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Im Winter nicht gefechtsbereit

Kriegsgerät für das russische Militär bei Minusgraden untauglich

Von Holger Elias *

Über den italienischen Konzern Iveco wird in diesen Tagen heftig gelacht. Nach mehrjährigen Verhandlungen sollte in diesem Jahr die Lizenzproduktion zweier Kampffahrzeuge durch das russische Militär beginnen, doch die NATO-Waffenschmiede hat sich bis auf die Knochen blamiert: Nach einem Bericht der russischen Zeitung Rossijskaja Gaseta präsentierten sich die Panzerwagen Centauro und Freccia auf dem Testgelände Kubinka nahe Moskau als nicht wintertauglich und streikten bereits bei zehn Grad minus. Die Motoren waren nicht mehr zu starten und die Fahrzeuge mußten in eine beheizte Halle abgeschleppt und dort aufgewärmt werden. Bei minus 15 Grad fror schließlich die Hydraulik ein, und die Heizungssysteme waren nicht mehr zu gebrauchen. Zudem mißglückte nach Angaben der Zeitung auch der Schießtest des Centauro. Nach dem ersten Schuß mit der 105-Millimeter-Kanone blieb vom Boden aufgewirbelter Schnee an der Optik kleben und setzte schließlich den Panzer außer Gefecht, weil die Wischer überfordert waren.

Eine ähnliche Blamage ereilte nun auch die französische Waffenlobby. Statt geplanter vier werden wohl nur noch zwei Hubschrauberträger der Mistral-Klasse für Rußland hergestellt und geliefert, denn auch die schwimmenden Ungetüme versagen bei Minusgraden ihren Dienst. »Es ist äußerst merkwürdig, daß Landungsschiffe für den Einsatz in unseren Breiten erworben werden, die bei einer Temperatur von unter sieben Grad minus nicht funktionstüchtig sind«, kommentierte der für die Rüstungsindustrie zuständige russische Vizeregierungschef Dmitri Rogosin, wie die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete. Die Auftragsvergabe sei vom damaligen Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow durchgedrückt worden. »Das ist bei weitem nicht der einzige Schaden, den er der Branche und dem Staat zugefügt hat«, so Rogosin.

Der Vertrag über den Bau der Hubschrauberträger im Wert von 1,15 Milliarden Euro war im Juni 2011 in Sankt Petersburg unterzeichnet worden. Das erste Schiff, die »Wladiwostok«, befindet sich bereits im Bau und soll 2014 an die Kriegsmarine übergeben werden. Das zweite Schiff, die »Sewastopol«, wird ein Jahr später in Dienst gestellt. Stationiert werden beide Träger, die dann die größten der Pazifikflotte sind, in Wladiwostok. Aus den Verträgen aussteigen kann das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben nicht mehr, weil das horrende Strafen zur Folge hätte. Allerdings denke man über eine Stornierung von zwei weiteren Schiffsbestellungen nach, die der damalige Minister vorvertraglich geordert hatte.

Inzwischen machte sich Unmut bei den Chefs der russischen Militärindustrie wegen der immer häufigeren Aufträge ausgerechnet an ­NATO-Mitgliedsstaaten breit. Die russischen Pendants zu den italienischen Panzerfahrzeugen wären keinesfalls schlechter, hieß es, und auch die Hubschrauberträger hätten in Rußland genauso gut gebaut werden können. Das Verteidigungsministerium unter Serdjukow hatte seinerzeit die Auftragsvergabe mit den deutlich günstigeren Preisen begründet, die der Westen für vergleichbare Technologie angeboten hatte. Der stellvertretende Chef der Militär-Industrie-Kommission bei der russischen Regierung, Iwan Chartschenko, bezeichnete das als völlig absurd und erklärte, daß dem russischen Schiffbau und dem Staat großer Schaden zugefügt worden sei.

Das Verteidigungsministerium hat auf die Kritik reagiert und kündigte am Samstag an, künftig wieder mehr Aufträge an russische Rüstungsbetriebe vergeben zu wollen. Benötigte Technik werde nur noch im Ausland gekauft, wenn diese russische Firmen nicht anbieten könnten, sagte Minister Sergej Schoigu. Man wolle die heimische Industrie unterstützen, aber die Betriebe müßten auch Anforderungen des Verteidigungsministeriums gerecht werden und ihre Erzeugnisse zu marktkonformen Preisen anbieten.

Der Chefredakteur des Militärmagazins Arsenal, Viktor Murachowski, glaubt indes zu wissen, warum die bisherigen Geschäfte mit den NATO-Mitgliedsländern abgewickelt worden waren. Rußland erhalte auf diese Weise einen tiefen Einblick in technologische Konzepte auf einem sehr begehrten Marktsegment, schrieb er. Allerdings gebe es auch einen gewaltigen Nachteil: Notwendige Umrüstungen der russischen Armee hingen dann künftig auch von der politischen Situation in der Welt ab. Rußland werde erpressbar.

Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Januar 2013


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