Terrorakt im "Land der Berge"
Dagestan: 14 Tote und über 120 Schwerverletzte bei Doppelanschlag
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Mindestens 14 Menschen kamen bei
zwei Sprengstoffanschlägen in Machatschkala,
der Hauptstadt der
nordkaukasischen Teilrepublik Dagestan,
ums Leben.
Selbstmordattentäter hatten bei
der Fahrzeugkontrolle an einem
Straßenposten an der Ausfahrt im
Abstand von fünfzehn Minuten
zwei Bomben mit insgesamt 150
Kilogramm Sprengstoff gezündet,
diesem waren bis zu fünf Zentimeter
lange Stahldübel beigemischt.
Vor allem das erklärt die
hohe Zahl von Schwerverletzten.
Agenturen berichten von über 120.
Bei den meisten Opfern handelt es
sich um Polizisten, Rettungskräfte
und Sanitäter.
Ermittelt wird wegen Terrorismus.
Der Doppelanschlag ist der
schwerste der jüngsten Zeit im
russischen Nordkaukasus und geht
wahrscheinlich auf das Konto radikal-
islamischer Extremisten, die
nach der Befriedung Tschetscheniens
ihre Aktivitäten in die anderen
nordkaukasischen Teilrepubliken
verlagerten. Vor allem nach
Dagestan, wörtlich übersetzt
»Land der Berge«, wo auf einem
Gebiet, das weniger als die
Schweiz misst, über 100 kleine
und kleinste Völker eher schlecht
als recht zusammenleben. Diese
liefern sich seit Jahrhunderten erbitterte
Verteilungskämpfe um das
knappe Acker- und Weideland, seit
dem Ende der Sowjetunion 1991
auch um die ähnlich knappen Arbeitsplätze
in der strukturschwachen
Region. Die Führer der ethnisch
organisierten Clans rangeln
zudem um Staatsämter und damit
um Pfründen.
Die Ministerien werden in Dagestan
weiter nach ethnischem
Proporz vergeben, Ressortchefs
privatisieren Steuereinnahmen,
Zoll und andere Gebühren. Ungeschriebene
Gesetze dazu handeln
oder schießen die Clanführer unter
Umgehung Moskaus aus. Demzufolge
ist stets ein Darginer Präsident,
einem Lesginen steht das
Nationalitäten-, einem Kumyken
das Innenministerium und damit
die Befehlsgewalt über die Polizei
zu, die an Straßenposten auf eigene
Prokura Mautgebühren kassiert.
Vor allem von Angehörigen
anderer Volksgruppen.
Zwangsläufig heizt das die traditionellen
Spannungen zwischen
Kumyken – ethnischen Verwandten
der Türken, die im frühen Mittelalter
in die Küstenebene am
Kaspischen Meer einwanderten –
und den alteingesessenen Awaren
weiter an. Sie sind die mit Abstand
größte Bevölkerungsgruppe, fühlen
sich jedoch übervorteilt. Awaren,
die sich als Schafiten zu einer
sehr rigiden Rechtschule des Islam
bekennen, sind daher auch der
harte Kern militanter extremistischer
Gruppierungen.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 5. Mai 2012
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