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Die seit Ende April in mehreren Regionen Rußlands herrschende Benzinkrise konnte bislang nicht in Griff bekommen werden.

Von Wlad Grinkewitsch, RIA Novosti *

Vizepremier Igor Setschin, zuständig für den Öl- und Gassektor in Russland, hielt gestern (5. Mai) eine Beratung ab, in der zusätzliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Situation auf dem Kraftstoffmarkt erörtert wurden.

Später standen diese Fragen auf der Tagesordnung einer Sitzung des Regierungspräsidiums mit Premier Wladimir Putin. Letzterer verlangte von Setschin, gemeinsam mit der Kartellbehörde die Situation an den Tankstellen zu überwachen.

Wohin ist das Benzin geflossen?

Als erste stieß die Region Altai auf einen Benzinmangel. Derzeit gibt es in der Teilrepublik Tuwa und in den Gebieten Kostroma, Kemerowo und Tomsk Engpässe bei der Kraftstoffversorgung.

Experten führen die Benzinkrise auf zwei Ursachen zurück. Erstens wurden Ende April mehrere Ölraffinerien für Umbauarbeiten geschlossen - mit der Folge, dass weniger Benzin produziert wurde. Außerdem könnte das eine Folge der Politik der Ölkonzerne mit kompletter Wertschöpfungskette sein, die größere Gewinne einstreichen, wenn sie das Benzin ins Ausland exportieren.

Die erste Ursache ist umstritten: Die Benzinproduktion ist im April um vier Prozent gegenüber dem März gewachsen. Ähnlich sei der Trend bei der Produktion von Dieseltreibstoff, so die Statistikbehörde Rosstat.

Wahrscheinlich hat die Benzinkrise doch etwas mit dem Marktverhalten der Ölkonzerne zu tun, die sich nach der Konjunktur richten. Die internationalen Ölpreise sind seit Jahresbeginn immerhin um ein Drittel gestiegen. In den EU-Ländern haben sie bereits den Vorkrisenstand (2008) übertroffen. In Russland lag der Preisanstieg zwischen Dezember 2010 und April 2011 bei „nur“ 3,1 Prozent. Im Januar wurde der Preisanstieg mit „administrativen Hebeln“ gedämpft. Die Ölkonzerne verringerten daraufhin ihre Lieferungen auf den Binnenmarkt und steigerten die Exporte. Unabhängige Tankstellen erhielten kein Benzin mehr, die unabhängigen Raffinerien mussten ebenfalls „planmäßig“ schließen.

Gehandelt wird dort, wo es günstig ist

Experten rätselten lange über die Reaktion der Behörden: ob sie die Situation wieder mit „administrativen Instrumenten“ entspannen oder Marktmechanismen anwenden.

Die Ölunternehmen hofften auf den zweiten Weg: Unter den „Marktmechanismen“ verstehen sie die Senkung der Steuerlast für die Branche oder die Abschaffung der Preisobergrenzen auf dem Binnenmarkt. Zumal viele Experten überzeugt waren, dass die Preise ohnehin nicht eingedämmt werden können.

Die Regierung schlug sich auf die Seite der Verbraucher. Die Kartellbehörde sprach von einem Komplott zwischen den Ölkonzernen und prüft zurzeit die Situation in 20 Föderationssubjekten. Die Exportzölle für helle Ölprodukte wurden am 1. Mai von 283,3 auf 408,3 Dollar pro Tonne (geplant waren „nur“ 304 Dollar) hochgeschraubt. Außerdem erklärte Vize-Finanzminister Sergej Schatalow, dass eine Steuersenkung nicht in Frage komme.

Die Ölunternehmen mussten versprechen, dass sie zusätzliches Benzin in die Regionen mit Engpässen liefern.

Es sieht aber aus, dass das Benzin in weiteren Regionen ausgeht. Offenbar reichen die Maßnahmen der Regierung nicht. Setschin forderte gestern, die Abschaltung der Ölraffinerien strenger zu kontrollieren und schlug zugleich vor, den Ölgesellschaften Insidergeschäfte an der Börse zu verbieten, um einen spekulativen Preisanstieg zu verhindern. Nach seiner Auffassung soll das die Situation stabilisieren.

Die Wirkung der jüngsten Schritte zur Verbesserung der Situation an den Zapfsäulen lässt sich vorerst schwer einschätzen. Setschin beteuerte, er könnte auch weitere Eingriffe auf den Markt vorschlagen, falls es nötig sein sollte. Sie würden aber nicht dem Benzin, sondern dem Rohstoff gelten.

All diese Entscheidungen sehen aber aus wie die Eindämmung eines Waldbrands mit einem Feuerlöscher - sobald ein Brandherd gelöscht wurde, entstehen sofort neue. Denn einerseits wollen die Behörden den rasanten Preisanstieg für Ölprodukte verhindern, andererseits aber nicht die Interessen der Ölbranche verletzen, die bekanntlich der wichtigste Motor der russischen Wirtschaft ist.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 6. Mai 2011; http://de.rian.ru


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