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Menschenrechtsberaterin im Kreml tritt zurück und nennt möglichen Nachfolger

Moskau, 30. Juli 2010 - RIA Novosti *

Ella Pamfilowa, Vorsitzende des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, hat am Freitag (30. Juli) überraschend ihren Rücktritt vom Amt der Kreml-Beraterin angekündigt.

Sie habe dem Präsidenten Dmitri Medwedew den Antrag über ihren Rücktritt vom Amt der Kreml-Beraterin bereits vorgelegt und sogar ihren eventuellen Nachfolger aus dem Rat empfohlen, bestätigte Ella Pamfilowa in einem RIA-Novosti-Gespräch am Freitag.

Sie möchte auf diesem Posten den Wirtschaftsexperten Alexander Ausan sehen. "Ich denke, das ist ein würdiger Kandidat", sagte Pamfilowa. Dabei wollte sie die Gründe für den Rücktritt nicht nennen.

Die Vorsitzende der Kommission für Zivilgesellschaft bei der Gesellschaftskammer Russlands, Maria Slobodskaja, meint aber, dass Pamfilowa von der Uneffektivität des Menschenrechtsrates enttäuscht war, der kein Gehör fand.

Nach ihren Worten warf der Rat zahlreiche superaktuelle Fragen auf, und "ließ den Regierenden keine Ruhe". Sie konnte trotz unterschiedlichster Meinungen der Ratsmitglieder zu verschiedenen Fragen in den meisten Fällen einen Konsens erzielen.

Die Bürgerrechtlerin und Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ludmila Alexejewa, sagte RIA Novosti, dass Pamfilowa sehr engagiert ihre Aufgabe erfüllt habe. Sie brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass der Präsident ihren Rücktrittsantrag nicht annimmt.

Der Chef der Fraktion der Liberaldemokraten in der Staatsduma (Unterhaus des russischen Parlaments), Wladimir Schirinowski, äußerte die Meinung, Pamfilowa habe sich nicht anpassen wollen. Bei den Menschenrechten handele es sich um ein heikles Thema, um einen Konflikt mit der Macht. Vertreter der Kreml-Partei "Geeintes Russland" hielten den Rat für zu politisiert, so Schirinowski.

Dem Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow zufolge wurde die Menschenrechtsberaterin mit einem ständigen harten Widerstand von oben konfrontiert. Sie versuchte jedoch, die Regierenden zu beeinflussen.

Ella Pamfilowa bekleidete 1991 bis 1994 (unter Präsident Boris Jelzin) das Amt des Ministers für Sozialfürsorge. Seit 2002 leitete sie die Kommission für Menschenrechte beim Präsidenten. Nach einer Reorganisation der Kommission 2004 wurde sie Vorsitzende des Rates für die Förderung der Institute der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim Präsidenten Russlands.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 28. Juli 2010; http://de.rian.ru


Aufgegeben?

Ella Pamfilowa - die Menschenrechtsberaterin des russischen Präsidenten hat ihr Amt niedergelegt

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Journalisten hörten von Dmitri Medwedjews Beauftragter für die Zivilgesellschaft, Ella Pamfilowa, am Wochenende immer nur drei Sätze: Niemand habe sie zum Rücktritt gedrängt, sie werde künftig andere Aufgaben übernehmen, die nichts mit Politik zu tun haben. Gründe für ihre Entscheidung wollte sie vorerst nicht nennen. Die Fragesteller konnten also nur mutmaßen und machten vor allem das neue Gesetz verantwortlich, das die Kompetenzen des Inlandsgeheimdienstes FSB beträchtlich erweitert. Nicht nur Menschenrechtler und Russlands Opposition, auch ausländische Staats- und Regierungschefs hatten Bedenken angemeldet und gehofft, Präsident Medwedjew werde auf Nachbesserungen bestehen, bevor er die Feder zur Unterschrift ergreift. Diese Hoffnung hatte sich jedoch am Mittwoch (28. Juli) erledigt. Auch Pamfilowa, immerhin Staatsbeamte, hatte das Gesetz in der ihr eigenen Form kritisiert: mit sanfter Stimme, in der ein Unterton von Bedauern und Unverständnis mitschwang.

Jungmädchenhafte Schüchternheit, graublaue Kinderaugen und langes blondes Haar verstärken den Eindruck, dass diese Frau ein Problem hat: Durchsetzungsvermögen. Doch Pamfilowa hat mit diplomatischem Geschick einiges bewegt: im Tschetschenienkrieg, bei der Diskussion um Meinungs- und Medienfreiheit wie bei der Humanisierung des Strafvollzugs.

Vor 57 Jahren in Usbekistans Hauptstadt Taschkent geboren und in Moskau zur EDV-Ingenieurin ausgebildet, gehörte sie während der Perestroika zu den Demokraten der ersten Stunde, diente Boris Jelzin Anfang der 90er als Sozialministerin und saß 1993 bis 1999 in der Duma. 2004 ernannte Präsident Wladimir Putin sie zur Koordinatorin seines Beraterstabs für Menschenrechte und die Entwicklung der Zivilgesellschaft. In gleicher Eigenschaft diente sie Medwedjew, obwohl die Regierungspartei »Einiges Russland« ihren Rücktritt forderte. Pamfilowa stellte sich schützend vor kritische Journalisten und hielt erst jüngst der Jugendorganisation »Naschi« Extremismus vor. Die »Naschisten« hatten liberale Oppositionelle und Menschenrechtler in einer Installation als Nazis porträtiert. Pamfilowa hatte neben Bestrafung der Verantwortlichen auch eine andere Jugendpolitik gefordert.

** Aus: Neues Deutschland, 2. August 2010


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