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Neonazis im Land der Rotarmisten

Russland unterstützt kaum Initiativen gegen den erstarkenden Rechtsextremismus

Von Lisa Groß *

Rechtsextreme Gruppen haben in Russland massiven Zulauf. Gegeninitiativen sind in der Defensive. Ein entschiedenes Vorgehen von staatlicher Seite zum Schutz der Bevölkerung fehlt bisher.

Als Galina Kozhewnikowa vergangene Woche in Moskau ihren jährlichen Bericht über Rechtsextremismus in Russland vorstellte, war die Straße vor dem Menschenrechtszentrum Sowa von Polizisten gesäumt. Mehrere Morddrohungen gegen die stellvertretende Direktorin des renommierten Forschungsinstituts machten das große Aufgebot nötig. Die Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene in Russland beschäftigt, wird auf Neonazi-Webblogs als »Feind des Staates« aufgelistet.

Opfer rechter Gewalt sind aber nicht nur Personen aus dem Menschenrechtsspektrum oder aus alternativen Subkulturen. Zielscheibe sind vor allem Menschen aus Zentralasien oder Studierende aus dem außereuropäischen Ausland. Mit 87 Morden und 378 rassistisch motivierten Gewalttaten markiert das Jahr 2008 vorläufig den traurigen Höhepunkt der Opferstatistiken. Die Dunkelziffer dürfte die offiziellen Zahlen bei Weitem übersteigen. Moskau und St. Petersburg gelten als Zentren rechtsextremer Ausschreitungen, aber auch in Ekaterinburg, Woronesch und Nischni Nowgorod häufen sich gewalttätige Übergriffe.

Die fremdenfeindliche Gewalt geht meist von Skinhead-Gruppen aus, welche lokal oder regional organisiert sind. Eine feste Struktur ist wegen ständiger Abspaltungen und Neugründungen in der rechtsextremen Szene schwer auszumachen. Die gewaltbereiten Gruppierungen sind allerdings in russlandweite Netzwerke eingebunden, die mit ihrer anti-westlichen, anti-demokratischen und nationalpatriotischen Ideologie auch etablierte Politiker und Intellektuelle integrieren. So bekleideten Mitglieder der »Bewegung gegen illegale Immigration« führende Positionen in der Regierungspartei »Vereintes Russland« oder der kremltreuen Jugendbewegung »Naschi«. Und der Chefideologe der ultranationalistischen »Eurasischen Bewegung« Alexander Dugin war Ende der 90er Jahre offizieller Berater des Staatsdumavorsitzenden. Er kann daher auf gute politische Kontakte zurückgreifen.

Mittlerweile hat auch die politische Elite den ansteigenden Rechtsextremismus als Problem erkannt und bemüht sich um Distanzierung. Mit dem 2006 verabschiedeten »Antifaschistischen Pakt« schworen »Einheitliches Russland« und andere kremltreue Parteien von der Kooperation mit Rechtsextremisten ab. Der russische Präsident Dmitri Medwedjew bezieht sich stärker als sein Vorgänger auf den Schutz der Menschenrechte. Die Zahl der Verurteilungen wegen fremdenfeindlicher Gewalt oder rassistischer Propaganda stieg 2008 auf Grundlage des »Anti-Extremismus Gesetzes« an. Das Gesetz ist jedoch umstritten, denn nicht selten wird es zur Ruhigstellung der liberalen demokratischen Opposition genutzt.

Entschiedene Gegeninitiativen kommen bislang vor allem aus der Zivilgesellschaft. Menschenrechtsorganisationen wirken über Monitoring, politische Bildung und Opferhilfe den Rechtsextremen entgegen. Antifagruppen fordern mit ihrem proklamierten »Straßenkampf« die Skinheads eher in direkter Form heraus. Ihr Engagement genießt jedoch wenig Unterstützung seitens des Staates. Ein eindeutiges Bekenntnis zu Menschenrechts-NGOs fehlt bisher. Viele Teile der russischen Gesellschaft, die »dem Westen« kritisch gegenüberstehen, übertragen dies auch auf Werte wie Menschenrechte und Demokratie. Vor diesem Hintergrund tragen die russischen Behörden wenig zur gesellschaftlichen Aufwertung von Menschenrechtsarbeit bei, wenn sie angesehene Menschenrechtsorganisationen wie die Moskau-Helsinki-Gruppe oder Memorial als »Spione des Westens« denunzieren.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Februar 2009


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