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Zehntausende Portugiesen wollen die Troika jagen

Die Empörten-Bewegung ruft zu landesweitem Protest gegen Sparprogramme und steigende Arbeitslosigkeit auf

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Am Samstag wird erneut in Portugal gegen die Sparpolitik der konservativen Regierung protestiert. Die Empörten-Bewegung ruft zu Demonstrationen im ganzen Land auf, um die »Troika zum Teufel zu jagen«.

Vertreter der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) sind erneut in Portugal eingetroffen. Sie überprüfen die Umsetzung der Programme, die dem Land 2011 aufgezwungen wurden, als es 78 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds erhielt.

Die Empörten sind überzeugt, dass die Portugiesen wegen der Maßnahmen verarmen und das Land in den Ruin gespart wird. Das sieht auch der große Gewerkschaftsverband CGTP so, weshalb CGTP-Chef Armenio Carlos seine Mitglieder zur Teilnahme an den zahlreichen Protestaktionen aufrief. Selbst Militärvereinigungen sind dabei. Lima Coelho, Sprecher der Offiziersverbands ANS, sagte gegenüber der portugiesischen Zeitung Publico von Freitag: »Wir sind Teil der Gesellschaft und werden an der Seite unserer Familien stehen.« Die CGTP läutet einen Protestmonat ein, der in einer landesweiten Demonstration am 27. März in Lissabon kulminieren soll. Am Jugendtag soll darauf hingewiesen werden, dass schon 40 Prozent der jungen Menschen keinen Job mehr haben und 30 Prozent der Kinder in Armut leben oder von ihr bedroht sind.

Die fatale wirtschaftliche Entwicklung bestätigt die Kritiker. Die Wirtschaftsleistung Portugals ist im vierten Quartal um 1,8 Prozent geschrumpft, im Jahresvergleich sogar um 3,8 Prozent. Portugal macht sich nach Griechenland auf den Weg von der Rezession in die Depression. Dabei wollte noch im Januar Ministerpräsident Pedro Passos Coelho von der liberal-konservativen Partido Social Democrata (PSD) ein Licht am Ende des Tunnels gesehen haben. Doch davon ist auch bei ihm zur Zeit keine Rede mehr. Finanzminister Vitor Gaspar prognostiziert, die portugiesische Wirtschaft werde 2013 mit zwei Prozent doppelt so stark schrumpfen wie Lissabon bisher erwartete. Gaspar wäre froh, wenn es dabei bliebe.

Denn längst dreht sich die gefährliche rezessive Spirale. Die Arbeitslosigkeit steigt und hat im Februar den Rekordwert von 17,6 Prozent erreicht. Die portugiesische Zentralbank macht die fallende Inlandsnachfrage dafür verantwortlich. Dazu kommt, dass die Außenhandelsstrategie nicht aufgeht. Zwar nahmen die Exporte 2011 um zehn Prozent zu und konnten den Binnenkonsum zum Teil kompensieren, doch 2012 stiegen die Ausfuhren nur noch um 5,8 Prozent. Die Kaufkraft der Bevölkerung wurde aber zum 1. Februar erneut durch die Erhöhung der Einkommenssteuer um 30 Prozent beschnitten.

Die Wettbewerbsfähigkeit über Lohndumping zu erhöhen, hat genauso wenig wie ein gelockerter Kündigungsschutz und niedrigere Abfindungen für neue Jobs gesorgt. Da mit der Arbeitslosigkeit Steuereinnahmen sinken und Sozialausgaben steigen, kann die Regierung auch nicht die vereinbarten Defizitziele einhalten. Die mussten 2012 längst nach oben korrigiert werden. Nur durch die Verschiebung von Milliarden aus Rentenkassen und Einmalerlöse aus Privatisierungen - 2012 vor allem durch den Verkauf von Flughäfen - konnte das Land die Ziele erfüllen. Viel Tafelsilber bleibt aber nicht, nachdem auch schon die Anteile an Energieversorgern verhökert wurden.

Auch Gaspar und Coelho glauben nicht, das Haushaltsdefizit 2013 auf wenigstens 4,5 Prozent drücken zu können. Sie fordern erneut mehr Zeit, um das Stabilitätsziel von drei Prozent zu erfüllen, obwohl dem Land schon ein Jahr mehr (bis 2015) eingeräumt wurde. In Brüssel gibt es Bereitschaft für eine weitere Verlängerung. Längst wird in der Eurogruppe debattiert, die Rückzahlung der Rettungsmilliarden weit in die Zukunft zu verschieben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 02. März 2013


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