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Portugal nun in rechter Not

Konservative werden künftig auch das ärmste Land Westeuropas regieren

Von Ralf Streck *

»Dies ist meine Niederlage.« Mit diesen Worten übernahm ein geschlagener José Sócrates am Sonntag (5. Juni) die Verantwortung für das Debakel seiner Sozialistischen Partei (PS) bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Portugal.

José Sócrates, seit dem 12. März 2005 Ministerpräsident Portugals, trat in Lissabon vor seine enttäuschten Anhänger und zog die Konsequenzen aus dem schlechtesten Wahlergebnis der Sozialisten seit mehr als 20 Jahren. Mit 28,1 Prozent der Stimmen blieb sie noch hinter den schlimmsten Prognosen zurück. 2005 war Sócrates mit einer absoluten Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt worden.

Mit geröteten Augen und sichtlich berührt legte der 53-jährige den Parteivorsitz nieder. »Ich glaube, die Zeit für einen neuen politischen Zyklus in der PS ist gekommen.« Er selbst will keine politischen Ämter mehr bekleiden und wird auch dem neuen Parlament nicht angehören. Obwohl demnach Politrentner, versprach Sócrates, die PS werde ihre Stimmen in den Dienst Portugals stellen, und deutete damit Bereitschaft zu Verfassungsänderungen an, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. »Diese Zeiten fordern von uns Verantwortlichkeit, Dialog und Übereinkünfte.«

Mit »diesen Zeiten« umschrieb er schamhaft die schwere Krise, in der Portugal kürzlich EU-Nothilfe in einer Höhe von 78 Milliarden Euro beantragen musste und für die er die Quittung der Wähler erhielt.

Derweil feierten die Anhänger der rechten Sozialdemokratischen Partei (PSD) bereits ausgelassen ihren Wahlsieg. Der 46-jährige konservative Ökonom Pedro Passos Coelho wird Portugals neue Regierung führen. Auf seine PSD entfielen 38,7 Prozent der Wählerstimmen – fast 10 Prozentpunkte mehr als im Jahre 2009. Mit 105 Sitzen fehlen ihr nur 11 Mandate an der absoluten Mehrheit. Und da der traditionelle Koalitionspartner der PSD – das Demokratisch-Soziale Zentrum/Volkspartei (CDS-PP) – mit 11,7 Prozent und 24 Sitzen sein bestes Ergebnis seit 28 Jahren einfuhr, verfügt die künftige Regierung über ein ausreichendes Polster. PP-Chef Paulo Portas erklärte: »Wir sind bereit für eine stabile Mehrheit in den kommenden vier Jahren.« In der neuen Koalition müssten freilich die »Politik und die Ziele der CDS-PP mehr Bedeutung erhalten«. Mehrere Kommentatoren gaben zwar zu bedenken, ob Portugal in »diesen Zeiten« mit einer großen Koalition aus PSD und PS nicht besser fahre, doch Coelho erteilte solchen Überlegungen bereits eine Absage.

Der künftige Regierungschef will vor allem »das Vertrauen der Märkte« und des Auslands zurückgewinnen, um eine Staatspleite zu vermeiden. Er kündigte an, das harte Sparprogramm zu verwirklichen, das die EU, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) Portugal als Preis für ihre Nothilfe aufgezwungen haben. Schon die Sparpakete der PS hatten das Land zurückgeworfen in die Rezession. Wegen steigender Zinslasten, Sozialkosten und Steuerausfälle konnte das Haushaltsdefizit nur geringfügig auf 9,1 Prozent gesenkt werden. Wird stärker gespart, fällt Portugal wie Griechenland noch tiefer in die Rezession. Die Arbeitslosigkeit – derzeit bei 13 Prozent – wird weiter steigen. Coelho verlangte jedenfalls eine »große Dosis Mut und Geduld«, damit das Land in »zwei oder drei Jahren« wieder prosperieren könne.

Zweifelsohne stehen den Portugiesen harte Zeiten bevor. Die Proteste gegen Privatisierungen, Entlassungen und Einschnitte ins Sozialsystem werden zunehmen. Wie groß der Unmut schon jetzt ist, wurde am Sonntag vor allem daran deutlich, dass nie zuvor so wenige zur Parlamentswahl gingen. Mehr als 41 Prozent der 9,6 Millionen Stimmberechtigten blieben zu Hause, weil sie das Vertrauen in die Parteien verloren haben.

Auch den Linken, die sich gegen die Kürzungsorgien der Regierung gewandt hatten, gelang es nicht, Zehntausenden unzufriedenen jungen Leuten Hoffnung einzuflößen. Zwar zogen sowohl das Wahlbündnis von Kommunisten und Grünen (CDU) als auch der Linksblock (Bloco de Esquerda) wieder ins Fünf-Parteien-Parlament ein, doch ihre Erwartungen erfüllten sich nicht. Die CDU verbuchte mit 7,9 Prozent immerhin noch einen winzigen Stimmengewinn von 0,08 Prozentpunkten (16 Mandate). Der »Bloco«, der als »verantwortungsvolle Linke« für eine Parlamentsmehrheit unter Einschluss des linken PS-Flügels geworben hatte, fiel von 9,8 Prozent im Jahre 2009 auf 5,2 Prozent und acht Mandate zurück – faktisch das Ergebnis von 2005.

Anfang April hatten sich Kommunisten und Linksblock – zuvor fast unversöhnlich – zu einer ersten Beratung getroffen und weitere Gespräche über die Kooperation im Parlament vereinbart. In Portugal täte solche Zusammenarbeit wohl dringend Not.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2011


Rechtswende am Tejo

Schierlingsbecher für Sócrates: Rechte geht aus vorgezogenen Parlamentswahlen in Portugal als Sieger hervor. Politisches Aus für Parteichef der Sozialisten

Von Peter Steiniger **


Portugals Wähler haben dem »Herrn Ingenieur« das Patent zum Regieren entzogen. Das Debakel für José Sócrates und seine Sozialisten (Partido Socialista, PS) fiel deutlicher aus, als in Umfragen erwartet. Bei den portugiesischen Parlamentswahlen am Sonntag erreichten sie nur noch 28,1 Prozent der gültigen Stimmen und fuhren damit das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahrzehnten ein. Die spöttische Anrede verdankt der nach seinem Rücktritt Ende März geschäftsführend im Amt verbliebene Premier dem zweifelhaften Diplom einer Lissaboner Privatuni.

Stärkste Kraft in der Assembleia da República wurden mit 38,6 Prozent die konservativen Sozialdemokraten (PSD). Gemeinsam mit der rechts-konservativen Zentrumspartei CDS, die ebenfalls zulegte und mit 11,7 Prozent auf den dritten Platz kam, können sie über eine absolute Mehrheit in der Kammer verfügen. Damit ist der Weg an die Regierungsspitze frei für den Führer der bürgerlichen Opposition, den Unternehmer und Ökonomen Pedro Passos Coelho. Ihn begleiten die Wünsche des »ohne Bitternis« scheidenden Ministerpräsidenten »für ein gutes Gelingen der schwierigen Aufgaben, welche vor ihm liegen«. Sócrates betonte am Wahlabend die Bereitschaft seiner Partei, im Interesse Portugals den Dialog mit der Rechten fortzuführen. Zugleich erklärte er seinen Rücktritt als PS-Generalsekretär und den gänzlichen Rückzug aus der ersten Reihe der Politik.

José Sócrates stand seit 2005 an der Spitze der portugiesischen Regierung. Er hatte dem Land einen dynamischen Modernisierungskurs versprochen. Doch die bereits ein Jahrzehnt währende ökonomische Flaute mündete mit der Weltwirtschaftskrise seit 2008 in eine rasante Talfahrt. Die Abwertung der Kreditwürdigkeit Portugals verteuerte die Aufnahme von Staatsanleihen und trieb das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Die vorgezogenen Neuwahlen waren notwendig geworden, weil die Konservativen der PS-Minderheitsregierung Ende März die parlamentarische Unterstützung für deren Sparprogramm entzogen hatten. Mit harten Einschnitten vor allem im sozialen Bereich und der Erhöhung von Abgaben und Steuern sollten das Defizit zurückgefahren und die Akteure an den Finanzmärkten besänftigt werden. Seit April steht das Land unter der Aufsicht einer »Troika« aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission. Gegen Auflagen, welche Portugals Kurs noch strikter in neoliberale Richtung lenken, wurden Notkredite von 78 Milliarden Euro gewährt. Viel zu wählen gab es am Sonntag ohnehin nicht: Sowohl Sozialisten als auch PSD hatten angekündigt, den Vorgaben der Troika weiter folgen zu wollen.

Die Wahlenthaltung von 41,1 Prozent, hinzu kommen vier Prozent ungültige oder »weiße« Wahlzettel, ist ein deutlicher Beleg für die Entfremdung und Desillusionierung der Portugiesen von den etablierten Parteien. Nach Ansicht vieler liegt die Macht ohnehin in den Händen einer Schattenregierung in Brüssel und Berlin. Warum also wählen? Der wirkliche Anteil an Nichtwählern dürfte noch höher liegen, da in den Registern Hunderttausende Geisterwähler, zumeist längst Verstorbene, spuken sollen.

Die großen Massenaktionen mit Generalstreiks und landesweiten Demonstrationen der vergangenen Monate, als Reaktion auf die Austeritätspolitik der PS und die Perspektivlosigkeit der jungen Generation, können bisher auch von den Parteien links der Sozialisten nicht nennenswert in eine Wahlmobilisierung umgesetzt werden. Während die Kommunisten (PCP) mit 7,9 Prozent bei den Legislativas ihren Stimmenanteil behaupten konnten und mit nun 16 Abgeordneten einen Parlamentssitz hinzugewannen, fiel der plurale Linksblock (BE) auf 5,2 Prozent ab. Die Anzahl seiner Abgeordneten wurde halbiert: Mit acht Vertretern stellt er künftig die kleinste Fraktion. Nachdem bereits im Januar der von Sozialisten und Linksblock gemeinsam unterstützte PS-Bewerber Manuel Alegre mit nur 19,7 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen eklatant gescheitert war, wurde der BE für diese Liaison mit dem Sócrates-Lager mit abgestraft. Die PCP sieht sich als »solideste, kohärenteste und zielklarste Kraft« der Linken gestärkt.

Wahlsieger Passos Coelho stimmt auf weitere Opfergänge ein. »Die Jahre, die vor uns liegen, erfordern von unserem ganzen Portugal viel Mut.«

** Aus: junge Welt, 7. Juni 2011


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