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Das Urteil fiel, viele Fragen offen

Ein Organisator des Ruanda-Genozids in Frankreich verurteilt / Paris im Zwielicht

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Einer der Organisatoren der Völkermorde 1994 in Ruanda ist in Paris wegen »Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit« zu 25 Jahren Haft verurteilt worden.

Es war der erste derartige Ruanda-Prozess in Frankreich. Er dauerte sechs Wochen und es wurden mehr als 100 Zeugen und Experten angehört. Im Ergebnis wurde dem ehemaligen Hauptmann der Präsidentengarde Pascal Simbikangwa nachgewiesen, dass er Befehle zum Massenmord an den Tutsi erteilt, Einsätze organisiert sowie Waffen beschafft und verteilt hat. Er selbst konnte sich an dem Genozid, der innerhalb weniger Wochen 800 000 bis eine Million Todesopfer forderte, nicht beteiligen, da er infolge eines Verkehrsunfalls querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Er war aber einer der schlimmsten Scharfmacher, sagten zahlreiche Zeugen aus, und er stand beispielsweise auch hinter »Radio 1000 Hügel«, über das die Hutu-Bevölkerung gegen ihre Mitbürger vom Stamm der Tutsi aufgehetzt und zu deren systematischer Ausrottung aufgefordert wurde.

»Er war einer der Ideologen des Genozids und nicht der kleine unbeteiligte Beobachter, als der er sich im Prozess darzustellen versuchte«, folgerte der Staatsanwalt, der eine lebenslängliche Gefängnisstrafe gefordert hat. Dass es nach sechsjähriger Vorbereitung überhaupt zu diesem ersten Prozess in Frankreich gegen einen der Hintermänner der Massenmorde von 1994 kam, ist vor allem einem Ehepaar zu verdanken, das diesem Thema seit Jahren ihr Leben widmet, das eine Gruppe von Freunden und Helfern um sich gesammelt hat und das im Prozess als Nebenkläger aufgetreten ist. Alain Gauthier ist Franzose, seine Frau Dafroza kommt aus Ruanda und hat 1994 die meisten ihrer Verwandten verloren. »Dies ist endlich ein Sieg für die Gerechtigkeit«, erklärte Alain Gauthier nach dem Urteilsspruch. »Jetzt müssen alle Mörder, die sich seinerzeit nach Frankreich gerettet haben und hier untergetaucht sind, damit rechnen, auch zur Verantwortung gezogen zu werden.« Auf der Grundlage der aufopferungsvollen Nachforschungen der Gauthiers und ihrer Freunde ermittelt die Staatsanwaltschaft gegenwärtig in 16 weiteren Fällen. »Es war sehr schwer, sie so weit zu bringen«, meint Dafroza Gauthier und ein Freund ergänzt: »Es ist, als ob man einen Hund zur Jagd tragen muss.« Dass schätzungsweise mehrere hundert Hutu, die maßgeblich an den Massenmorden gegen die Tutsi beteiligt waren, heute unbehelligt in Frankreich leben und beispielsweise als Pfarrer, Arzt, Ingenieur oder in anderen Berufen tätig sind, liegt an der zwielichtigen Rolle, die Frankreich 1994 in Ruanda spielte.

Die Regierung in Paris hatte das Hutu-Regime selbst noch während der Mordfeldzüge mit Waffenlieferungen und Militärberatern unterstützt und sich auch später nicht bereit gefunden, eine moralische Mitschuld einzuräumen. Dagegen wurden alle Ermittlungen, die aufgrund der Klagen ruandischer oder französischer Bürger angestrengt wurden, systematisch behindert. Besonders skandalös war dies im Fall der französischen Piloten der Maschine des Hutu-Präsidenten, deren Abschuss vermutlich von Scharfmachern aus dem eigenen Lager organisiert wurde, um ihn den Tutsi anzulasten und so einen Vorwand für die Mordfeldzüge zu haben. Der Untersuchungsrichter, der die Klage der Witwe eines der Piloten bearbeitete, hatte größte Schwierigkeiten, französische Militärs, die seinerzeit in Ruanda als Berater eingesetzt waren, zu hören.

Auch eine Reise vor Ort, um die Umstände des Abschusses zu untersuchen und Zeugen zu hören, wurde jahrelang verweigert. Alle Akten der französischen Außen- und Verteidigungsministerien, die sich mit Ruanda 1994 befassen, wurden mit dem Stempel »Geheim im Interesse der staatlichen Sicherheit« versehen und sind so selbst heute noch der Einsicht durch die Justiz entzogen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. März 2014


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