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Neuer Prozess gegen Chodorkowski

Der frühere Chef des Jukos-Konzerns muss sich wegen Betrug und Geldwäsche verantworten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Er hoffe auf »Offenheit, Klarheit« und darauf, »dass das Gericht diesmal auf Tricksereien verzichtet«. Mit eben diesen Worten hatten Anwälte Michail Chodorkowski schon am Montag (2. März), einen Tag vor Beginn der neuen Prozesse gegen ihn, zitiert.

Mehr hatte der 46-jährige Chodorkowski – einst reichster Mann Russlands und Chef des Ölgiganten Jukos – auch am Dienstag (3. März) nicht zu sagen, als der fensterlose Polizeiwagen mit ihm und seinem Juniorpartner Platon Lebedjew unter starkem Begleitschutz vor dem Gericht im Moskauer Stadtteil Chamowniki vorfuhr. Ordnungskräfte hatten auch die umliegenden Straßen abgesperrt, um im Bedarfsfall Protest- und Sympathiekundgebungen zu unterbinden, da diese von der Moskauer Stadtregierung nicht genehmigt worden waren. .

Zwar hatte sich lange vor zwölf Uhr Ortszeit, dem offiziellen Beginn des ersten Prozesstages, eine Handvoll Vertreter oppositioneller Organisationen eingefunden. Sie warfen, als Chodorkowski an ihnen vorbei durch die Absperrungen geführt wurde, ein paar Nelken auf den Weg und kreischten »Schande«.

Ansonsten ist das Interesse der hiesigen Öffentlichkeit gebremst. Die meisten Journalisten, die den Prozessverlauf in einem benachbarten Saal über drei große Bildschirme verfolgen können, sind Vertreter westlicher Medien.

Iwan Normalverbraucher hat wegen der Krise momentan andere Sorgen als die Frage, warum und wie Chodorkowski und Konsorten sich das Staatsvermögen der Sowjetunion für ein Butterbrot unter den Nagel reißen konnten. Die Mehrheit fand daher die acht Jahre, zu denen er in einem ersten Verfahren im Mai 2005 wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und anderer Wirtschaftsvergehen verurteilt wurde, gerechtfertigt und bedauerte nur, dass der Rest der »Goldenen Horde« damals nicht auch vor den Kadi gezerrt wurde.

Der Westen dagegen sieht in Chodorkowski ein Opfer des Putin-Regimes. Der Oligarch hatte oppositionelle Parteien finanziell unterstützt und sich mit alternativen Bildungsprogrammen in die Erziehung künftiger russischer Wähler eingemischt. So lange Wladimir Putin und dessen Gefolgsleute im Kreml sitzen, so hiesige Oppositionelle, werde Chodorkowski daher hinter schwedischen Gardinen verbringen. Eben deshalb wurde ihrer Meinung nach auch im Herbst 2007, als Chodorkowski genau die Hälfte seiner Strafe verbüßt hatte und daher einen Antrag auf Erlass des letzten Drittels stellen konnte, ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet.

Die Vorwürfe sind ähnlich wie beim ersten Prozess: Betrug – dabei geht es um Aktien und Rohöl im Werte von 892 Milliarden Rubel, knapp 20 Milliarden Euro, die Chodorkowski unrechtmäßig an sich gebracht haben soll – und Geldwäsche. Die Anklage wirft ihm vor, zwischen 1998 und 2003 Erlöse aus dem Export von Rohöl im Umfang von 487 Milliarden Rubel (10,6 Milliarden Euro) und 7,5 Milliarden Dollar mit fragwürdigen Mitteln legalisiert zu haben. Erkennt das Gericht ihn für schuldig, drohen ihm insgesamt über 22 Jahre Haft. Der neue Prozess dürfte sich über mehrere Monate hinziehen. Die Anklageschrift umfasst 188 Bände, das Gericht will bis zu 200 Zeugen vernehmen.

Weder ihr Mandant noch dessen Mitangeklagter Lebedjew, so Jelena Lipzer, eine von Chodorkowskis Anwälten, bekenne sich schuldig. »Die Linie der Verteidigung« werde daher darin bestehen, »beider Unschuld im Verlauf der Verhandlungen zu beweisen«. Die neue Anklage, so auch Chodorkowski selbst auf seiner Website www.khodorkovskycenter.com/ sei eine »schändliche Farce«, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts gemein habe. Statt Rechtsprechung drohe erneut Abrechnung.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2009


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