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Das "Versagen" der internationalen Gemeinschaft

Zum 10. Jahrestag des Beginns des Völkermordes in Ruanda - Erklärung von UN-Generalsekretär Kofi Annan

Von Helge von Horn

Am 7. April 1994 begann in dem kleinen Zentralafrikanischen Staat Ruanda ein organisierter Mord an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi. Nach unterschiedlichen Schätzungen fielen innerhalb von nur einhundert Tagen 500.000 bis eine Millionen Menschen den Angriffen der Hutu, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, zum Opfer.

Vorausgegangen war ein Bürgerkrieg zwischen der Front Patriotique Rwandaise (FPR), von im Ugandischen Exil lebenden Tutsi, mit dem jetzigen Staatspräsidenten Paul Kagame als Leitfigur, und der regulären Ruandischen Armee, unter dem damaligen Präsident Juvénal Habyarima.

Heute, 10 Jahre später, hat die Generalversammlung der vereinten Nationen den 7. April zum Weltweiten Gedenktag an die Massaker in Ruanda erklärt. UN Generalsekretär Kofi Annan bestätigte aus diesem Anlass noch einmal seine Kritik an der Handlungsunfähig- oder Unwilligkeit der internationalen Staatengemeinschaft, zum damaligen Zeitpunkt ein, zur Verhinderung des Massakers ausreichendes, Truppenkontingent zur Verfügung zu stellen. Damals hatte er Sicherheitsrat sich jedoch nicht einmal dazu entschließen können, einen solchen Einsatz überhaupt zu mandatieren.

Bereits im Jahre 1990 waren die Tutsi Rebellen der FPR in Ruanda eingedrungen und hatten versucht, die Macht zu erringen. Nach drei Jahren blutigem Bürgerkrieg kam es schließlich 1993 zu Friedensverhandlungen, die von einer UN Mission überwacht wurden.

Am 6. April 1994 schließlich wurde das Flugzeug des damals noch amtierende Staatspräsidenten Habyarima beim Landeanflug auf den Flughafen von Kigali abgeschossen. Die genaueren Umstände sind bis heute ungeklärt. Versuche der Aufklärung wurden bislang verschleppt und behindert. Erst im letzten Monat tauchte der bislang verschollene Flugschreiber der Maschine bei der UN in New York überraschend wieder auf.

Der Abschuss war ein Signal für den Beginn der Massaker an den Tutsi, die von vielen Hutu für den Tod des Staatspräsidenten verantwortlich gemacht wurden. Folge war die Ermordung von mehr als drei Vierteln der in Ruanda lebenden Tutsi. Das Morden kam erst zum Stillstand, als die FPR den Sieg über das von den Hutu dominierte Ruandische Militär davontrug und selbst die Macht übernahm.

Kofi Annan und der Völkermord in Ruanda

In heutiger Zeit Appelliert Kofi Annan, wie im Rahmen der offiziellen UN Gedenkveranstaltung am 26. März diesen Jahres, an die internationale Staatengemeinschaft, dass sich Ruanda nicht wiederholen dürfe. Nie wieder dürfte die Staatengemeinschaft zusehen, wenn solche Grausamkeiten begangen werden.

Als herausragende Konsequenz aus den damaligen Ereignissen ist eine im Jahr 2000 auf sein persönliches Engagement hin ins Leben gerufene Kommission, die ein Programm ausarbeiten sollte, wie so etwas in Zukunft zu verhindern wäre. Der Name der Kommission, die schließlich durch die Kanadische Regierung zusammengestellt wurde, lautete "International Kommission on Intervention and State Sovereignty" (Internationale Kommission zu Interventionen und staatlicher Souveränität - ICISS). Kernpunkt des unter dem Titel "The Responsibility to Protect" (Die Verantwortung zu Schützen) veröffentlichten Ergebnisberichtes ist die Konstruktion einer Schutz-Verantwortung eines Staates gegenüber seinen Bürgern. Mit der Konsequenz daß, "… wenn der Bevölkerung eines Landes ein großes Unglück bevorsteht ... und der betreffende Staat nicht Willens oder in der Lage ist, dieses zu unterbinden, (...) das Prinzip der Nicht-Intervention dem Prinzip der Verantwortung zum Schutz" weicht.

Bereits auf der Völkermord-Konferenz Ende Januar in Stockholm, wie auch bei fast jedem anderen großen Auftritt hatte Kofi Annan dieses Konzept lobend erwähnt. Endlich müsste die internationale Gemeinschaft bei solchen Menschenrechtsverletzungen eingreifen, könnte sich nicht mehr hinter der in der UN-Charta verankerten staatlichen Souveränität verstecken.

Das Versagen der internationalen Gemeinschaft

Aber lag der Grund, warum die Massaker ungestört von der übrigen Welt stattfinden konnten wirklich daran, daß die Staaten des Weltsicherheitsrates nicht darüber einigen konnten, daß der Tod von Hundertausenden zu verurteilen wäre? Auch die mangelnde Verfügbarkeit von Militär kann im Blick auf die Weltweite Rüstung und den kurz zuvor mobilisierten 500.000 Soldaten einer großen Koalition gegen den Irak als ein Argument nicht recht überzeugen.

Auch in den Jahren zuvor konnte sich Ruanda und die oppositionelle RPF nicht über mangelnde Zuwendung oder fehlendes Interesse beschweren. War doch Frankreich, trotz der rapiden Verarmung des Landes, ausgelöst durch verfallende Kaffeepreise und Strukturanpassungsprogramme des IWF, immer gern bereit Handel mit Ruanda zu treiben, vor allem mit Waffen. So wurden noch während des Bürgerkrieges große Mengen militärischer Güter als Teil eines militärisches Hilfspaktes auf Kredit nach Ruanda geschickt. Neben Kalaschnikoffs und Granatwerfern auch jener Mystčre Falcon Jet, in dem Präsident Juvénal Habyarima schließlich abgeschossen wurde.

Die Ausweitung des Militärs von fünf auf über 40 Tausend Soldaten wurde mit Weltbank-Hilfskrediten bezahlt, auch der Import von tausenden Macheten, später beim Völkermord eingesetzt, fand unter der Kontrolle der Weltbank als "ziviler Import" statt.

Auf der anderen Seite wurde die FPR massiv von Uganda unterstützt, rekrutierte sich zu großer Zahl aus der Ugandischen Armee. Kagame und andere erhielten ihre Ausbildung an US-Amerikanischen Militärakademien. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Auseinandersetzungen zwischen Hutu und Tutsi, eine ethnische Unterscheidung die im übrigen erst in den dreißiger Jahren von den belgischen Kolonisatoren eingeführt worden ist und vorher eher eine "allgemeine Berufsbezeichnung" war, die mit der jeweiligen Anstellung wechselte, daß eben jene Auseinandersetzung in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg zwischen Frankreich und den USA um Einfluß in der Region gewesen ist. Dieser scheint, vor allem nach dem Umsturz im Kongo zu Gunsten der USA entschieden worden zu sein, vorerst.

In einer solchen Situation von einem Versagen der internationalen Gemeinschaft zu sprechen, welches sich darin äußert, den Konflikt ignoriert zu haben, wie dies Kofi Annan tut, scheint schon fast zynisch. Natürlich ist es unstrittig, daß alles unternommen werden muß, um weitere Völkermorde und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Militärische Interventionen in andere Staaten zu erleichtern, indem das Prinzip der staatlichen Souveränität verschwindet, schließlich in Erfahrung zweier Weltkriege eingeführtes Mittel um Kriege und das damit verbundene Leid zu verhindern, wenn die Propaganda des intervenierenden Staaten nur überzeugend genug ist, ist sicherlich der falsche Weg. Schließlich sind die Massaker in Ruanda nicht durch fehlendes Militär, sondern eher durch ein zuviel an militärischem Engagement und die rücksichtslose Durchsetzung von Machtinteressen westlicher Staaten ermöglicht worden.

7. April 2004



Für Sie gelesen

Ergänzend zu dem Beitrag von Helge von Horn bringen wir Ausschnitte aus zwei weiteren Artikeln, die sich mit dem Völkermord in Ruanda befassen, sowie eine Erklärung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan.

"Das Böse wechselt die Taktik und das Schlachtfeld"

Von Manfred Loimeier*

(...) Am Anfang stand ein Attentat. Als bei einem Flugzeugabsturz am 6.April 1994 der damalige ruandische Präsident Juvénal Habyarimana ums Leben kam, bot dies seiner Regierung den Anlass, gegen die Opposition vorzugehen – und zum Massenmord an Regierungsgegnern aufzurufen. Das besonders Heikle daran: Die Regierung wurde von Mitgliedern der Volksgruppe der Hutu gestellt, die in Ruanda die Bevölkerungsmehrheit bildet. Die nicht in der Regierung vertretene Minderheit der Tutsi galt damit von vornherein als oppositionell, so dass mit dem offiziellen Aufruf zum Mord an Regierungsgegnern ein Völkermord eingeleitet wurde, der als größter Genozid seit dem Holocaust angesehen wird.

Inzwischen geht man davon aus, dass Präsident Habyarimana gar nicht von Tutsi-Rebellen getötet wurde, sondern von Parteigängern der Hutu selbst, denen Habyarimanas (erzwungener) Versöhnungskurs zwischen Hutu und Tutsi ein Dorn im Auge war.

(...) Was war geschehen? Mit dem Fall der Mauer in Berlin endete der Kalte Krieg, und die westlichen Regierungen sahen sich immer weniger genötigt, ihre Marionettenregierungen zu stützen. Demokratisierung hieß das neue Schlagwort. 1991 wurde auch in Ruanda das Mehrparteiensystem eingeführt. Stärkste Partei wurde diejenige von Habyarimanana – er war schon 1973 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Wie viele seiner afrikanischen Diktatorenfreunde nutzte Habyarimanana den Trend zur Demokratisierung, um sich das Mäntelchen einer wie auch immer erwirkten Mehrheitsentscheidung überzustreifen. Schon bald bildeten sich Milizen, Interahamwe genannt, die Jagd auf Tutsi machten. Nachrichten von getöteten Tutsi gehörten bald zum Alltag. Auch das hat Tradition in Ruanda, und auch das hat eine Vorgeschichte, die mit Europas Auftreten in Afrika zusammenhängt.

Im Jahre 1894 betrat der deutsche Graf von Götzen als erster Weißer Ruanda und besuchte den königlichen Hof, den bis dahin nur Legenden und Gerüchte um groß gewachsene Watussi-Krieger umrankt hatten. Drei Jahre später, 1897, hissten Verwaltungsstellen die Flaggen des Deutschen Reichs. Zusammen mit dem südlichen Nachbarland Burundi gehörte Ruanda fortan zur Kolonie Deutsch-Ostafrika. Im Streit um einen Nachfolger für den verstorbenen König kooperierten die Tutsi mit den Deutschen und festigten dadurch ihre Herrschaft über die Hutu.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als Ruanda als Siegesbeute an Belgien ging, die Kolonialmacht im benachbarten Kongo, machten die Belgier diese Ansätze einer Polarisierung zwischen Hutu und Tutsi zu den Eckpfeilern ihrer Kolonialpolitik. Die Tutsi waren die Herrscher, die Hutu die Knechte. 1957 aber veröffentlichten Hutu-Intellektuelle ihr so genanntes Hutu-Manifest, 1959 wurden erstmals massive Übergriffe von Hutu auf Tutsi publik, 1960 setzte ein Staatsstreich der Tutsi-Vorherrschaft ein Ende. 1961 erklärten die Belgier die Monarchie in Ruanda für abgeschafft, 1962 wurde das Land unabhängig. 1963 starben weitere Tutsi, und so ging es in kurzen Etappen weiter bis 1994.

Kein Wunder, dass seit langem zahlreiche Tutsi-Flüchtlinge in aller Welt lebten – und dort Opposition machten gegen Ruandas Regierung, vor allem in Ruandas östlichem Nachbarland Uganda. Von dort aus agierte die RPF (Ruandas Patriotische Front) gegen Habyarimanas Regierung und erwirkte 1993 schließlich eine Friedensvereinbarung, deren Umsetzung Habyarimana eifrig hinauszögerte. Doch allein, dass er sie unterzeichnet hatte, war mutmaßlich Hintergrund des Anschlags auf ihn, der den Ausgangspunkt des Völkermords bildete.

Mindestens 800.000 Menschen starben auch deshalb, weil sich die westlichen Mächte nicht einigen konnten. Den USA steckte 1994 noch ihr Debakel in Somalia in den Knochen, und der damalige Präsident William Clinton bereitete sich auf den Wahlkampf vor – da macht man lieber nichts als einen Fehler.

Die Belgier zogen sich, wie schon 1962, zurück und überließen Ruanda sich selbst. Frankreich unterstützte sogar das mörderische Hutu-Regime, weil Paris aus Angst um einen wachsenden Einfluss der englischsprachigen Welt in Afrika die aus dem anglophonen Uganda kommenden RPF-Rebellen als Bedrohung empfand. Daher entschied sich die Pariser Regierung zur berüchtigten »Opération Turquoise«: Vor den Rebellen fliehende Hutu-Zivilisten gelangten durch Sicherheitskorridore, die französische Soldaten schufen, nach Kongo. Bald gingen Bilder aus dem Flüchtlingslager Goma um die Welt – aber wieder setzte die internationale Gemeinschaft auf das falsche Pferd. Statt die friedliche Rückkehr der Hutu-Flüchtlinge von Kongo nach Ruanda zu regeln, transportierten Hilfsorganisationen Tonnen an Lebensmitteln nach Goma und schufen damit eine Situation, die zum nächsten Krieg führte. Denn selbstverständlich hatten sich Verantwortliche des Massenmords an den Tutsi unter die Hutu-Flüchtlinge gemischt, und natürlich verlangte die siegreiche RPF-Regierung deren Auslieferung.

Stattdessen aber jagte Mobutu, der von den USA und Frankreich unterstützte Diktator Kongos (damals Zaire), Tutsi über die Grenze nach Ruanda. Deren Familien waren schon seit Jahrhunderten im Grenzgebiet zu Ruanda ansässig. Schließlich löste die neue ruandische Armee die Flüchtlingslager selbst auf und tötete dabei gleichermaßen Verantwortliche des Völkermords wie Flüchtlinge. Im Dominoeffekt stieß die Invasion der RPF in Zaire die Rebellion gegen Mobutu an und brachte den Imperator zum Sturz. Seither befindet sich das Land auf der Suche nach einer stabilen Regierung. Und Ruanda? Dort funktionierte bis Ende der 90er Jahre die Eingliederung geflohener Hutu und vormals exilierter Tutsi bemerkenswert reibungslos, wie auch die UNO anerkennen musste. Verantwortliche des Völkermords werden vor Gericht gestellt und nach einem Stufenplan verurteilt: Geständige Täter können mit milden Strafen rechnen, die Organisatoren des Genozids, Massenmörder und Folterer müssen auf die Todesstrafe gefasst sein. Für die Haupttäter aber richtete die UNO noch 1994 einen Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) in Arusha im Norden Tansanias ein. Im Gegensatz zu ruandischen Gerichten verhängt er keine Todesstrafen. Bisher wurden 16 Personen wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, einer wurde freigesprochen. Über 40 Verdächtige stehen vor Gericht oder warten im Gefängnis auf ihren Prozess. (...)

Aus: Neues Deutschland, 6. April 2004

Schatten über Ruanda

In einem Beitrag für die taz befasste sich Dominic Johnson vor allem mit den "Revisionisten", die den Völkermord zu relativieren versuchen. Dies beginnt damit, dass das dem Völkermord vorausgehende Attentat auf den ruandischen Präsident Juvenal Habyarimana den Tutsi-Rebellen, also den Opfern in die Schuhe geschoben wird. Die politische Brisanz und die rassistischen Implikationen dieser "revisionistischen" These werden von Johnson am Ende seines Artikels herausgearbeitet:

(...) Pünktlich zum 10. Jahrestag des Völkermords taucht erneut eine alte These der Mörder auf: Für den Flugzeugabschuss sei in Wirklichkeit Ruandas damalige Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) verantwortlich, geführt von Ruandas heutigem Präsidenten Paul Kagame.

Vor allem von Frankreich, dem engsten Verbündeten der Hutu-Extremisten vor zehn Jahren, kommt dieser Vorwurf, jüngst gestützt durch "Ermittlungen" des französischen Untersuchungsrichters Jean-Louis Bruguičre. Der Franzose hat allerdings nie in Ruanda ermittelt oder Beschuldigte gesprochen. Er hat keine Beweise vorgelegt, sondern lediglich Aussagen von ehemaligen Weggefährten Kagames, die sich mit ihm überworfen haben und selbst nicht am Tatort waren.

In Ermangelung von Beweisen verweisen die Anhänger der Kagame-Täterthese auf den Umstand, dass die UNO mehrmals Ermittler zurückgepfiffen und deren Erkenntnisse unterdrückt haben. Weiter wird behauptet, die USA hätten 1994 als Pate der Tutsi-Rebellen die Beseitigung der damaligen Hutu-Regierung und die militärische Machtergreifung der RPF eingefädelt - unter billigender Inkaufnahme des Völkermords.

Das ist eine zynische und verlogene These, strukturell identisch mit der Theorie, die Juden hätten den Holocaust mitgeplant oder zumindest bewusst geschehen lassen, um die Gründung des Staates Israel zu legitimieren. Was im Falle der Vernichtung der europäischen Juden allgemein als rechtsextremes Gedankengut zurückgewiesen wird, gilt im Falle Ruanda als bedenkenswerte Hypothese.

Zum Glück gibt es Fakten, die stärker sind als Ideologien. Extremistische Medien in Ruanda hatten Habyarimanas Tod zuvor schon angekündigt. Als UN- Kommandant Romeo Dallaire während des Genozids zum Hetzrundfunk "Mille Collines" eingeladen wurde und fragte, warum Habyarimana sterben musste, bekam er zur Antwort: Er war Pro-Tutsi. Die Präsidialgarde, unter deren Ägide der Präsident getötet wurde, stand damals unter französischer Ausbildung; nach dem Attentat sperrte sie den Einschlagort des Flugzeuges ab und ließ nur Franzosen hinein, die dann hinterher drängten, die UNO aus den Untersuchungen herauszuhalten.

Um all das scheren sich die Ruanda-Revisionisten nicht, aber ihre Argumente sind längst über ihre eigenen kruden Anfänge hinaus, als man noch zu leugnen versuchte, dass es überhaupt einen Völkermord gab. Es ist nun einmal nicht zu bestreiten, dass bewaffnete Hutu-Formationen in Ruanda 1994 systematisch und nach jahrelanger Vorbereitung mindestens 800.000 Menschen umbrachten, zumeist Tutsi. Die Revisionisten sind heute vorsichtiger. So deuten sie an, die Herrschaft von Tutsi in Ruanda sei illegitim, da es nun einmal mehr Hutu als Tutsi gebe. Oder: Die Tutsi hätten an der Macht genauso schlimm, wenn nicht schlimmer gewütet. Und wenn das nicht überzeugt, kommt der Hinweis, alle hätten gelitten und man solle die alten Geschichten vergessen.

(...) Man stelle sich vor, bei Diskussionsrunden zum Holocaust müssten Auschwitz-Überlebende mit alten Nazis über Gaskammern reden. Aber bei Ruanda hört der Respekt vor der Geschichte auf.

Die revisionistische Argumentation ist zutiefst rassistisch. Sie basiert auf der alten kolonialen Ideologie, wonach Afrikaner nicht in der Lage zur Staatsbildung seien und daher das vor hundert Jahren von europäischen Forschern in Ruanda vorgefundene Königreich, dessen Mächtige als Tutsi tituliert wurden, ein Import von außerhalb sein müsse. Die Tutsi mussten also Einwanderer sein, als ursprüngliche Ruander blieben die Hutu übrig. Das ist zwar längst wissenschaftlich widerlegt, aber es war die Lehre der belgischen Kolonialherren ebenso wie der ruandischen Machthaber nach der Unabhängigkeit 1962 - und es ist die ideologische Grundlage des Völkermords. Dieser Revisionismus lebt bis heute. Seine politische Dimension besteht darin, den Tutsi-Präsidenten Kagame zum Topterroristen zu stilisieren - Drahtzieher des Genozids und darüber hinaus sämtlicher Kriegsgeschehen im Kongo. Überhaupt sei er letztlich nur eine Marionette der USA.

Wer solch einen Unsinn verbreitet, ist mitverantwortlich dafür, dass die Ideologen des Genozids sich bis heute uneinsichtig zeigen. Zudem trägt er dazu bei, dass sie in die Offensive gehen können - wenn der Regierung Kagame die sozialen Probleme Ruandas über den Kopf wachsen und die nächste politische Explosion vor der Tür steht. Es ist ein mörderisches Spiel mit der Zukunft eines Volkes.

DOMINIC JOHNSON

Auszüge aus: taz, 6. April 2004


UNO-Generalsekretär Kofi A. Annan:

Die internationale Gemeinschaft hat in Ruanda versagt

Erklärung zum 10. Jahrestag des Völkermordes in Ruanda

NEW YORK, 6. April - Im Dezember 2003 hat die Generalversammlung eine Resolution verabschiedet, die den 7. April zum Internationalen Tag des Gedenkens an den Völkermord in Ruanda bestimmt hat. Aus diesem Anlass hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan folgende Erklärung veröffentlicht:

Der Völkermord in Ruanda hätte niemals geschehen dürfen. Aber er geschah. Weder das UNO-Sekretariat, noch der Sicherheitsrat, die Mitgliedsstaaten oder die Medien haben den Vorboten dieser Katastrophe genügend Aufmerksamkeit gewidmet. 800 000 Männer, Frauen und Kinder wurden im Stich gelassen. Sie wurden brutal getötet, Nachbarn brachten ihre Nachbarn um und Zufluchtsstätten wie Kirchen und Krankenhäuser wurden zu Schlachthöfen. Die internationale Gemeinschaft hat in Ruanda versagt und dies muss bei uns allen tiefes Bedauern und großen Schmerz hinterlassen.

Zehn Jahre später versuchen wir noch immer die Lage unter Kontrolle zu bekommen. In Ruanda versuchen die Vereinten Nationen ihr bestmögliches, damit die Menschen sich wieder versöhnen und ihre Gesundheit wiedererlangen. Wir sind im ganzen Land präsent - räumen Minen, gliedern Flüchtlinge wieder ein, bauen Kliniken, Schulen und das Justizwesen auf und vieles mehr. In Tansania hat das UNO-Tribunal wegweisende Urteile verkündet, einschließlich eines Urteils, in dem ein früherer Regierungschef und Journalisten des Völkermordes für schuldig befunden wurden. Außerdem kam von diesem Gericht der erste Schuldspruch, dass Vergewaltigung als eine Art von Völkermord zu sehen ist. Durch diese Schritte unternehmen die Vereinten Nationen was sie können, um den Menschen in Ruanda zu helfen - besonders der jungen Generation, die eine neue Gesellschaft aufbaut.

Aber sind wir sicher, dass wir künftig effektiv und rechtzeitig handeln werden, wenn erneut eine Situation wie damals in Ruanda entsteht? Diese Sicherheit können wir nicht haben und die Gefahr des Völkermordes bleibt auf beängstigende Weise bestehen. Deshalb möchte ich diesen Jahrestag nutzen, um vor der UNO-Menschenrechtskommission einen Aktionsplan gegen Völkermord vorzustellen, der das gesamte UNO-System einschließt. Wir können nicht abwarten bis das Schlimmste passiert ist, oder in matter Gleichgültigkeit verharren. Die Welt muss besser dafür gerüstet sein, um Völkermord zu verhindern und entschieden handeln, wenn die Vorsorge versagt.

Die Schweigeminute die am 7. April um 12 Uhr weltweit begangen wird, der Internationale Tag des Gedenkens an den Völkermord in Ruanda, bietet eine Gelegenheit, die Einigkeit zu zeigen, die uns vor zehn Jahren gefehlt hat. Ich hoffe, dass diese Schweigeminute eine Botschaft ist, die jahrelang widerhallt, eine Botschaft der Reue für die Vergangenheit und der Entschlossenheit für die Zukunft, damit eine solche Tragödie nie wieder geschieht. Mögen die Opfer des Völkermordes in Ruanda in Frieden ruhen. Möge unser Leben durch ihr Opfer nachhaltig verändert worden sein. Und mögen wir alle jenseits dieser Tragödie für mehr Menschlichkeit in der Welt arbeiten.

Quelle: Homepage der Vereinten Nationen (deutsche Fassung): www.uno.de


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