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Im Zeichen der Nelke

Urte Sperling hat ein Buch zur Aprilrevolution in Portugal geschrieben

Von Dietrich Marquardt *

Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden die letzten faschistischen Diktaturen in Südeuropa (Portugal, Spanien und Griechenland) und damit auf dem Kontinent insgesamt beseitigt. Urte Sperlings Einführung in das Thema beschreibt den Sturz des alten Regimes in Portugal, der in einer gemeinsamen Aktion von militärischen und zivilen Kräften vollzogen wurde.

Der militärische Aufstand in Portugal fand am 25. April 1974 statt (daher auch Aprilrevolution) und war getragen vom MFA (Movimento das Forcas Armadas/Bewegung der Streitkräfte), einer Strömung im Militär, die mit dem Regime oder zumindest seiner Rolle in ihm brechen wollte. Unmittelbares Ziel war die Beendigung der Kolonialkriege in Angola, Moçambique und auf den Kapverdischen Inseln. Diese hatten mittlerweile auch auf seiten der Kolonialmacht zu erheblichen Verlusten an Menschenleben und Material geführt.

Weitergehendes Anliegen der progressiven Militärs war die Überwindung der Rückständigkeit des Landes, die sich in Analphabetismus und extremer Armut der Masse der Bevölkerung zeigte. Die Verweigerung elementarer demokratischer Rechte ging damit einher. Dabei hatte es während der langen Jahre der Diktatur erst unter António de Oliveira Salazar (von zirka 1930 bis 1968) und danach unter Marcelo Caetano immer wieder unterschiedlichste Erfolge der Opposition gegeben.

Die Ereignisse und Ergebnisse der zwei Jahre von 1974 bis 1976 werden im Buch sehr detailliert und übersichtlich rekapituliert, die Handlungen der gegensätzlichen politischen Strömungen in Militär und in der Gesellschaft spannend dargestellt. Einzelne Akteure wie Mário Soares von der sozialistischen und Álvaro Cunhal von der kommunistischen Partei und zahlreiche Militärs werden in ihrem jeweiligen persönlich-politischen Profil zumindest skizzenhaft erkennbar.

Die Autorin weist darauf hin, daß die bundesdeutsche SPD ihre portugiesische Schwesterpartei mit Soares an der Spitze massiv unterstützte und dabei selbstverständlich eine antikommunistische Politik einforderte. Sie analysiert auch die Rolle der von ihr so genannten Ultralinken, politischen Kräften, die sich (maoistisch, anarchistisch, trotzkistisch) alle als links von der portugiesischen KP stehend betrachteten. Sie hielten die sofortige Änderung der Eigentums- und Machtverhältnisse zugunsten der abhängig Beschäftigten für machbar. Sperling zufolge war diese Politik unrealistisch und teilweise sogar provokativ.

Was den »friedlichen« Charakter der Nelkenrevolution (die Nelke in einem Gewehrlauf wurde zum Symbol der Erhebung) angeht, erinnert Sperling zu Recht daran, daß dieser friedliche Charakter nur vor dem Hintergrund des sehr blutigen, militärischen Kampfes der Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien zu sehen und insofern auch zu relativieren ist. Der progressive Flügel des Militärs, der den Kolonialkrieg beenden wollte, hatte zeitweilig innerhalb der Streitkräfte die Oberhand und konnte auch dank einer umsichtigen Politik nennenswerte militärische Auseinandersetzungen, die mehrmals drohten, innerhalb Portugals vermeiden.

Zwei Faktoren waren Sperling zufolge für den relativen Erfolg der Nelkenrevolution maßgeblich: Erstens die Existenz einer gut verankerten kommunistischen Partei, die eine flexible und differenzierte Politik verfolgte. Zweitens: Bei dieser KP wie auch bei den progressiven Militärs bestand Klarheit in der Frage, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise ein relativer politischer »Rückzug« notwendig wurde. Die noch frische Erfahrung des sehr blutigen reaktionären Putsches in Chile vom September 1973 beeinflußte alle politischen Entwicklungen. Daraus wurde der Schluß gezogen: Wann immer erkennbar war, daß die aktuellen revolutionären Prozesse nicht von einer Mehrheit getragen wurden, wurde in Portugal von den linken Militärs der relative Rückzug angetreten, um zumindest die Ausgangsforderungen (Unabhängigkeit der Kolonien, demokratische Rechte) zu sichern.

Die Bilanz der portugiesischen Revolution kann sich nach Meinung der Autorin sehen lassen. Die Kolonialkriege wurden beendet, die Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen. Es wurden demokratische Verhältnisse geschaffen mit allen traditionellen demokratischen Rechten von der Pressefreiheit bis zur Freiheit, Gewerkschaften zu bilden. Im Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Rechte wurden die meisten Errungenschaften aus der Revolutionszeit – oft nach jahrelangem Kampf – rückgängig gemacht. Warum auf diesem dritten Feld zumindest dauerhaft nicht mehr erreicht wurde, dazu schreibt Sperling: »Die Nelkenrevolution lieferte zugleich ein anschauliches Beispiel für die Grenzen nationaler revolutionärer Befreiungsstrategien …«

Urte Sperling: Die Nelkenrevolution in Portugal. PapyRossa, Köln 2014, 131 Seiten, 9,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 17. Februar 2014


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