament den strengsten Haushalt seit Jahren

Von Ralf Streck *

3,9 Milliarden Euro will das Krisenland Portugal 2014 einsparen. Das sieht der am Dienstagabend verabschiedete Haushalt vor. Präsident Silva soll nun das Verfassungsgericht anrufen.

Dass es der Haushalt 2014 in sich hat, sieht der portugiesische Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva so wie viele tausende Demonstranten, die am Dienstagabend in der Innenstadt von Lissabon und sogar im Parlament lautstark die Kürzungspläne der Regierung und Parlamentsmehrheit kritisierten. Mit den Stimmen der Abgeordneten der liberal-konservativen Koalition von Pedro Passos Coelho wurde der strengste Sparetat des Landes seit 1977 verabschiedet. Das ist nicht nur für die Gewerkschaften, die den Protest am Dienstag organisiert hatten, ein Schlag ins Gesicht.

Silva will nun unter anderem wegen einer »Sondersteuer« für Rentner, die »Frustration« schaffen könne, weil ihr Vertrauen zerstört werde, die Kürzungspläne vom Verfassungsgericht prüfen lassen. Allein 700 Millionen der insgesamt 3,9 Milliarden Euro, die eingespart werden sollen, werden aus Rentenkürzungen erwartet. Wurden viele Senioren schon früher zur Kasse gebeten, sollen nun auch niedrige Renten belastet werden. Wer eine Pension von mehr als 600 Euro erhält, müsse eine Kürzung um bis zu zehn Prozent hinnehmen. Auch bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst wird erneut die Schere angesetzt. »Es ist unmöglich, das Haushaltsdefizit zu senken und das Vertrauen unserer internationalen Geldgeber zu gewinnen, ohne die Gehälter im öffentlichen Dienst und die Renten zu senken«, so Coelho.

Der Regierungschef bemüht sich derzeit besonders eifrig, die Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank zufriedenzustellen. Dem neuen Haushalt kommt besondere Bedeutung zu, da Portugal im Juni den Euro Rettungsschirm verlassen und sich wieder eigenständig über die Kapitalmärkte refinanzieren will. Die ambitioniertesten Spar- und Kürzungspläne seit fast 40 Jahren bedeuten Einschnitte im Staatshaushalt in einer Höhe von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Vor den Toren des Parlaments kündigte der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes (CGTP), Armenio Carlos, eine neue Protestwoche vom 16. bis zum 20. Dezember an. »Dieser Haushalt zerstört die Wirtschaft, schafft Arbeitslosigkeit und forciert die Auswanderung, kürzt Gehälter und Renten, reduziert die Sozialausgaben, verstärkt die Verarmung der Beschäftigten und schafft mehr Millionäre.« Mit einer großangelegten Mahnwache wollen die Gewerkschaften am 19. Dezember vor den Nationalpalast zu Belém ziehen. Am Sitz des Präsidenten werden sie einfordern, den Haushalt zunächst dem Verfassungsgericht vorzulegen.

Der Präsident kann Gesetze vor seiner Unterschrift den Verfassungsrichtern vorlegen, um zu ermitteln, ob verfassungswidrige Maßnahmen geplant sind. Silva kann aber auch einem Gesetz zunächst sein Plazet geben und danach prüfen lassen. Dies erlaubt es, dass die geplanten Maßnahmen zunächst am 1. Januar in Kraft treten. Im vergangenen Jahr hatte sich Silva für letzteres Vorgehen entschieden. Da er zu den Parteikollegen des Ministerpräsidenten zählt, wird vermutet, dass er es nun erneut tut. Dabei hätte er gute Gründe, Coelho nicht wieder beizuspringen. Die Verfassungsrichter kippten immer wieder zentrale Kürzungspläne. Zwar segneten sie am Montag die Anhebung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich mit einer knappen Mehrheit von nur einer Stimme ab. Aber kurz zuvor verhinderten sie wichtige Teile der Arbeitsmarktreform. Das Gericht bescheinigte der Regierung ein »Suchtverhalten« bei Verfassungsverstößen. Der Haushalt müsse sich an der Verfassung orientieren und nicht die Verfassung am Haushalt, urteilte es im Frühjahr zum Haushalt 2013.

Die Gewerkschaften diskutieren nun einen neuen Generalstreik, sollte Silva den Haushalt mit seiner Unterschrift in Kraft treten lassen. Nachdem die Regierungsparteien bei den Kommunalwahlen eine schwere Schlappe einstecken mussten, hätten sie keinerlei demokratische Legitimität mehr, meinen Gewerkschaftsführer und fordern ihren Rücktritt sowie vorgezogene Neuwahlen.

Sogar Unternehmerverbände und die Zentralbank (BdP) gehen davon aus, dass die gerade begonnene Erholung der Wirtschaft mit massiven Sparmaßnahmen abgewürgt werden könnte. Die BdP rechnet damit, dass neue Kredite wegen Gehalts- und Rentenkürzungen faul werden. Sie wies am Dienstag auch darauf hin, dass schon die hohe Arbeitslosigkeit von fast 16 Prozent die Ausfallquote negativ beeinflusst habe.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 28. November 2013


Kreative Strategie

Gewerkschaftlicher Kampftag gegen neuen Sparetat in Portugal

Von Peter Steiniger **


Gegen eine Fortführung der Rotstiftpolitik und mit der Forderung nach einer sofortigen Entlassung der Regierung sind am Dienstag in Portugal an zahlreichen Orten Zehntausende auf die Straße gegangen. Die größte Gewerkschaftszentrale des iberischen Landes, die kommunistisch orientierte CGTP-Intersindical, hatte aus Anlaß der Verabschiedung des Haushaltes für das kommende Jahr zu einem »Nationalen Tag der Empörung, des Protestes und des Kampfs« aufgerufen. In der Hauptstadt Lissabon führten mehrere Demonstrationszüge, zu Blöcken hinter den Bannern ihrer Gewerkschaften formiert, zum Parlamentsgebäude, um dort gegen den härtesten Sparetat seit Jahrzehnten zu protestieren. Mit Transparenten und Losungen brachten die Teilnehmer ihre Wut über immer schlechtere Lebensbedingungen zum Ausdruck und forderten »Wahlen jetzt!«. Das mit den Stimmen der liberal-konservativen Mehrheit der Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho von der Assembleia da República beschlossene Gesetz sieht Kürzungen von fast vier Milliarden Euro vor, was 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Portugals entspricht. Gespart werden soll vor allem im Öffentlichen Dienst und bei den Renten der staatlich Bediensteten. Während vor den Türen demonstriert wurde, auch mehrere Abgeordnete der Kommunisten und KP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa beteiligten sich, machten sich drinnen während der Debatte auch von der Zuschauertribüne des Parlaments Protestierer mit Rufen nach Rücktritt der Regierung bemerkbar.

Bei geplanten Aktionen, welche die Sicherheitskräfte und den Geheimdienst völlig überraschten, drangen Gewerkschafter in vier Ministerien – für Wirtschaft, Umwelt, Finanzen und Gesundheit – ein, um diese symbolisch für mehrere Stunden zu besetzen. CGTP-Generalsekretär Arménio Carlos verteidigte die gewaltfreien Aktionen als »eine Strategie des Kampfes gegen die Gewalt, welche diese Regierung dem Land und dem portugiesischen Volk antut«. Die CGTP bewertet den Protesttag als »weiteren wichtigen Schritt«, um das Ende »einer unmoralischen und verlogenen Regierung« schneller herbeizuführen, welche die Ausbeutung verschärfe, die Arbeitenden und Rentner beraube – und so die Armut und den sozialen Ausschluß ausweite.

Nach einem Jahrzehnt wirtschaftlicher Stagnation war das unter strukturellen Problemen und dem Konkurrenzdruck vor allem osteuropäischer Niedriglohnländer leidende Portugal von Finanzmärkten und Ratingagenturen ins Visier genommen worden und hatte massiv an Kreditwürdigkeit eingebüßt. Am Rande des Haushaltskollapses stehend, wurde es 2011 mit einem 78 Milliarden Euro schweren Hilfspaket der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gestützt und faktisch unter deren Führungsaufsicht gestellt. Der von den mittlerweile oppositionellen Sozialisten mit ausgehandelte Pakt verpflichtet das Land zu strengen Sanierungsmaßnahmen, Privatisierungen und einer weiteren Deregulierung seines Arbeitsmarktes. Die Teuerung und der Rückgang von Investitionen verschärfen die Rezession und haben zu einer Rekord-Arbeitslosigkeit geführt. Hunderttausende, vor allem jüngere und besser qualifizierte Portugiesen, haben ihrem Land auf der Suche nach besseren Perspektiven den Rücken gekehrt.

Die CGTP hat angekündigt, den Regierenden noch vor Weihnachten weitere Bescherungen zu besorgen. Im Zentrum einer landesweiten Aktionswoche vom 16. bis 20. Dezember sollen Forderungen nach einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und für die Rechte der Beschäftigten stehen. Für den 18. Dezember wird zu einer Großkundgebung vor dem Amtssitz des konservativen Staatspräsidenten Anibal Cavaco Silva aufgerufen, der den Etat mit seinem Veto noch stoppen könnte.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 28. November 2013


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