Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lushkow muss doch gehen

Medwedjew verfügte Absetzung des Moskauer Oberbürgermeisters

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Seinen Posten als Moskaus Oberbürgermeister ist Juri Michailowitsch Lushkow los. Prompt trat er aus der Regierungspartei »Einiges Russland« aus, zu deren Gründern Lushkow vor elf Jahren gehörte. Damit dürfte er indes lediglich einem Ausschluss zuvorgekommen sein

Einem Mann, der das Vertrauen des Präsidenten verloren hat, sagt Boris Nadjeshdin, einer der führenden »Einheitsrussen«, könne auch die Partei nicht länger vertrauen. Mit Vertrauensverlust hatte Dmitri Medwedjew die Absetzung Lushkows nach 18-jähriger Amtszeit in dem Erlass begründet, den er am Dienstagmorgen unterzeichnete, bevor er zum »Tag Russlands« auf der Weltausstellung Expo 2010 in Schanghai aufbrach.

Natalja Timakowa, die Pressesprecherin des russischen Präsidenten, erklärte noch einmal, dass das Präsidentenamt Lushkow unmittelbar vor dessen einwöchigem Kurzurlaub in Österreich vor die Wahl zwischen Entlassung und freiwilligem Rücktritt gestellt und ihm für letzteren Fall sogar den Vorsitz im Senat oder den Posten des Präsidenten bei Olympstroi angeboten hatte, der Staatsholding, die die Bauarbeiten für die Olympischen Winterspiele 2016 in Sotschi koordiniert.

Russische Medien hatten sich in den letzten Wochen auf Lushkow und dessen Ehefrau Jelena Baturina regelrecht eingeschossen. Kritisiert wurde vor allem, dass Baturina ihren Reichtum lukrativen Aufträgen der Stadt Moskau für ihren Baukonzern Inteco verdankt. Das Paar sprach von Verleumdung und drohte mit dem Richter. Freiwilligen Amtsverzicht schloss Lushkow noch am Montag am Rande der Eröffnung einer UNESCO-Konferenz in Moskau aus. Er denke gar nicht daran, erklärte er Journalisten.

Wer Lushkow beerbt, ist bisher unklar. Laut Verfassung muss »Einiges Russland« als stärkste Partei im Moskauer Stadtparlament eine Liste von Kandidaten vorlegen, aus der Medwedjew seine Wahl trifft, die wiederum der Bestätigung durch die Stadtduma bedarf. Daran, so hieß es aus der Parteiführung, arbeite man bereits. Inoffiziell sind Lushkows ehemaliger Stellvertreter Waleri Schanzew, derzeit Gouverneur der Wolgaregion Nishni Nowgorod, und Lushkows derzeitiger Vize Juri Rosljak im Gespräch, ein ausgewiesener Verwaltungsexperte.

Auch die Namen von Sergej Sobjanin, Chef des Präsidentenamtes, und von Vizepremier Sergej Iwanow, Medwedjews Konkurrent um die Nachfolge Wladimir Putins 2008, sind schon gefallen. Beide haben aus Sicht kritischer Beobachter jedoch keine Chance.

Kreml und Regierung wollen keine Politiker an der Spitze der Regionen, sondern neutrale Beamte ohne eigene Machtambitionen. Auch um Gerüchten entgegenzutreten, der Machtkampf zwischen Medwedjew und Putin, als dessen Unterstützer Lushkow galt, spitze sich zu. Beide, so glaubt die auf Elitenforschung spezialisierte Soziologin Olga Kryschtanowskaja, suchten nach einem Kompromiss, um die Ergebnisse der Präsidentenwahlen Anfang 2012 nicht zu gefährden. Und das könne mehrere Wochen dauern

Mit Lushkows Entlassung, so auch der Tenor hiesiger Medien und der Opposition, habe Medwedjew dennoch erstmals signalisiert, dass er nicht nur nominell, sondern auch praktisch das Sagen in Russland hat. Künftig werde er auch die Putin-Partei »Einiges Russland« umgehen und sie schrittweise matt setzen, frohlockten besonders risikofreudige Wahrsager. Das dürfte indes nicht einfach werden. Die Einheitsrussen verfügen in der Duma und in den Regionalparlamenten über erdrückende Mehrheiten und halten auch in der Exekutive Schlüsselfunktionen.

Auch droht Lushkows Nachfolger passiver Widerstand durch den Beamtenapparat in der Moskauer Stadtregierung, wo Lushkow selbst bedeutungslose Referate mit Leuten seines Vertrauens besetzte. Um deren Netzwerke abzuschalten, könnte es Jahre brauchen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010


Lushkows Sturz

Von Detlef D. Pries **

Juri Lushkow hat eine Vorliebe für gekrönte Häupter. Wenngleich er fürs eigene Haupt die Schiebermütze bevorzugte, hätte er selbst einst gerne nach Russlands Krone (sprich: dem Präsidentenamt) gegriffen, musste sich allerdings einem Stärkeren beugen. Das hinderte Moskaus Oberbürgermeister aber nicht, sein Reich quasi-absolutistisch zu regieren. Ein kräftiger Schuss Populismus trug ihm durchaus Sympathien ein, die Folgen seiner Stadtplanung - und seiner Gattin Bautätigkeit - wurden kontrovers beurteilt, sein Umgang mit »Gastarbeitern« und Oppositionellen war dem Ansehen Moskaus in der Welt schlicht abträglich. Und Lushkows Selbstherrlichkeit missfiel im Kreml schon seit Langem - egal, ob der Präsident Putin oder Medwedjew hieß. Rechtspopulismus stoppen

Lushkow hätte wissen müssen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Als einer der letzten überlebenden Fürsten aus der Jelzin-Ära entsprach er nicht mehr dem Bild, das insbesondere Medwedjew vom heutigen Russland vermitteln will. Wäre er wie Tatarstans Präsident Mintimer Schaimijew »freiwillig« gegangen, hätte man ihm den Abschied versüßt. Doch er sträubte sich - und wurde nun gegangen.

Da mögen Kreml-Astrologen lange streiten, ob Moskaus Bürgermeister entlassen wurde, weil Medwedjew einen angeblichen Verbündeten Putins im Hinblick auf den Kampf um die Präsidentschaft 2012 los werden wollte, oder ob Lushkow nicht vielmehr gerade darüber gestürzt ist, dass er versuchte, Putin und Medwedjew gegeneinander auszuspielen. Ein »politisches Erdbeben«, eine »tiefe innenpolitische Krise« dürfte der Sturz des Moskauer Bürgermeisters jedenfalls kaum noch auslösen.

** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010 (Kommentar)


Zurück zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage