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Konventionelle Aufholjagd

Methode "Mistral": Russland versucht High-Tech für die Truppe zu kaufen

Von René Heilig *

Russland und die USA haben rund 90 Prozent aller Atomwaffen in der Welt gehortet. Das ist viel zu viel. Eine glaubwürdige Abschreckungspolitik gegenüber jedermann kommt mit weniger aus. Zudem frisst die Modernisierung der Atomwaffen jenes Geld auf, das man zur Beschaffung von einsetzbarem Kriegsgerät benötigt.

Der neue START-Vertrag zur Atomabrüstung ist so gut wie fertig, ließ das russische Außenministerium zu Wochenbeginn verlauten. Ab 9. März wird es noch eine Verhandlungsrunde geben, dann könnte START 1 ersetzt werden. Der Vertrag war 1991 geschlossen worden und lief im Dezember 2009 aus. Er verpflichtete beide Staaten, ihre strategischen Nuklearwaffen auf jeweils 6000 Gefechtsköpfe und 1600 Trägerraketen zu reduzieren.

Analysiert man aktuelle Kriege und addiert künftige asymmetrische Scharmützel hinzu, so wird der Einsatz von Atomwaffen immer unwahrscheinlicher. Wäre da nicht ein Problem. Präsident Dmitri Medwedjew - derzeit auf Frankreich-Besuch - beschrieb es in einem »Paris Match«-Interview, als er von der »endlosen NATO-Erweiterung« sprach. Nein, in den Kalten Krieg wolle man nicht zurückkehren. Doch solange die NATO als Militärblock »mit dem wir übrigens insgesamt partnerschaftliche Beziehungen haben«, Russland auf den Leib rücke, müsse Moskau - wie in der im Februar verabschiedeten Militärdoktrin beschrieben - entsprechende Antworten vorhalten.

Auch, weil man auf konventioneller Strecke der NATO, vor allem ihrer Führungsmacht USA, hoffnungslos unterlegen ist. Russlands Streitkräfte sind zwar groß, doch nicht effektiv. Die Ausrüstung ist Jahrzehnte hinter aktuellen Notwendigkeiten zurück. Man muss nicht die Pannenserie mit der neuen U-Boot-Rakete »Bulawa« bemühen, um die Grenzen aktueller russischer Rüstungsbemühungen zu erkennen. Nach langem Baustopp glitten zwar wieder zwei Atom-U-Schiffe vom Stapel, doch ihre Raketenschächte sind leer. Da hilft es auch nicht, wenn Präsident Medwedjew und sein Vorgänger im Amt, der jetzige Premierminister Wladimir Putin, im Wettstreit um die meisten Truppen- und Rüstungsfabrikenbesuche stehen.

Russland braucht - geht man davon aus, dass Rüstung notwendig ist - dringend technologische Hilfe. Sogar wenn es um solche High-Tech-Waffen wie das neueste Suchoi-Kampfflugzeug T-50 geht, dessen Jungfernflug vor wenigen Tagen euphorisch gefeiert wurde. Da kommt das traditionelle Interesse Indiens an russischer Kampftechnik gerade recht. Gemeinsam will man aus dem Flugzeug eine Waffe machen.

Auch Russlands gealterte Marine braucht Hilfe. Daher verhandelt Medwedjew derzeit in Paris nicht nur über französische Beteiligungen an der North- und an der Southstream Erdgasleitung. Er will auch den seit Monaten bereits verhandelten »Mistral«-Deal unter Dach und Fach bringen. Dabei handelt es sich um einen hochmodernen Typ von Landungsschiffen, den man im vergangenen Jahr bereits intensiv vor Sankt Petersburg erproben konnte. Die Franzosen besitzen zwei dieser Schiffe. Russland möchte eines kaufen. Stückpreis irgendwo zwischen 300 und 550 Millionen Euro. Dazu will man zwei »Mistral« in Lizenz fertigen. Die Werften sollen Anschluss an das Westniveau bekommen. Das Geschäft wäre der erste große Waffenkauf Russlands in einem NATO-Land. Diesen Dammbruch wollen die Obama-Strategen verhindern. Parität auf atomarem Gebiet bedeutet nicht, dass man Russland auch auf anderen Gebieten Gleichberechtigung einräumt.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2010


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