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Gesetz macht aus der Miliz wieder eine Polizei

Russlands Sicherheitskräfte werden auf eine rechtsstaatliche Basis gestellt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

In Russland trat zu Wochenbeginn ein Gesetz in Kraft, das nach beinahe neunzig Jahren aus der Miliz wieder eine Polizei macht.

Das neue russische Polizeigesetz ist Teil des Modernisierungsprogramms von Präsident Dmitri Medwedjew, der den Entwurf auch initiiert hat. Bevor die Duma ihn im Herbst absegnete, konnten alle Bürger Russlands per Internet Vorschläge und Kritik einbringen. Ein Gutteil davon fand Eingang in das das Gesetz, von dem Kreml und Regierung hoffen, es werde »partnerschaftliche Beziehungen zwischen Bürgern und Rechtschutzorganen herstellen«.

Ein hehres Ziel, dessen Umsetzung nicht ganz einfach werden dürfte. Denn das Verhältnis der Russen zu ihrer Miliz – ursprünglich meinte das Wort »Freiwillige, die für eine Idee streiten« – ist seit Jahren nachhaltig gestört; das auch in Russland für Angehörige der Rechtschutzorgane gebräuchlicher Wort »Beschützer« wird seit dem Ende der Sowjetunion nur noch ironisch verwendet.

Befragungen ergeben immer wieder, dass die Nation vor Milizionären in etwa die gleiche Angst hat wie vor Kriminellen. Besonders verhasst ist die Verkehrspolizei, die oft auch bei unklarer Rechtslage und auf eigene Faust abkassiert. Ihren schlechten Ruf festigten die Ordnungshüter auch durch Versagen und Fehlleistungen bei Geiseldramen und anderen Katastrophen.

Das soll jetzt anders werden. So sind Polizisten künftig verpflichtet, Festgenommen ihre Rechte zu erläutern: Auf juristischen Beistand, gegebenenfalls auf einen Dolmetscher, auf Verweigerung von Aussagen und einen Telefonanruf, um Angehörige über die Festnahme zu informieren. Vor allem aber: Die Polizei verliert das Recht auf Anwendung von »Sondermitteln« wie Tränengas, Wasserwerfer und Gummiknüppel bei der Auflösung von Meetings und Demonstrationen. Das gilt auch für Protest, der von den Behörden nicht genehmigt wurde, nicht jedoch bei Massenunruhen und Randalen. In derartigen Situationen bekommen die Polizisten sogar weitere Vollmachten.

Auch darf sich die Polizei künftig ohne Gerichtsbeschluss nur noch dann gewaltsam Zutritt zu Privatwohnungen verschaffen, wenn Eigentümer und Mieter akut bedroht sind. Bisher war dies auch möglich, um Hergang und Umstände von Verbrechen aufzuklären. Die schwammige Formulierung öffnete Tür und Tor für Missbrauch.

Auch ein Schild mit Vor- und Nachnamen sowie der genauen Bezeichnung ihrer Einheit müssen Russlands Polizisten sich künftig an die Brust heften. Unklar bleibt jedoch die Anrede. Innenminister Raschid Nurgalijew schlug »Herr Polizist« vor und trat damit einen landesweiten Sturm der Entrüstung los. Vor allem bei den Älteren in den von der Hitlerwehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten. Die dort von den Okkupanten rekrutierten Kräfte – bevorzugt wurden Antikommunisten und andere Feinde der Sowjetunion, die ihre Macht häufig für Abrechnungen mit persönlichen Gegnern nutzten – wollten ebenfalls mit »gospodin polizejski« (Herr Polizist) angeredet werden.

* Aus: Neues Deutschland, 2. März 2011


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