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Will Russland Europa wirklich mit Gas erpressen?

Europa wirft Russland wirtschaftliche Erpressung vor. Dabei ist die erwachende Energiemacht genauso abhängig von Europa - politisch und wirtschaftlich

MOSKAU, 13. Dezember (Boris Kaimakow, RIA Novosti). In seiner Rede vor Studenten der Moskauer Universität hat Außenminister Sergej Lawrow dem Westen eine unfaire Konkurrenz vorgeworfen. Beunruhigt äußerte er sich über eine "Ideologisierung der internationalen Beziehungen". Als er merkte, dass die Studenten den latenten Sinn dieser abstrakten Formulierung nicht begreifen, bediente sich Lawrow der Sprache von Wirtschaftsunterhändlern. Zu den Anschuldigungen des Westens, Russland betreibe eine Erpressung mit Gas, stellte der Minister trocken fest: "Dahinter erkennt man die Absicht des Westens, Zugang zu den russischen Energieressourcen zu bekommen, ohne etwas in Retour zu geben."

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Moskau, seit es sich seiner Rolle einer "Energiegroßmacht" bewusst wurde, die Prinzipien seiner Beziehungen mit den Abnehmern der russischen Rohstoffe aktiv revidiert. Nach der radikalen Preisanhebung für die Ukraine im Januar wurde klar, dass der Kreml bereit ist, bei der Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Ansprüche an die engsten Nachbarn ernsthafte politische Rückschläge in Kauf zu nehmen. Damals konnte ein Preiskompromiss mit Kiew recht schnell gefunden werden, nicht zuletzt dank dem Druck der westlichen Abnehmer von russischem Gas auf die Ukraine.

Stark anzunehmen ist nun, dass Moskau auch mit der geplanten Preisanhebung für seinen Gasexport an Weißrussland keine Scherze macht. Mag sein, dass Sergej Lawrow nicht Minsk gemeint hat, als er von "Retour"-Forderungen sprach, offensichtlich ist aber, dass die Position Minsks in der Frage der Pipelines für Gasprom nicht akzeptabel ist. Weißrussland ist bemüht, die Rolle des russischen Monopolisten bei der Pipeline-Verwaltung auf seinem Territorium einzuschränken, was Moskau eindeutig ärgert. Insofern ist von der Notwendigkeit die Rede, die Gastarife anzuheben.

Die Härte, mit der der Kreml den Energiedialog mit seinen Nachbarn führt, hat im Westen eine Welle von Anschuldigungen ausgelöst - Russland sei bestrebt, Europa zu erpressen, um seine politischen Ambitionen zu realisieren. Anscheinend haben die neuen wirtschaftlichen Realitäten in einigen europäischen Metropolen das schon ziemlich vergessene Vokabular aus den Zeiten des Kalten Krieges wieder ins Leben gerufen.

Der harte Ton und die Handlungen Russlands wie auch das Streben, seine Energiepolitik vielfältiger zu gestalten, mussten natürlich westliche Analysten beunruhigen. Wenn Gasprom-Chef Alexej Miller von neuen Märkten potentieller Gasabnehmer in der Asiatisch-Pazifischen Region und in Nordamerika spricht, ruft das in Europa Beunruhigung hervor. Gasprom plant für die nächste Zeit einen Liefervertrag mit China, Flüssiggas-Lieferungen an die USA werden ernsthaft erwogen. All das gehört zu den neuen Realitäten, die verstanden werden müssen. Statt dessen wird aber Russland wirtschaftliche Erpressung vorgeworfen.

Alexej Miller behauptet indessen, dass Russland "alle Möglichkeiten hat, die Verpflichtungen gegenüber Europa in vollem Umfang zu erfüllen... und gleichzeitig eine Kooperation mit den Gesellschaften in der Asiastisch-Pazifischen Region zu entwickeln".

Davon, dass es sich nicht um leere Worte handelt, zeugt die Arbeit an der Ostseepipeline, die das Gasprom-Transportsystem direkt an die Gasverteilungsnetze Europas anschließen wird. "Das ist unser konkreter und gewichtiger Beitrag zur Gewährleistung der Energiesicherheit der europäischen Länder", betont Miller.

Hinzu kommen auch die überaus ernsthaften Pläne des Konzerns, einen neuen Transportweg nach Europa über die Türkei mit Hilfe der Pipeline "Blauer Strom" herzustellen. All das entkräftet die Spekulationen von einer Umstellung des russischen Gasexports ausschließlich auf den Osten.

Aber auch die Tatsache, dass Russland mit seinen ständig wachsenden Gaslieferungen Europa immer stärker an sich bindet, beunruhigt den Westen genauso. Diese Beunruhigung ist nicht gestern entstanden, sondern schon in den 80er Jahren, als an der Gasfernleitung Urengoi-Pomary-Uschgorod gebaut wurde. Gerade damals wurde die These von einer unzulässigen Energieabhängigkeit von Moskau formuliert. Inzwischen sind aber bereits mehr als 20 Jahre vergangen, in denen Russland keinen einzigen Anlass gegeben hat, an der Zuverlässigkeit seiner Lieferungen zu zweifeln.

Das lässt sich nicht nur mit der Sorge um den Ruf eines zuverlässigen Lieferanten, sondern auch mit gewissen objektiven Gründen erklären. Russland ist nämlich nicht weniger von den westlichen Abnehmern abhängig wie diese von Russland. Die Wirtschaft des Landes hängt entscheidend vom Export der Energieträger ab, deshalb ist es kaum vorstellbar, wie sich Moskau eine politische Erpressung Europas leisten könnte.

Insofern ist das Gerede von einer politischen Erpressung reiner Bluff. Niemand kann überzeugend genug formulieren, wie eine solche Erpressung der westlichen Demokratien aussehen könnte. Selbst in den Jahren des Kalten Krieges entwickelten sich die Handelsbeziehungen zwischen Russland und den europäischen Abnehmern unabhängig von den politischen Tendenzen. Insofern muss man dem russischen Außenminister beipflichten, der vor den Studenten betont hat, dass "es viel mehr Momente gibt, die uns mit dem Westen verbinden, als solche, die uns voneinander trennen".

Quelle: RIA Novosti, 13. Dezember 2006; http://de.rian.ru

Aktuelle Meldungen zum Thema

Außenminister Lawrow: Vorwürfe gegen Russland wegen Energieerpressung haltlos

MOSKAU, 11. Dezember (RIA Novosti). Die Anschuldigungen gegen Russland wegen einer Energieerpressung seien haltlos und seien ein Beispiel für die Ideologisierung der internationalen Beziehungen und für eine unfaire Konkurrenz.
Diese Auffassung vertrat der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag bei einem Treffen mit den Studenten an der Moskauer Lomonossow-Universität. "Dahinter ist die Absicht des Westens sichtbar, Zugang zu den russischen Energieressourcen zu bekommen und als Gegenleistung nichts anzubieten", sagte der Außenminister. Russland sei bereit, nach gegenseitig annehmbaren Lösungen zu suchen und eine möglichst enge Zusammenarbeit aufzunehmen, fuhr Lawrow fort. Er fügte hinzu, dass eine solche Zusammenarbeit gegenseitig vorteilhaft sein müsse. "Trotz jeglicher Druckausübung werden wir nicht auf unsere natürlichen Vorteile im Wettbewerb verzichten", sagte der russische Chefdiplomat. "Es fällt vielen schwer, Russland als einen gleichberechtigten Geschäftspartner zu betrachten und auf dieser Grundlage ihre Geschäfte mit diesem Land zu führen", so Lawrow.

Der Minister betonte, die außenpolitische Unabhängigkeit Russlands sei seine höchste Leistung. "Bei weitem nicht alle können sich dies in der modernen, immer globaler werdenden Welt leisten. Für uns ist das eine Schlüsselfrage, eine Frage der Souveränität", betonte der Minister. "Wir verhehlen nicht die bestehenden Differenzen mit den Geschäftspartnern, aber wir dramatisieren sie auch nicht", sagte Lawrow. Ihm zufolge sei in der russischen Gesellschaft kein Raum für den Antiamerikanismus und die westenfeindliche Stimmung da.

Auf die Reformierung der UNO eingehend, sagte der russische Außenminister, die UNO sei "jetzt und auf lange Sicht" ein der Legitimität nach einmaliges Forum, das verbindliche Entscheidungen zu aktuellen internationalen Problemen ausarbeite. In dieser Eigenschaft sorge die UNO für die außenpolitischen Interessen der gesamten Weltgemeinschaft, betonte Lawrow. Darin manifestiere sich ihr universeller Charakter und eine zentrale Rolle im internationalen kollektiven Sicherheitssystem, betonte der russische Außenminister.

USA-Außenamt: Kein Land darf Energiewirtschaft als Waffe einsetzen

WASHINGTON, 13. Dezember (RIA Novosti). Kein Land der Welt sollte die Energiewirtschaft als Waffe einsetzen. Das erklärte der offizielle Sprecher des US-Außenamts, Sean McCormack, vor Journalisten in Washington.
Nach einer Stellungnahme zum Beschluss Moskaus, den Zoll für den Ölexport aus Russland nach Weißrussland vom 01. Januar 2007 anzuheben, betonte er: "Solche Fragen müssen auf der marktwirtschaftlichen Basis und im Rahmen der allgemein anerkannten internationalen Vertragsnormen geregelt werden, die für den Handel mit den fossilen Brennstoffen gelten." Zugleich räumte er ein, dass die US-Administration hinsichtlich der neuen Situation im Bereich der russischen Öllieferungen an Weißrussland "noch über keine Fakten" verfüge. "Wir haben bereits von Russland ein Verhalten gesehen, das gewisse Besorgnis hervorruft", fügte der Sprecher hinzu.

US-Generäle und Konzernchefs kritisieren Bush und warnen vor Öl-Krieg mit Feindesstaaten

WASHINGTON, 14. Dezember (RIA Novosti). Eine Gruppe namhafter ehemaliger US-Generale und Admirale sowie Vertreter aus dem Big-Business haben Präsident George Bush gewarnt, dass eine Gruppe von feindselig eingestellten Staaten vorhätte, Öl als Waffe gegen die USA einzusetzen.
"Feindliche Staaten und Terrororganisationen sind eindeutig darauf eingestellt, Erdöl als eine starke strategische Waffe einzusetzen, um einen Schlag gegen die USA zu führen", heißt es in einem an Bush und den US-Kongress gerichteten Brief, der vom ehemaligen Chef der US-Marineinfanterie, General a. D. P. X. Kelly, und vom Präsidenten der Gesellschaft FedEx, Frederick Smith, unterzeichnet wurde.

Kelly und Smith sind Co-Vorsitzende des Rates für Vormachtstellung in der Energiesicherheit, der einen Bericht für den Präsidenten und den Kongress zur Verringerung der US-Abhängigkeit von Erdöl verfasst hat.

In einem Begleitschreiben zum Bericht stellen Kelly und Smith fest: "Die Entstehung einer Krise bei den Öllieferungen ist nicht auszuschließen bzw. nicht als eine wenig wahrscheinliche Entwicklung einzuschätzen."
Die Verfasser des Berichts bezeichneten die US-Abhängigkeit von Erdöllieferungen als eine "kritische Schwäche" und riefen den Präsidenten auf, seine Bemühungen um die Verstärkung der Energiesicherheit in den USA zu verstärken. "Die andauernde Untätigkeit der Regierung stellt ein Risiko dar, das durch nichts zu rechtfertigen ist", heißt es darin.
Die Mitglieder des Rates sind 16 namhafte ranghohe ehemalige Militärs sowie Top-Manager der Unternehmen Dow Chemical, Goldman Sachs, UPS, Royal Caribean u. a.

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