Rumänien steht ein schweres Jahr bevor
Lebensbedingungen der Bevölkerung blieben hinter Versprechungen und Erwartungen zurück
Von Anton Latzo *
Rumänien kann zwar auf ein Wirtschaftswachstum von fünf bis sechs Prozent verweisen. Trotzdem
dürfte 2008 ein schweres Jahr werden.
Der ehemalige Regierungschef Adrian Nastase beschrieb die Lage zur Jahreswende im »Jurnalul
National« recht drastisch. »Wir müssen uns entscheiden, was wir sein wollen: eine Kolonie oder ein
Partner in der neuen globalisierten Konfiguration.« Gute Voraussetzungen für ein klares politisches
Fahrwasser hat das Jahr 2007 jedoch nicht geschaffen.
Erstmalig in der Geschichte des Landes wurde ein Präsident wegen Verletzung der Verfassung
durch das Parlament suspendiert. Allerdings stimmten am 19. Mai 2007 in einem Referendum 74
Prozent der Teilnehmer gegen die Amtsenthebung Traian Basescus, der daraufhin wieder in seine
Rechte eingesetzt wurde. Im November 2007 wurden die Wähler zu einem zweiten Referendum
aufgerufen, bei dem die Initiative von Basescu selbst ausging. Er wollte die Vollmacht für ein neues
Wahlsystem, das auf der Direktwahl aller Abgeordneten beruht -- und erlitt eine Niederlage.
Beides führte dazu, dass Rumäniens Politik von Populismus und vergifteten Debatten beherrscht
wurde, die mit den tatsächlichen Problemen des Landes wenig zu tun haben. Im Mittelpunkt standen
immer Personen, stand die Rivalität zwischen dem Präsidenten und Regierungschef Calin Popescu-
Tariceanu. Zahlreiche andere Politiker sahen darin eine Möglichkeit, eigene Ambitionen zu
verfolgen.
Die ökonomischen und sozialen Probleme, die Fragen die mit der EU-Mitgliedschaft ab 1. Januar
2007 zusammenhängen, wurden angesichts der vorherrschenden Demagogie zu
Nebensächlichkeiten. Eine neue Partei, die dem Konzept des Präsidenten folgt, entstand durch die
Fusion der bisherigen Demokratischen Partei (PD) mit der erst unlängst gegründeten Liberal-
Demokratischen Partei (PLD), einer Absplitterung der Nationalliberalen (PNL) des
Ministerpräsidenten. Das Kräfteverhältnis ändert sich dadurch jedoch nicht wesentlich.
Trotz des Wirtschaftswachstums sind andere Entwicklungen, vor allem hinsichtlich der
Lebensbedingungen der Bevölkerung, weit hinter Versprechungen und Erwartungen
zurückgeblieben. Sorgen bereiten zunehmende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte. Rumänien
ist weiter mit wachsendem Außenhandelsdefizit und sich verschlechtender Leistungsbilanz
konfrontiert.
Die Chancen für Jugendliche verschlechtern sich dramatisch. Symptomatisch für die Entwicklung
der Gesellschaft sind solche Fakten: Zehn Prozent der Jugendlichen haben den Schulbesuch wegen
der Verarmung aufgegeben. 40 Prozent der im ländlichen Raum lebenden jungen Menschen im
Alter von 13 Jahren sind nach Berechnungen der Sozialdemokratischen Partei in keinerlei
Bildungsform erfasst. Rumänien hat die niedrigste Kaufkraft in der EU. Der Mindestlohn von
umgerechnet 130 Euro beträgt nur die Hälfte der Mindestlöhne in Ungarn, Polen und Tschechien.
Die Preise bei Dienstleistungen haben sich in den letzten drei Jahren verdoppelt, ebenso bei Wärme
und Gas. Insgesamt hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet.
Außenpolitisch ragt die Aufnahme Rumäniens in die EU heraus. Gleichzeitig vertrat Rumänien 2007
die Positionen der USA. Rumänien stellt Truppen für die Besetzung Iraks (500 Militärs) und
Afghanistans (650 Militärs). Es unterstützte die Haltung Washingtons in der Energiefrage und auch
hinsichtlich der Stationierung des Raketenabwehrsystems in Mitteleuropa. Außerdem haben die
USA militärische Stützpunkte auf rumänischem Territorium, unter anderem am Schwarzen Meer,
errichtet und 2007 die ersten Soldaten dort stationiert.
Allerdings sind auch die ersten Konflikte sichtbar geworden. Die rumänische Ansicht zur Kosovo-
Frage unterscheidet sich von der der USA. Die Unzufriedenheit rumänischer Politiker mit
wiederholten Versuchen der Supermacht, sich mit »Ratschlägen« in die Innenpolitik Rumäniens
einzumischen, wird neuerdings auch öffentlich formuliert.
Im Frühjahr 2008 stehen Kommunalwahlen im Kalender, im Herbst Parlaments- und
Präsidentenwahlen. Die zu Tage getretenen Konfliktfelder werden sowohl die Entwicklung im Lande
als auch diese Wahlen weitgehend prägen. Ob daraus eine Stabilisierung der politischen, sozialen
und ökonomischen Verhältnisse hervorgehen wird, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Januar 2008
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