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Geheimdienstchef soll Basescu retten

Rumäniens Präsident hat einen treuen Gefolgsmann mit der Regierungsbildung beauftragt

Von Anton Latzo *

Von Staatspräsident Traian Basescu am Montagabend mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, wollte der bisherige Direktor des Auslandsgeheimdienstes, Mihai Razvan Ungureanu, sein Kabinett schon am gestrigen Mittwoch vorstellen.

Nach knapp vierjähriger Amtszeit war die von Emil Boc geführte rumänische Regierung am Montag zurückgetreten, obwohl in rund zehn Monaten ohnehin Parlamentswahlen fällig sind. Boc teilte damit das Schicksal seiner Amtskollegen in Portugal, Spanien, Italien, Griechenland, der Slowakei und Irland, die ihre Ämter in und wegen der Krise in der EU verloren haben. Der Chef der konservativen rumänischen Liberaldemokraten (PDL) saß schon von Anbeginn seiner Regierungszeit auf unsicherem Stuhl. Bukarest hatte wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen 20-Milliarden-Euro-Kredit von IWF, Weltbank und EU in Anspruch genommen. Was folgte, waren regelmäßige Kontrollbesuche der »Troika«, die auf Erfüllung ihrer Sparvorgaben drängte. Nach einer neuerlichen »Troika«-Inspektion in der vergangenen Woche hatte Premier Boc abermals einschneidende Maßnahmen angekündigt. Und das in einer Lage, da in Bukarest und anderen Großstädten seit Wochen Angehörige verschiedener Bevölkerungsschichten auf die Straße gegangen waren, um gegen den Regierungskurs zu protestieren. Die Demonstrationen gipfelten in der Forderung nach dem Rücktritt von Präsident Traian Băsescu, der sich durch seine autoritäre Amtsführung unbeliebt gemacht hatte.

Mit seinem Rücktritt nahm Boc vorerst den Druck von Băsescu. Vielsagend verwies er am Montag darauf, dass seine Regierung harte Entscheidungen getroffen habe, aber dies »nicht, weil wir das gewollt haben, sondern weil wir es tun mussten«. Rumänien habe sich makroökonomisch und makrofinanziell stabilisiert, das jedoch um den Preis eines dramatischen Rückgangs des Lebensniveaus der Bevölkerung.

Aus der EU verlautete selbstredend, dass Bocs Rücktritt nichts mit dem vorausgegangenen Besuch der Inspektoren zu tun habe. Die Ursachen seien stattdessen in den politischen und sozialen Spannungen zu suchen, die schon vor der Reise der Delegation nach Bukarest bestanden haben.

Einige Beobachter erwarteten, dass - wie andernorts - ein von Parteien unabhängiger Technokrat die Regierungsgeschäfte bis zu den Wahlen im kommenden Spätherbst übernehmen würde. Die Opposition, die National-Liberale Partei (PNL) ebenso wie die Sozialdemokraten, hatte Bocs Rückzug begrüßt und ihn als ersten Schritt zur Lösung der politischen Krise des Landes gewertet. Notwendig seien jedoch vorgezogene Neuwahlen. PNL-Chef Crin Antonescu nannte das zurückgetretene Kabinett »die unfähigste und korrupteste Regierung seit der Revolution von 1989«.

Staatspräsident Băsescu beauftragte derweil Mihai Răzvan Ungureanu mit der Regierungsbildung. Als Direktor des Auslandsgeheimdienstes SIE war Ungureanu direkt dem Präsidenten unterstellt, als dessen treuer Gefolgsmann er gilt. Von 2004-2007 Außenminister Rumäniens, verließ er die heute oppositionelle PNL bei seiner Berufung zum Geheimdienstchef. Offiziell parteilos, soll er nach Meinung von Kritikern nun die Zustimmungswerte der PDL bis zu den Wahlen aus dem Keller holen.

Indessen wird auch die neue Regierung die Verpflichtungen gegenüber ihren internationalen Gläubigern erfüllen müssen. Der IWF-Beauftragte für Rumänien erklärte, Bukarest habe bestätigt, dass die Haushaltsverschuldung im Jahre 2012 unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden soll. Um staatliche Betriebe auf »finanziell gesunde Grundlagen zu stellen«, solle der Privatisierungskurs fortgesetzt werden, auch das Gesundheitswesen müsse den Erfordernissen des Marktes angepasst werden. Dabei waren es Privatisierungspläne für das Gesundheitswesen, die zu den jüngsten energischen Protesten geführt hatten. Die nächste Inspektionsreise der »Troika« wurde für Ende April/Anfang Mai festgelegt.

So vermutet die Bukarester Tageszeitung »Adevărul«, die Regierung Ungureanu werde zwar womöglich einige neue Gesichter präsentieren, doch »politisch gesehen wird damit lediglich die Realität frisiert«.

* Aus: neues deutschland, 9. Februar 2012


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