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Dmitri Medwedjew soll Russland regieren

Ein Mann Putins - auch ein Mann des Westens? Auf jeden Fall ein Mann der Wirtschaft

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Beiträge, die sich mit der Nominierung des Aufsichtsratsvorsitzenden von Gazprom zum russischen Präsidentschaftskandidaten befassen.



Prinzregent mit beschränkten Vollmachten

Kandidatur Medwedjews setzt dem Rätseln um die Nachfolge des russischen Präsidenten ein Ende

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Nachdem Dmitri Medwedjew von der Kremlpartei »Einiges Russland« und drei kleineren Parteien zum Präsidentschaftskandidaten auserkoren wurde, revanchierte sich dieser postwendend und erklärte, als Staatschef wünsche er sich Putin als Premier.

Russlands Aktienindex verzeichnete einen Rekord, die Kurse von Gazprom zogen gar um ganze sechs Prozent an. Kein Wunder, denn Medwedjew, Aufsichtsratsvorsitzender des Gasmonopolisten und im Hauptberuf Erster Vizepremier, trennt vom höchsten Staatsamt nur noch eines: das Wähler- Votum. Doch die Nation gab bei Umfragen bereits zu erkennen, für den Kandidaten stimmen zu wollen, den Präsident Wladimir Putin unterstützt.

Der verwahrte sich zwar formell stets gegen Begriffe wie Kronprinz. Doch Zufall oder nicht: Medwedjew hockte auf der Eckcouch in Putins Kabinett, als die vier kremltreuen Parteien für dessen Kandidatur den Segen des Präsidenten einholten. Er, so wurde Putin zitiert, kenne Medwedjew seit über 17 Jahren sehr gut und unterstütze diesen Vorschlag.

Medwedjew gehört in der Tat zu den Granden der Petersburger Landsmannschaft. Beide lernten sich kennen, als Putin Anfang der 90er in seine Heimatstadt als Vizebürgermeister zurückkehrte. Medwedjew, damals erst 25, aber bereits promoviert und Dozent an der Juristischen Fakultät der Staatsuniversität, diente ihm als Berater. 1999 folgte er Putin nach Moskau. Dort leitete er zunächst dessen Wahlkampfstab, wurde 2000 Vizechef der Kremladministration und 2003 deren Leiter. Schon 2002 hatte er den Vorsitz im Aufsichtsrat bei Gazprom übernommen, an dem der russische Staat 51 Prozent der Anteile hält. Im Herbst 2005 ernannte Putin Medwedjew und kurz darauf auch den damaligen Verteidigungsminister Sergej Iwanow zu Ersten Vizepremiers. Beide sind die Vormänner rivalisierender Flügel in Putins Umgebung: der sogenannte Liberalen und der Ex-Tschekisten.

Mit der Entscheidung für Medwedjew scheinen die Würfel gefallen zu sein. Beobachter sehen ihn allerdings als eine Art Prinzregenten auf Bewährung mit vorerst sehr begrenzten Vollmachten. Einige sogar nur als Platzhalter für Putin und daher weder willens noch fähig, die Strukturen in dessen Klüngel zu demontieren. Zum einen, weil Medwedjew selbst ein Teil davon ist. Zum anderen, weil er damit den fragilen Waffenstillstand von Liberalen und Tschekisten aufkündigen würde.

Medwedjew ist nicht der Mann, Putins Rundumschlag gegen demokratische Institutionen rückgängig zu machen. Sein Vorbild ist nicht das westliche, sondern eher das chinesische Modell, das politische Freiheiten nur in dem Maße konzediert, wie sie für die Verbesserung des Investitionsklimas unbedingt erforderlich sind.

Der 42-jährige Spross einer alten Gelehrtenfamilie gilt als konfliktscheu und durchsetzungsschwach. Wenn das Szenario, das der Politologe Stanislaw Belkowski der Nation seit Wochen um die Ohren haut, sich auch nur in Bruchteilen materialisiert, könnte Medwedjew, der weder über eine Hausmacht in den Regionen, noch über außenpolitische Erfahrung verfügt, schnell von den Entwicklungen überrollt werden.

Angesichts der Entwicklung in Kosovo haben Falken bereits gefordert, in Südossetien und Abchasien die Konsequenzen zu ziehen und Georgiens abtrünnige Regionen als unabhängige Staaten anzuerkennen. Neue Spannungen zur NATO, vor allem zu deren Führungsmacht USA, sind dann programmiert. Aus strategischen Gründen lässt Bush Georgiens Präsidenten Michail Saakaschwili trotz offenkundiger Demokratiedefizite nicht fallen.

Auch drängt die Wirtschaft, seit ein kremlnaher Finanzexperte den Medien Pläne für eine »samtene Renationalisierung« steckte, inzwischen allerdings widerrief, auf Eigentumsgarantien. Der Kandidat Medwedjew, fürchtet daher Nikolaj Petrow von der Moskauer Carnegie-Stiftung, könnte vor der Zeit verbrannt werden. Teile der Zunft sehen in dessen Ernennung ohnehin nur ein neues Ablenkungsmanöver. Ebenso die Wähler. Fast 60 Prozent glauben, Medwedjew sei Putins letztes Wort, aber nicht sein allerletztes. So jedenfalls das Ergebnis einer Blitzumfrage des Radiosenders »Echo Moskwy«.

Putin, so lautet die Begründung, habe in den letzten Wochen im Fließbandtakt widersprüchliche Signale ausgesandt. Zur künftigen Konfiguration der Macht in Russland und zu dem Part, den er selbst dabei zu geben gedenkt. Der zumindest ist auch nach Medwedjews Erhöhung und dessen Spruch vom Wunschpremier Putin noch immer ein Geheimnis.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2007


Noch nicht gewählt, aber schon ernannt

Von Andrej Wawra **

Das mehrmonatige Herumrätseln um die Präsidentschaftskandidaten und ihre Begutachtung sind ab Montag (10. Dez.) zu Ende

Dmitri Medwedew war seinerzeit der Erste, den man als einen realen Nachfolger betrachtete. Im Ergebnis ist er es heute auch wirklich.

Seine Kandidatur ist nicht nur von der Partei der Macht, sondern auch von Gerechtes Russland, der Agrarpartei und der Partei Bürgerkraft aufgestellt worden. Das heißt, dass er nicht nur von der Partei der Macht, sondern auch von Vertretern eines breiten Spektrums politischer Kräfte vorgeschlagen wird. Auf jeden Fall auch von jenen, die die Macht als ihre Verbündeten zu betrachten bereit ist.

Warum ist die Wahl auf ihn gefallen? Ich glaube, eine wichtige Rolle spielte der Umstand, dass er unter allen, die zusammen mit Putin kamen, sich in seinem Beruf vervollkommnet, die größte Lernfähigkeit bei der Aneignung der nicht leichten Kunst der Lenkung des Staates, die größte Fähigkeit zu Kompromissen und die Begabung gezeigt hat, sich keine Feinde zu machen, sondern Partner und Verbündete zu finden. Zugleich ist ihm auch eine gewisse Härte nicht abzusprechen. Nicht wenig Pluspunkte gewann er auch durch die aktive Arbeit des Fernsehens, obwohl der Nachfolger meiner Ansicht nach live viel überzeugender wirkt als auf dem Bildschirm.

Ich denke, auch im Ausland wird man sich über diese Wahl freuen. Nachdem die Beziehungen zum Westen eine maximale Spannungsstufe erlangt haben, darunter auch im Ergebnis der Parlamentswahlen, sendet Russland ein deutliches Signal: Zur Wahl steht ein Mensch, der das stabile Image eines ausgewogenen Politikers hat, sich zu den demokratischen Werten bekennt und die europäische Wahl des Landes unterstützt. Ja, wir werden nach wie vor fest auf unseren nationalen Interessen bestehen, beabsichtigen jedoch keineswegs, den natürlichen Konkurrenzkampf zu beständigen unversöhnlichen Konflikten aufzubauschen. Kurzum: Medwedew wäre ein durchaus zivilisierter Präsident.

Gesagt sei, dass sich Medwedews Konkurrenten während der Nachfolgerschau in keiner besonderen Weise hervortaten. Viktor Subkow zeichnete sich hauptsächlich dadurch aus, dass er zweitrangigen Beamten den Kopf wusch und jeden von ihnen in entfernte Regionen zu verschicken drohte. Sergej Iwanow setzte sich ein ganzes Jahr für etwas ein, was dem menschlichen Auge unzugänglich ist: Nanotechnologien. Außerdem ist bei ihm, wie sich erwies, die militaristische Ader und, als Folge, antiwestliche Orientierung ausgeprägt. Andere Kandidaten traten aus wenig bedeutenden Anlässen in Erscheinung, so dass man sie nicht einmal im Gedächtnis behielt. Unterdessen stieg Medwedew zu einer politischen Figur auf, und dies, sonderbar genug, auf dem Boden des Sozialbereichs, der schon immer für einen auf seine Zukunft bedachten Politiker als ein sicherer Weg zum Scheitern galt. Zwei Jahre lang beschäftigte er sich mit durch und durch prosaischen, aber ausschließlich wichtigen Dingen: Er kämpfte dafür, die soziale und materielle Lage von Millionen unserer Bürger zu verbessern. Und dank der Konzentration von kolossalen materiellen und Organisationsressourcen erreichte er dabei nicht wenig.

Diese Kandidatur ist wohl den meisten Menschen am verständlichsten, außerdem kann sie am ehesten den Hauptteil der Elite konsolidieren. Zugleich hat Medwedew zweifellos seine Sympathien und Antipathien. Während der Arbeit auf hohen Posten entstanden die eigenen Neigungen und Abneigungen. Seine Nominierung wird demnach nicht alle erfreuen, die heute zur politischen Elite gehören.

Sehr wichtig ist, wie sich das Zusammenwirken des künftigen Präsidenten mit Putin gestalten wird. Nach allem zu urteilen, sind hier keine Probleme zu erwarten. Medwedew galt schon immer als der nächste und treueste Mitstreiter des Präsidenten. Insofern wirkt also das Paar "der Präsident und der nationale Führer" am organischsten - obwohl eine solche politische Konstruktion höchst mehrdeutig und nicht traditionell ist. Allerdings gibt uns diese Konstruktion auf die Frage, was bei uns in vier Jahren sein wird, trotzdem keine Antwort.

Es ist natürlich nicht sehr spannend, dass Medwedew um den Präsidentensessel allein kämpfen wird. In diesem Zusammenhang sei die letzte Frage gestellt: Ist in der Intrige der Präsidentschaftskampagne der Schlusspunkt gesetzt worden? Nach allem zu urteilen, ja. Schließlich kann die Partei der Macht nicht zwei Kandidaten unterstützen. Selbst wenn jemand neben ihr - Ministerien, gesellschaftliche Bewegungen oder irgendwelche hypothetischen Verbände von Gouverneuren - einen eigenen Kandidaten auch vorschlägt, kann der Kandidat der Partei der Macht die Wahlen einfach nicht verlieren.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 11. Dezember 2007


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