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Kalter Krieg in der Polarregion

Amerikaner, Kanadier und Dänen wollen russischen Aktivitäten nicht tatenlos zusehen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Im Streit um die russische Arktis-Erkundung werden mittlerweile Töne angeschlagen, die an die Zeiot des Kalten Krieges erinnern.

Der Tauchgang russischer Forscher am Nordpol vor zwei Wochen war eine Pioniertat, die die Nation – zu Recht – mit Bewunderung honorierte. Dass der Ruhm inzwischen angekratzt ist, verdankt die Expedition ausgerechnet einer Ungeschicklichkeit des Staatssenders RTR. Weil die Bilder, die die Kamera auf dem Grund des Eismeers in über 4000 Metern Tiefe einfing, wenig aussagekräftig waren, hatten die Macher Unterwasseraufnahmen von den Dreharbeiten zur »Titanic« verwendet. Aufgeflogen war der Bilderbetrug durch einen 13-jährigen Finnen, dem die Unterwasseraufnahmen bekannt vorkamen.

Kaum hatte sich die Aufregung darüber gelegt, gab es weitere Nachbeben. Und die könnten dafür sorgen, dass das gegenwärtig laufende Internationale Polarjahr, das die Zusammenarbeit bei der Erforschung von Arktis und Antarktis fördern soll, in einem Klima des Kalten Kriegs stattfindet. Denn die anderen Pol-Anrainer sind finster entschlossen, russischen Forderungen nach Erweiterung seiner Souveränitätsrechte über 1,2 Millionen Quadratkilometer, wo bis zu zehn Milliarden Tonnen fossiler Brennstoffe vermutet werden, Paroli zu bieten.

Seit Sonntag ist eine dänische Expedition unterwegs, um den Beweis anzutreten, dass die Unterwassergebirge in Polnähe die natürliche Fortsetzung der Insel Grönland sind. Kurz zuvor war ein US-Schiffskonvoi von Alaska aus in Richtung Norden in See gestochen, um dort für Washington die Claims abzustecken. Das eigentliche Duell um den Nordpol indes dürften Russland und Kanada unter sich ausmachen.

Um Moskaus Ambitionen einen Riegel vorzuschieben, will der Ahorn-Staat ab 2010 die Innuit- Siedlung Qausuittuq an der Resolute-Bay in seiner Polarprovinz Nunavut zum Übersee-Hafen ausbauen. Der soll bereits 2015 seinen Betrieb aufnahmen. Kanada will sich damit auch die Kontrolle über die sogenannte Nordwestpassage sichern. Anders als der nordöstliche Seeweg, der um Sibirien herum führt und im arktischen Sommer seit Jahren regelmäßig befahren wird, weil die Strecke erheblich kürzer ist als die Südroute durch den Suezkanal und den Indischen Ozean, wird die Nordwestpassage bisher kaum genutzt. Packeis, Stürme und die flachen engen Sunde im polaren Inselgewirr machten erst 1944 die erste Durchfahrt ohne Überwinterung möglich und sind auch im Hightech-Zeitalter für jeden Kapitän die ultimative Herausforderung.

Durch das Abtauen der Polkappe könnte das Risiko in absehbarer Zeit auf ökonomisch vertretbare Größenordnungen sinken, die Durchfahrt könnte Einnahmen in Milliardenhöhe abwerfen. Kanada, dem die Inseln gehören, fordert daher für die Nordwestpassage den Status einer Binnenwasserstraße. Gegen das Projekt läuft neben den USA vor allem Moskau Sturm. Denn momentan sind es fast ausschließlich russische Eisbrecher, die Tankern, Containerschiffen und Kreuzfahrern die 5780 Kilometer zwischen Ellesmere-Insel im Osten und Melville-Insel im Westen freischaufeln.

Dazu kommt, dass sich vor allem Forderungen Russlands und Kanadas nach wirtschaftlicher Nutzung der arktischen Gewässer jenseits der 200-Meilen-Wirtschaftszone überlappen. Das gilt vor allem für den Lomonossow-Rücken in Polnähe, wo die Expedition jetzt einen Bohrkern barg, um den Beweis anzutreten, dass das Unterwassergebirge die Fortsetzung der eurasischen Platte ist.

Anfänglicher Optimismus macht inzwischen Skepsis Platz. sogar dann, wenn die mineralische Zusammensetzung von Platte und Rücken identisch ausfallen sollte. »Wir haben nur den Erdmantel geritzt«, gibt Nikolaj Ooskin, Stellvertretender Abteilungsleiter für Glaziologie im Institut für Geografie der russischen Akademie der Wissenschaften, zu bedenken. Ob die UNO und die anderen Polanrainer sich damit zufriedengeben, bleibt abzuwarten.

Die Zeit aber drängt: eine Erweiterung der Wirtschaftszone ist nur in den ersten fünf Jahren nach Ratifizierung der 1982 in Kraft getretenen Internationalen Seerechtskonvention möglich. Moskau, das 1997 ratifizierte, konnte seine Forderungen jetzt ohnehin nur als Konkretisierung eines Antrags von 2001 vorbringen. Den aber schmetterte die internationale Gemeinschaft damals ab.

* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007

Tiefseefahne: Goldrausch am Nordpol

Bezeichnend für den Zustand dieser Welt ist, wie die Arktis-Anrainer mit der Aussicht auf ein eisfreies sommerliches Nordmeer umgehen. Die Menschen, die an den Küsten von den Tieren der Eiswelt leben, sind massiv in ihrer Existenz bedroht, doch die Regierungen in Moskau, Kopenhagen, Washington, Oslo oder Ottawa interessieren sich vor allem für die am Meeresgrund vermuteten Rohstoffe. Von Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten, hört man hingegen wenig, schon gar nicht aus den USA oder Rußland. Zuletzt hat Moskau mit dem spektakulären Setzen einer russischen Fahne am Meeresgrund bei 90 Grad Nord auf den Streit um territoriale Ansprüche aufmerksam gemacht. Kanada protestierte umgehend, schickt aber selbst hin und wieder Expeditionen auf die winzige Hans-Insel westlich von Grönland, um dort seine Ahornfahne zu hissen. Spätestens wenn diese von den arktischen Winden zerfetzt ist, legt ein dänisches Schiff an, um mit einem rot-weißen Danebrog den Kopenhagener Anspruch anzumelden.

Bisher hat im hohen Norden wegen des (vermeintlich) ewigen Eises keine Notwenigkeit bestanden, die Hoheitsgewässer und Wirtschaftszonen gegeneinander abzugrenzen. Doch nun zieht sich das Eis zurück, und in den Augen der Verantwortlichen leuchten die Dollarzeichen auf. Von Goldvorkommen ist die Rede und von Erdölfeldern größer als die Saudi-Arabiens. Nachgewiesen ist bisher noch nichts davon, aber Kanada kündigt vorsichtshalber schon mal den Bau von Flottenstützpunkten in der Arktis an. Den Klimawandel wird das sicherlich nicht aufhalten.

(wop)

** Aus: junge Welt, 14. August 2007




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