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Spott und Tadel aus Moskau

Russland hat ganz andere Pläne für die Rohstoffe des Kaspischen Meeres

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Auch Erdgas ist ein knappes Gut. Den beteiligten Konzernen wird es nicht gelingen, die Nabucco- Pipeline so zu füllen, dass sie sich rentieren wird. Heißt es zumindest in Moskau.

Mehr als moderaten Tadel und milden Spott hatte Moskau für das Pipeline-Projekt Nabucco bisher nicht übrig. Denn hiesige Experten kennen die Verluste, die die BTC- Pipeline, die Erdöl vom Kaspischen Meer unter Umgehung Russlands von Baku über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan pumpt, dem westlichen Betreiber-Konsortium beschert. Politisch ähnlich aufgeladen wie BTC hat auch Nabucco aus russischer Sicht gute Chancen, als Geldverbrennungsanlage in die Geschichte einzugehen. Der Aufwand – die Investitionssumme beläuft sich nach Angaben des deutschen RWE-Konzerns bereits jetzt auf 7,9 Milliarden Euro – und das Ergebnis stünden in keinem vertretbaren Verhältnis, warnte selbst der zur Opposition übergelaufene Ex- Vizeenergieminister Wladimir Milow.

In der Tat: Nabucco muss, um rentabel zu sein, nach Fertigstellung der ersten Ausbaustufe 2014 jährlich 8 bis 10 Milliarden Kubikmeter, später sogar 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Westen pumpen. Wie diese Menge zusammenkommen soll, steht bisher nicht einmal in Ansätzen fest. Kasachstan und Turkmenistan, denen Brüssel ursprünglich die tragende Rolle überhelfen wollte, haben schon zu Beginn des neuen Jahrhunderts nahezu die gesamte Förderung der damals erschlossenen Gasfelder in Verträgen mit bis zu 25 Jahren Laufzeit an den russischen Exportmonopolisten Gazprom verkauft. Anfang dieses Jahres sicherte sich der Konzern auch die gesamte Jahresförderung Usbekistans zu ähnlichen Konditionen. Damit soll die neue Pipeline gefüllt werden, die am Ostufer des Kaspi-Sees entlang nach Russland führt. Weitere Pipelines führen von Turkmenistan über Kasachstan nach China. Zwar betonte der turkmenische Präsident Kurbanguly Berdimuhammadow am Sonntag erneut, sein Land sei an Nabucco interessiert und verfüge über ausreichende Vorkommen, um alle zu befriedigen. Experten bezweifeln das. Zumal Turkmenistan die Offenlegung exakter Zahlen verweigert. Hinzu kommt, dass Russland über genug Druckmittel – politische wie wirtschaftliche – verfügt, seine Ex-Vasallen wieder auf Linie zu bringen, sollten diese versuchen, aus den Abkommen mit Gazprom auszusteigen.

Europa richtete seine Hoffnungen daher von Anfang an auf Aserbaidschan, das eine neutrale Außenpolitik betreibt. Doch während des Besuchs von Russlands Präsident Dmitri Medwedjew Ende Juni sicherte sich Gazprom das Vorkaufsrecht für die zweite Ausbaustufe des Schah-Deniz-Felds im Kaspischen Meer. Dort sollen ab 2016 jährlich 14 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert werden. Vor allem auf diese Vorkommen in der Tiefsee 150 Kilometer südöstlich von Baku soll auch Nabucco zugreifen.

Der aserbaidschanische Energie-Experte Ilham Schaban sagt, die EU habe sich das Debakel selbst eingebrockt. Außer Gazprom habe bisher niemand ein konkretes Kaufangebot für Schah-Deniz-2 abgegeben. Andere Beobachter vermuten politische Hintergründe: Gazprom habe den Zuschlag als Gegenleistung für einen Frontenwechsel Moskaus im Konflikt um Berg-Karabach erhalten, eine von Armeniern bewohnte Region, die sich 1988 von Aserbaidschan lossagte. Beim Gerangel um deren künftigen Status hatte die russische Regierung bisher ihren Verbündeten Armenien unterstützt. Auch bei Plänen, die Pipeline im schlimmsten Fall mit Gas aus Irak und sogar aus Iran zu befeuern, könnte Moskau der EU in die Quere kommen. Seit Frühjahr haben russische Konzerne auch dort den Fuß in der Tür und weitreichende Pläne für gemeinsame Exporte.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2009


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