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Deutscher Atommüll für russische Sprengköpfe?

Die Plutoniumfabrik Majak ist höchst gefährlich und sorgt für die radioaktive Verseuchung von Flüssen und Seen

Von Bernhard Clasen *

Entgegen der Aussage von Bundesumweltminister Norbert Röttgen ist die russische Wiederaufbereitungsanlage Majak in Betrieb. Das zumindest sagen russische Umweltschützer, die die Schließung der Anlage fordern.

Es war eine sehr gute Nachricht für Natalja Mironowa, die Vorsitzende der »Bewegung für nukleare Sicherheit« mit Sitz in Tscheljabinsk – 65 Kilometer von der Plutoniumfabrik Majak entfernt. Im deutschen Umweltministerium war man Anfang dieser Woche zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Zustimmung zu einer Ausfuhrgenehmigung von Atommüll aus dem früheren DDR-Forschungsreaktor Rossendorf gegenwärtig nicht erteilt werden kann. Doch beim Lesen der Begründung des Transportstopps rieb sich Mironowa verwundert die Augen. Man müsse erst sorgfältig prüfen, ob in der Wiederaufarbeitungsanlage Majak eine sichere Verwertung stattfinden könne, hieß es da. Außerdem sei die russische Aufbereitungsanlage Majak derzeit gar nicht in Betrieb, ließ Minister Norbert Röttgen verlauten.

»Da sagt der Minister die Unwahrheit«, erklärt Mironowa gegenüber ND. »Das radiochemische Werk des Anlagenkomplexes Majak, in dem der Brennstoff aufbereitet wird, ist in Betrieb.« Mironowa weiß, wovon sie spricht. Sie hatte auf dem Gerichtsweg vergeblich versucht, der Fabrik die Lizenz entziehen zu lassen. Am 18. November berichtete der Direktor von Majak, Sergej Baranow, auf einem Forum in Tscheljabinsk stolz, dass die Fabrik nicht nur in Betrieb sei, sondern auch noch erweitert werden solle. Denn die Geschäfte laufen gut: Das Werk verarbeitet Atommüll aus russischen U-Booten und aus Atomkraftwerken aus fast allen RGW-Ländern.

Baranow berichtete weiter, von Seiten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) habe es bei deren Besuch 2009 keinen kritischen Hinweis gegeben. Umweltschützer bezweifeln jedoch, dass dieser Besuch jemals stattfand. Die Schweizer Sektion von Greenpeace konnte in Recherchen nichts von einem Besuch der IAEO in der Anlage in Erfahrung bringen. Weder beim russischen Atomkonzern Rosatom noch in Tscheljabinsk oder in der Presse gab es Verlautbarungen über den Besuch einer IAEO-Delegation 2009.

Laut Direktor Baranow könne man erst in acht Jahren die Verklappung radioaktiver Abwässer stoppen. Dann sei man technisch so weit, diese in feste Stoffe umzuwandeln, die dann eingelagert werden könnten. Das Problem des Tetscha-Flusses werde man wohl erst um 2100 in den Griff bekommen.

Laut Baranow werden die radioaktiven Abwässer in eigene »industrielle Wasserreservoirs« geleitet, von einer Einleitung in die Seen könne keine Rede sein. Umweltschützerin Natalja Mironowa bezweifelt dies: Man habe einfach Seen, in die die radioaktiven Abwässer eingeleitet werden, als »industrielle Wasserreservoirs« deklariert, um die Bevölkerung zu beruhigen. Lediglich ein Damm soll den Rest der Seen vor den Gefahren schützen. Dadurch lasse sich aber nicht verhindern, dass sich das radioaktiv verseuchte Wasser mit dem Grundwasser vermenge und so Radioaktivität in das Flusssystem des Urals gelange.

Mironowa weist auf eine weitere Gefahr hin, die bei der Genehmigung eines Atommülltransportes aus Deutschland berücksichtigt werden müsse: Da in Majak keine getrennte Bearbeitung von zivilem und militärisch genutztem Plutonium stattfinde, sei nicht auszuschließen, dass aus deutschem Atommüll gewonnenes Plutonium eines Tages in einem russischen Atomsprengkopf landet.

Russische Umweltschützer befürchten, dass der umstrittene deutsche Transport nach Majak lediglich auf 2011 verschoben werde. Mironowa rät dem Bundesumweltminister, nicht enttäuscht zu sein, sollte er bei seinen Bemühungen, etwas über die Sicherheit von Majak erfahren zu wollen, von Rosatom keine Besuchserlaubnis bekommen. Auch Vertreter des französischen Atomkonzerns Areva bekamen keine Möglichkeit, sich in einer anderen russischen Anlage ein Bild von den Lagerbedingungen des Atommülls zu machen.

Lexikon

Der Anlagenkomplex Majak (Leuchtturm) in Zentralsibirien besteht aus sieben bis zehn Werken mit unterschiedlicher Aufgabenstellung. Das »radiochemische Werk« etwa entzieht dem zivilen oder militärischen Ursprungsstoff Uran, Plutonium, Neptunium etc. Das von dort bereitgestellte Plutonium wird wiederum in »Werk 20« so weit bearbeitet, dass dieses militärisch genutzt werden kann. Wieder ein anderes Werk ist für die Produktion von Tritium zuständig. Daneben gibt es zudem ein Werk, das die Abfälle in schwach, mittel und hoch radioaktive Abfälle sortiert. BC



* Aus: Neues Deutschland, 10. Dezember 2010


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