Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gorbatschow gibt Gründung neuer Partei bekannt

"Unabhängigen Demokraten" werden wenig Chancen eingeräumt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

»Unabhängige Demokratische Partei Russlands« soll das Kind heißen, das Michail Gorbatschow am Montag in Moskau aus der Taufe hob.

Mit von der Partie ist der Multimillionär Alexej Lebedjew, mit dem der erste und letzte Präsident der Sowjetunion bereits vor zwei Jahren 49 Prozent der Anteile an der kritischen »Nowaja Gaseta« erwarb, um das Sprachrohr russischer Oppositioneller vor dem finanziellen Ruin zu retten. Die Auflagenhöhe der Zeitung dümpelt dennoch weiter vor sich hin. Auch der neuen Oppositionspartei sagen Experten eine unsichere Zukunft voraus, und das gleich aus mehreren Gründen.

Nahziel der Unabhängigen Demokraten ist der Einzug in die Duma bei den nächsten Parlamentswahlen 2011. Das halten Beobachter angesichts der Sieben-Prozent-Sperrklausel für höchst fraglich. Pessimisten fürchten gar, die Partei werde gar nicht erst zugelassen. Das vor zwei Jahren verabschiedete neue Parteiengesetz fordert für die Registrierung mindestens 50 000 Mitglieder landesweit und Grundorganisationen in über der Hälfte der russischen Regionen. An diesen Forderungen sind schon viele Gründungsversuche gescheitert.

Auch hält sich die Nachfrage nach Oppositionsparteien in Russland nach wie vor sehr in Grenzen. Meinungsforscher veranschlagen ihr Potenzial selbst bei absolut freien und fairen Wahlen momentan auf maximal 25 Prozent. Gut die Hälfte davon gehört ohnehin den Kommunisten. Und ob die nichtkommunistische Konkurrenz die 12,5 Prozent, die ihr nach dieser Rechnung verbleiben, in reales politische Kapital ummünzen kann, ist momentan doch sehr fraglich. Enttäuscht über immer neue Fehlstarts, Misserfolge und Profilierungsneurosen strafen liberale Wähler ihre einstigen Hoffnungsträger zunehmend durch Boykott der Wahlen aller Ebenen ab. Allein das könnte auch der neuen Partei Gorbatschows zum Verhängnis werden. Dazu kommen seine persönlichen Handicaps.

Im Ausland nach wie vor der mit Abstand beliebteste Russe, muss Gorbatschow sich zu Hause vorhalten lassen, der Totengräber von Sowjetunion und Kommunismus zu sein. Mit beidem verbindet die Mehrheit der Älteren nach wie vor die beste Zeit ihres Lebens. Als Gorbatschow sich daher vor zwölf Jahren um das Amt des russischen Präsidenten bewarb, kam er auf weniger als ein Prozent aller abgegebenen Stimmen. Die sozialdemokratische Partei, die er später gründete, war ebenfalls ein Flop. Sie scheiterte an innerparteilichem Streit ebenso wie letztlich an den hohen Hürden des Parteigesetzes. Potenzielle Wähler werfen ihm und Kompagnon Lebedjew zudem vor, dass beide sich bisher nicht zu konsequenter Opposition durchringen konnten und die russische Demokratie der Putin-Medwedjew-Ära lediglich durch kosmetische Korrekturen im Westen salonfähig machen wollen.

Alexej Makarkin vom Zentrum für politische Technologien befürchtet sogar, hinter der Gründung stecke der Kreml. Dort habe man erkannt, dass in Russland die Sehnsucht nach (west-)europäischen Werten wachse, und wolle diese Wünsche mit einer kontrollierbaren Oppositionspartei bedienen. Das allein mache sie unattraktiv als Partner für Gruppierungen, die sich westlichen Werten tatsächlich verpflichtet fühlen. Hoffnungen auf eine Einigung der zerstrittenen »demokratischen« Szene Russlands, wie Gorbatschow sie sich offenbar macht, hätten sich daher bereits vor der Gründung der neuen Partei erledigt.

Dies scheint die jüngste Entwicklung einer anderen Oppositionspartei zu bestätigen: Die Union Rechter Kräfte (SPS) will am Donnerstag über ihre Zukunft entscheiden. Vor Tagen trat der SPS-Vorsitzende Nikita Belych zurück und verließ die Partei. Belychs Begründung: Der Kreml wolle auf der Basis der SPS eine »eigene« Oppositionspartei aufbauen. Gerüchteweise ist von einer Spaltung in Kreml-Treue und Kreml-Kritiker die Rede. Letztere wollten sich mit der Bürgerfront Garri Kasparows und der Gruppierung des früheren Regierungschefs Michail Kasjanow vereinigen. Die SPS jedenfalls scheint vor der Auflösung zu stehen.

Besser werde auch Gorbatschows neues Vorhaben nicht enden, meinen die Kommunisten. Gorbatschow, monierte KP-Sekretär Oleg Kulikow, habe mit der Perestroika bewiesen, dass er nur einreißen könne, nicht aufbauen. Daher werde ihm »kein einziger seriöser Politiker folgen«. Auch gebe es in Russland bereits eine oppositionelle Partei, die sich basisdemokratisch organisiert habe und unabhängig sei - die KPRF.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Oktober 2008


Zurück zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage