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Kagame tanzt

Ruanda: Der alte Präsident ist auch der neue und feiert einen "Erdrutschsieg"

Von Raoul Wilsterer *

Ruandas Wahlkommission konnte es nicht erwarten, ihre eigene Begeisterung über den alten und neuen Präsidenten auch öffentlich kundzutun. Lange bevor Stimmenauszählung und das Zusammentragen der Ergebnisse aus den Provinzen des zentralafrikanischen Staats beendet waren, verkündete sie am Dienstag mittag, daß Paul Kagame einen »Erdrutschsieg« errungen habe. Über 90 Prozent der Abstimmenden – berechtigt waren etwa fünf Millionen Menschen – hätten sich für ihn entschieden.

Der Präsident selbst hatte es nicht für nötig erachtet, dieses erste offizielle Statement zum Ausgang der Wahl vom Montag abzuwarten. Er feierte in Anwesenheit Zehntausender Anhänger, die im Fußballstadion der Hauptstadt Kigali zusammengekommen waren, bis in die frühen Morgenstunden des Dienstags und wagte in seiner Loge ein Tänzchen in engstem Familienkreis. Auf einer riesigen Leinwand leuchteten erste Ergebnisse aus abgelegenen Gegenden auf, in denen schon am Sonntag gewählt worden war. Diese zeigten mehr als 96 Prozent der Stimmen für Kagame. Die im Ausland lebenden Wahlberechtigten gaben demnach zu 96,7 Prozent ihre Stimme dem Amtsinhaber.

Gewißheit über diesen zumindest in der Höhe skurril anmutenden Wahlausgang hatte bereits die vergangenen Wochen, ja Monate geprägt. In der sogenannten heißen Phase des Wahlkampfs war längst alles entschieden. Dafür hatte der »wohlwollende Tyrann«, wie ihn die Berliner Zeitung am Montag taufte, gründlich und mutmaßlich unter Einsatz des militärisch geschulten Apparats der ehemaligen Tutsi-Guerilla und jetzigen Regierungspartei FPR (Patriotische Front) gesorgt.

Kagames Hauptrivalin Victoire Ingabire, eine Hutu vom Bündnis UDF (Vereinte demokratische Kräfte), erhielt Hausarrest und Ausreiseverbot. Die Grünen waren weitgehend paralysiert, nachdem der Leichnam ihres Vizevorsitzenden André Kagwa Rwisereka in einem Sumpfgebiet gefunden worden war. Die Presse erfuhr massive Gängelungen. Anschläge auf Oppositionelle aus den eigenen Reihen der FPR erregten trotzdem Aufsehen. Am Ende schließlich blieben drei nominelle »Gegenkandidaten« übrig, die mit dem 53jährigen, der seit 16 Jahren »die Macht ausübt« (Wallstreet Journal, 10.8.), konkurrierten: Allesamt aus kleineren Parteien, die gewöhnlich mit der Regierung verbandelt sind.

Das US-Außenministerium äußerte sich am Dienstag umgehend »zufrieden mit dem offenkundig friedlichen Verlauf der Wahl« (apn). Tatsächlich konnten sich die amerikanischen Freunde aus alten Zeiten – seine militärische Ausbildung genoß Kagame vor zwei Jahrzehnten an der Eliteakademie der US-Army in Fort Leavenworth – durchweg auf ihren Schützling verlassen. Er sorgte schließlich auch dafür, daß der nachkoloniale Einfluß Frankreichs zugunsten Washingtons und Londons verdrängt wurde. Nun soll Kigali bis 2020 zu einem afrikanischen Zentrum für neue Technologien ausgebaut werden – Kagames Legislatur geht bis 2017.

Wie laut die nächsten Jahre von kritischen Stimmen – national wie auch international von Bürgerrechtsgruppen – begleitet sein werden, bleibt abzuwarten. In der Vorwahlzeit hatten sich zunehmend auch Mainstreammedien zum autoritären Herrschaftsgebaren des Präsidenten und der ökonomisch wie politisch dominierenden Tutsi-Elite geäußert. Ausgeklammert blieb allerdings die Rolle Kagames im Vorfeld des Genozids von 1994 – oder sie fand nur am Rand Erwähnung, wie am Montag in der Berliner Zeitung, die eine der »strittigsten Fragen in der Historie Ruandas« benannte. Diese lautet: Hat die FPR »den Ausbruch des Völkermords, bei dem 1994 rund 800000 Menschen getötet wurden, absichtlich mit provoziert«?

* Aus: junge Welt, 11. August 2010


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