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Medwedjews Abschied als Präsident / Tausendsassa Putin

Zwei Artikel der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti zur Macht-Rochade im Kreml


Die zehn Berufe des Wladimir Putin *

In seiner ersten Amtszeit als Präsident saß Wladimir Putin im Cockpit eines Kampfjets. Auch auf dem Posten des Regierungschefs zeigte Putin, dass er nicht nur seine Dienstpflichten verrichtet, sondern auch taucht, Eishockey spielt, Bilder malt und Tiere rettet.

Eishockeyspieler

Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident hat Putin, der sich zu einer gesunden Lebensweise bekennt, Eishockeyspielen gelernt. Die Russen gehören im Eishockey immer zu den Spitzenteams. Anfang 2011 versprach Putin, Schlittschuhlaufen zu lernen. Bereits zwei Monate später zeigte er seine Traningsfortschritte. Putin wurde er nach eigener Aussage nach Feierabend vom Olympia-Sieger Alexej Kassatonow trainiert. Das letzte Mal war er als Kind auf die Eisbahn gegangen.

Der Regierungschef schätzte seine Erfolge sehr bescheiden ein und sagte, dass er wie eine Kuh auf dem Eis laufe. Sein Interesse an Hockey verschwand jedoch nicht. Im Februar versprach er während eines Gesprächs mit den Eishockeyspielern in Perm, nach der Fertigstellung einer Eishalle in Krasnokamsk (Region Perm), hierher zu kommen und Hockey zu spielen.

In November übernahm der russische Ölkonzern Rosneft unter Teilnahme des Regierungschefs den legendären, aber finanziell angeschlagenen Klub CSKA. Im Januar wurde unter Schirmherrschaft Putins die Russische Amateur-Hockey-Liga gegründet, in der vor allem Senioren spielen.

Archäologe

Im August versuchte sich Putin als Archäologe. Er besuchte ein Archäologen-Camp auf der südrussischen Halbinsel Taman, wo nach der antiken Stadt Phanagoria gegraben wird. Putin wurde eine Ausgrabungsstelle eines zentralen Teils der antiken Stadt gezeigt, wo sich der Palast des Herrschers des Bosporanischen Reichs, Mitridat VI., befand. Ein Archäologiestudent, der sorgfältig eine gefundene Amphora säuberte, weckte die Aufmerksamkeit des Premiers. Putin fragte, aus welchem Jahrhundert der Fund stamme und was darin aufbewahrt werden könnte. Der Student antwortete, die Amphora sei aus dem 4. Jahrhundert. Daraufhin fragte Putin, ob das Gefäß nicht einen guten Tropfen Wein enthalte. „Sicher nicht“, antwortete der Student und schlug Putin vor, sich selbst als Archäologe zu versuchen. Putin ließ sich nicht zweimal fragen und reinigte ein paar Minuten lang die Amphora.

Putin zeigte auch früher Interesse an der Archäologie. Er besuchte die Ausgrabungen in Weliki Nowgorod, wo er mit den jungen Forschern die Probleme bei der Entwicklung der russischen Archäologie besprach.

Taucher

Bei seinem Aufenthalt auf der Halbinsel Taman lernte Putin einen weiteren Beruf. Er tauchte zum „russischen Atlantis“, dem überfluteten Teil der antiken Stadt Phanagoria, auf dem Grund der Taman-Bucht. Nach dem Tauchgang zeigte Premier zwei beschädigte Amphoren. Dies sorgte für Diskussionen in den Medien und im Internet (darunter in den Blogs) sowie Karikaturen.

Putin tauchte vor der Taman-Halbinsel erstmals mit einem Tauchgerät. 2009 war er mit dem Mini-U-Boot „Mir“ zum Boden des Baikalsees getaucht. Während des drei Stunden langen Tauchgangs lernte Putin die Forschungsmöglichkeiten des Apparats kennen. Der Premier sagte Journalisten anschließend, dass er überrascht war, wie trübe das Wasser war und nannte es eine „Suppe aus Plankton“. Dafür war er aber mit einem ökologischen Zustand des Sees zufrieden. „Das Wasser ist aus ökologischer Sicht sauber… Hinter dem Fenster gibt es eine sehr schöne Aussicht. Man kann den Grund des Baikal-Sees sehen, der sehr sauber und schön ist“, sagte Putin.

Geograf

Während seiner Amtszeit als Premier zeigte Putin ebenfalls Interesse an Naturwissenschaften, darunter an Geografie. 2009 wurde er zum Vorsitzenden des Kuratoriums der Russischen Gesellschaft für Geografie ernannt und beteiligt sich häufig an Projekten der Gesellschaft.

Die russische Gesellschaft für Geografie wurde 1845 nach einem Erlass des Zaren Nikolaus I. gegründet. Zurzeit besteht die allrussische Gesellschaftsorganisation „Russische Gesellschaft für Geografie“ aus 80 regionalen und örtlichen Abteilungen in ganz Russland. Ihr Hauptsitz befindet sich in St. Petersburg. 2009 wurde der damalige Zivilschutzminister Sergej Schoigu zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt.

Putin nimmt regelmäßig an den Sitzungen und Konferenzen der Gesellschaft für Geografie teil. Er händigt Prämien aus, trifft mit Wissenschaftlern und Teilnehmern von Expeditionen zusammen, mit denen nicht nur interessante Projekte und Entdeckungen, sondern auch wichtige Probleme bei der Förderung der Wissenschaft und praktische Fragen besprochen werden.

Die Russische Gesellschaft für Geografie hofft, dass Putin nach seinem Amtsantritt als Präsident Vorsitzender des Kuratoriums bleibt.

Tierschützer

Putin hat sich auch als Tierschützer einen Namen gemacht. Im vergangenen Jahr gab Putin im Interview mit dem US-Magazin „OutdoorLife“ zu, dass die Jagd sowohl als Tradition als auch als ein Hobby und Art, den Lebensunterhalt zu sichern, existenzberechtigt ist. Zugleich räumte er ein, dass er Angeln statt Jagen bevorzuge.

„Den Braunbären, der eines der populärsten Jagdobjekte auf der Kamtschatka-Halbinsel ist, werde ich kaum jagen. Auch andere Tiere können ruhig schlafen“, sagte Putin.

Unter Putins persönlicher Schirmherrschaft befinden sich auch Naturschutzorganisationen. Unter der Schirmherrschaft der Russischen Gesellschaft für Geografie werden die Programme „Eisbär“, „Amur-Tiger“, „Irbis-Schneeleopard“ und „Belucha-Weißwal“ verwirklicht. Auf der Webseite des Regierungschefs gibt es eine Rubrik zu diesen Programmen. Dazu gehört eine Karte mit den Aufenthaltsorten des Schneeleoparden „Mongol“, dem Putin bei seiner Reise nach Chakassien begegnet war. Die Raubkatze wurde in der Region eine Woche vor Putins Reise gefangen. Die Zoologen hatten das Tier zur Erforschung und Beobachtung der Irbis-Population in Südsibirien gefangen.

Bei „Mongol“ wurden alte Verletzungen am Hals entdeckt - die Spur einer von Wilddieben genutzten Schlinge und Kratzer nach Kämpfen mit anderen Tieren. Der Irbis wurde sieben Tagen lang behandelt.

Das Tier bekam Antibiotika. Ihm wurde ein Satelliten-Halsband umgelegt, dann wurde es wieder in die freie Wildbahn gelassen. Im August 2008 legte Putin im Ussuri-Naturschutzgebiet einer Amurtigerin mit eigenen Händen ein GPS-Halsband um, auf die er zuvor mit einem Betäubungsgewehr geschossen hatte.

Ein Jahr später musste Putins Sprecher die Medien beruhigen, als Informationen darüber auftauchten, dass die Tigerin verschwunden sei und es seit einigen Monaten kein Signal von ihrem Halsband gebe. Es stellte sich heraus, dass „Putins Tigerin“ (so wurde sie in den Medien genannt) gesund ist und ein Baby zur Welt gebracht hatte. An ihrem Halsband musste nur der Sender-Akku aufgeladen werden.

Auch der Weißwal „Dascha“ trägt ein von Putin umgelegtes Satelliten-Halsband. Putin lernte „Dascha“ während seiner Reise in die Region Chabarowsk kennen.

Mähdrescher-Fahrer

In seiner achtjährigen Amtszeit als Präsident hatte Wladimir Putin sich an viele Steuer gesetzt. Als Premier bekam er eine Gelegenheit, auch einen Mähdrescher zu lenken. Das passierte im Herbst 2011 während seiner Arbeitsreise durch die Region Stawropol, die er mit Präsident Dmitri Medwedew besuchte.

Beiden wurde damals jeweils ein Mähdrescher zur Verfügung gestellt. Im Fahrerhaus saß neben jedem VIP-Gast ein erfahrener Fahrer, der Hinweise gab. Steuern durften Medwedew und Putin aber selbst. Sie ernteten je sechs Tonnen Getreide und luden die Fracht in einem Lastwagen ab.

„Super! Es hat Spaß gemacht“, so Putin nach seiner Fahrt durch das Getreidefeld.

Im November 2011 durfte sich Putin an das Steuer eines Formel-1-Boliden setzen. Damals wurde ihm eine Rennstrecke im Gebiet Leningrad für mehrere Stunden zur Verfügung gestellt. In einer Kurve machte der Rennwagen einen Dreher, doch Putin konnte ihn wieder in die Spur bringen. Nach einer Computeranalyse teilten Experten dem Regierungschef mit, dass er 240 km/h auf dem Tacho hatte. „Nicht schlecht für das erste Mal“, sagte er.

Katastrophenhelfer

Im August 2010, als in vielen Regionen Russlands Waldbrände wüteten, versuchte sich Premier Putin als Feuerwehrmann. Bei einem 30-minütigen Flug war er als Co-Pilot eines Wasserflugzeugs Be-200 im Einsatz und für die Wasseraufnahme aus dem Fluss Oka (Gebiet Rjasan) und den Wasserabwurf auf die brennenden Wälder zuständig.

Für Putin war das aber nicht die erste Erfahrung als Pilot. Bereits vor seiner Wahl zum Staatsoberhaupt hatte er im Oktober 1999 in der Region Krasnodar ein Erdkampfflugzeug Su-25UB zehn Minuten lang gesteuert. Am 20. März 2000 steuerte der damalige Präsident acht Minuten lang einen Kampfjet Su-27UB auf dem Weg aus Krasnodar nach Grosny.

Zahnarzt

Einmal nahm Premier Putin einen Zahnbohrer in die Hand. Während eines Arbeitsbesuchs im Gebiet Belgorod besuchte Putin ein Krankenhaus im Dorf Golowtschino, das modernisiert werden musste. Nach der Besichtigung des Krankenhauses in Begleitung der Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa traf sich Regierungschef mit Angestellten des Krankenhauses, die sich über die veraltete Ausrüstung beklagten. Nach ihren Worten brauchten sie ein neues Ultraschallgerät, ein Mammographie-Gerät, ein EKG-Gerät und neue zahnärztliche Ausrüstung.

Im Zahnarztzimmer schlug Putin dem Gouverneur des Gebiets Belgorod, Jewgeni Sawtschenko, vor, sich in den Patientensessel zu setzen, nahm einen Bohrer in die Hand und sagte scherzhaft: „Sollten Sie die Ausrüstung nicht modernisieren, dann komme ich zu Ihnen und werde Sie alle mit diesem Gerät behandeln!“ Sawtschenko musste versprechen, dass das Krankenhaus bald neue Geräte bekommt.

Fernfahrer

Im Sommer 2010 versuchte sich Wladimir Putin auch als Fernfahrer. Damals weihte er die etwa 2200 Kilometer lange neue Autobahn zwischen Chabarowsk und Tschita am Steuer eines Lada Kalina ein.

An der ersten Tankstelle, nachdem er 350 Kilometer zurückgelegt hatte, lobte der Kabinettschef plötzlich das Fahrzeug, was die Journalisten, die ihn begleiteten, und Einwohner nicht erwartet hatten.

„Das ist wirklich ein sehr angenehmer, komfortabler und zuverlässiger Wagen“, betonte er und empfahl seinen im Fernen Osten lebenden Mitbürgern, die japanische Gebrauchtwagen bevorzugen, Ladas zu kaufen. Putins Sprecher, Dmitri Peskow, musste später allerdings die Behauptungen dementieren, dass sein Chef auf dem Weg aus Chabarowsk nach Tschita drei Fahrzeuge benutzt hätte, weil die Straßen zu schlecht für das Chassis gewesen waren und die Autos selbst viele Defekte hatten.

Während seiner Fernost-Reise traf sich Putin mehrmals mit Journalisten sowie mit Einwohnern, Straßenbauarbeitern und Fernfahrern. Mit Letzteren sprach er über die technische Bedienung der Fahrzeuge an der neuen Autobahn, über die Vorteile von ausländischen Lastern gegenüber russischen und über die Pläne des Lastwagenherstellers KAMAZ zur Bildung eines Joint Ventures mit einem Motorbauer aus den USA.

Künstler

Was Putins Verhältnis zur Kunst angeht, so musste er als Premier nicht nur die Probleme von vielen Theatern und Museen lösen. Er zeigte gelegentlich, dass er auch selbst mit Musikinstrumenten und Pinseln etwas anfangen kann.

In St. Petersburg werden jedes Jahr vor Weihnachten Bilder versteigert, die von Prominenten gemalt worden sind. Mit eingenommenen Geldern werden Krankenhäuser, Kinderheime, Kirchen usw. finanziert. Als Teilnehmer der Petersburger Weihnachtsmesse 2008 malte Putin ein Bild, ein Ornament auf einer bereiften Fensterscheibe. Dafür wurde er mit einer Urkunde ausgezeichnet und in die Reihen der Petersburger Volkskünstler aufgenommen.

Putins Bild wurde zum teuersten Gegenstand der Versteigerung: Die Moskauer Kunstgalerie „Neue Maler“ bezahlte dafür 37 Millionen Rubel (umgerechnet fast eine Million Euro).

Auch Putins Erfahrungen als Musiker sind mit einer Charity-Veranstaltung verbunden. Im Jahr 2010 spielte er während eines Wohltätigkeitskonzerts in St. Petersburg das sowjetische Lied „Womit beginnt die Heimat?“ auf dem Klavier und sang gemeinsam mit Jazz-Künstlern ein Lied in englischer Sprache. Nach seinen Worten hatte Putin das erste Lied zuvor mit den russischen Agenten gesungen, die aus den USA ausgewiesen worden waren.

Ein anderes Mal spielte der Ministerpräsident bei einem Besuch im Moskauer Theater der Nationen Klavier. Auch dort spielte er das Lied „Womit beginnt die Heimat?“

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 5. Mai 2012; http://de.rian.ru


Medwedews letztes Interview als Präsident: Es gibt keine Tabus mehr

Von Dmitri Babitsch, RIA Novosti **

Russlands scheidender Präsident Dmitri Medwedew hat gestern ein großes Interview für mehrere Fernsehsender gegeben und sein Image als moderner und pro-westlicher Politiker bestätigt.

Selbst unangenehme Fragen nimmt er gelassen auf, was jedoch nicht bedeutet, dass man von ihm Zugeständnisse erwarten sollte: Während der gesamten Zeit des Gesprächs hielt sich der Noch-Präsident an die offizielle Position zu allen Fragen, von der Verantwortung der Minister für die vielen Fehler bis zu dem so genannten Fall Chodorkowski und den Forderungen der Protestteilnehmer in diesem Winter.

Kurz zusammengefasst äußerte sich Medwedew wie folgt: In der Regierung wird es Umbesetzungen geben, aber die unpopulärsten Minister werden nicht entlassen. Wenn der frühere Yukos-Chef Michail Chodorkowski amnestiert werden möchte, sollte er darum bitten; die Moskauer Demokraten haben die Wahlen verloren, aber in der Demokratie zählt nun einmal die Willensäußerung der Mehrheit; Geeintes Russland ist eine starke Partei, und der scheidende Präsident hätte nichts dagegen, sich an die Parteispitze zu stellen, falls er darum gebeten werden sollte.

Die Zeit der „Tabu-Fragen“ neigt sich zwar allmählich ihrem Ende zu, aber das bedeutet nicht, dass die Zeit der „Ja-Antworten“ auf alle Forderungen der Oppositionellen kommt, was in den späten 1980er Jahren unter Michail Gorbatschow passierte. Im August 1991 zeigten sich Mitglieder des Staatskomitees für Ausnahmezustand von der Frage der Journalistin Tatjana Malkina über ihren Staatsstreich irritiert, weil sie das nicht erwartet hatten. In der Sowjetunion galt nun einmal, dass Machtstürze nur in Lateinamerika, aber nicht im eigenen Land möglich waren.

Moderne Politiker wie Medwedew lassen sich durch die Revolutionsaufrufe nicht verunsichern: Sie sind selbst aktive Internet-User und erfahren die Nachrichten nicht aus KGB-Berichten, sondern direkt von den Quellen.

Die liberale Öffentlichkeit, wie auch die einstigen Sowjetologen hatten wohl erwartet, dass Medwedew ein schlechtes Gewissen haben würde, als er sich die unangenehmen Fragen der Sender RenTV und Doschd über den Fall Chodorkowski und die Hungerstreiks in den Städten Astrachan und Lermontow (Region Stawropol) anhören müsste.

Doch der scheidende Staatschef antwortete auf diese Fragen genauso, wie der Westen üblicherweise auf Russlands Besorgnis um die europäische Raketenabwehr und die Nato-Erweiterung reagiert: Er wollte nichts zugestehen, erläuterte aber ausführlich das Geschehene und warum alle, darunter die Fragesteller, davon letztendlich profitieren würden.

Die Situation um Chodorkowski mag einigen zwar nicht gefallen, aber dieser habe bislang keinen Begnadigungsantrag gestellt, so Medwedew. Nicht zu reden davon, dass Chodorkowski seine Schuld nicht zugebe und um nichts bitte. Möglicherweise wolle der frühere Yukos-Chef seine völlige Unschuld beweisen, sagte der Präsident.

Zudem verwies Medwedew darauf, dass während seiner Amtszeit die Zahl der Häftlinge in Russland von einer Million auf 800 000 gesunken sei. Doch von den 200 000 Freigelassenen werde viel weniger als von der Freilassung Chodorkowskis gesprochen, bedauerte er.

Zur Rohstoffabhängigkeit der russischen Wirtschaft sagte Medwedew, die bereits seit Sowjetzeiten so geliebte „Produktion von Produktionsmitteln“ sei um 50 Prozent gewachsen, während die Produktion von Funktechnik nur um 30 Prozent zugelegt habe (Medwedew präzisierte allerdings nicht, um welche Zeitspanne es sich dabei handelt. 2008 wurden in Russland aber nicht allzu viele Maschinen hergestellt).

Viele Journalisten kritisierten, dass keine neuen Gesichter in den oberen Machtebenen auftauchen. Darauf erwiderte Medwedew, dass während seiner Amtszeit 50 neue Gouverneure ernannt worden seien. Damit lassen sich nach seinen Worten Fortschritte in allen angesprochenen Richtungen beobachten. Eine seiner wichtigsten Erfolge sei, dass sich die Russen viel freier fühlen.

Angesichts dieser offensichtlichen (und fast immer mit Statistiken untermauerten Angaben) Fortschritte stellt sich aber die Frage: Wenn alles so schön ist, warum bleibt das Glück aus?! Der Staatschef hat selbst eine gute Antwort darauf gegeben, als er über den Verlauf der Justizreform sprach: „Um ein modernes Gerichtssystem aufzubauen, sind die Richtlinien selbst nur das Mindeste. Es sind neue Verhaltensmodelle erforderlich, es muss etwas unternommen werden, damit sich die Richter danach richten.“

Das Problem ist also mit den Verhaltensmodellen verbunden. Darauf lassen sich offenbar auch die Probleme der Zensur zurückführen, die NTV-Moderator Alexej Piwowarow aufgeworfen hat.

„Die Medienzensur ist bei uns gesetzlich verboten, wohlgemerkt“, sagte Medwedew. „Falls es irgendwo dazu kommt, dann ist das ein Anlass für den Staat, sich einzumischen.“ Ob so etwas aber irgendwo in der Welt möglich ist, dass der Staat die Zensur einschränkt? Vielleicht nur in den späten Sowjet-Zeiten unter Michail Gorbatschow kam so etwas vor, was jedoch nicht allzu lange anhielt.

Damit ist eine Situation entstanden, in der Medwedew über Richtlinien und Piwowarow über die Verhaltensmodelle sprach. Nach seinen Worten stößt er als Journalist eines staatlichen TV-Senders auf viele Einschränkungen, die ihn „bei der Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten wesentlich behindern.“

So etwas zuzugeben, ist eine große Tat: Nach solchen Offenbarungen können manche Reporter ihren Job verlieren. Doch die Taten bzw. die Verhaltensmodelle sind dem Präsidenten zufolge viel wichtiger als jegliche Richtlinien. Für so eine Tat kann man dem Journalisten Alexej Piwowarow nur danken.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 27. April 2012; http://de.rian.ru


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