Moskauer Debatte über Privatarmeen
Wladimir Putin lässt internationale Erfahrungen prüfen
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Russische Privatarmeen weltweit im
Einsatz, unter anderem im Dienst
staatlicher Energiekonzerne zum
Schutz von Infrastruktur und Fördergebieten? Die bizarre Idee stammt
von einem enfant terrible der russischen
Politik: Alexei Mitrofanow.
Die Idee Mitrofonows, der zunächst
für die ultranationalen Liberaldemokraten
von Wladimir
Schirinowski in der Duma saß und
dann zur Mitte-Links-Partei »Gerechtes
Russland« wechselte, stieß
sogar allerhöchsten Ortes auf
wohlwollendes Interesse. Er, so
Präsident Wladimir Putin bei seiner
letzten Rechenschaftslegung
als Premierminister vor dem Parlament,
stehe dem Vorhaben positiv
gegenüber. Eine von ihm angeregte
Arbeitsgruppe, die Erfahrungen
anderer Länder analysieren
und Vorschläge unterbreiten
soll, nahm inzwischen ihre Tätigkeit
auf.
Söldner-Armeen dienen in der
Politik als »indirekte Instrumente«
zur Durchsetzung von Interessen.
Die ehemaligen Kolonialmächte
setzten sie in den 1960er Jahren
vor allem in Schwarzafrika ein.
Auch die 1977 angenommenen
Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen
zum Schutz von Kriegsopfern,
die Söldner zu illegalen
Kombattanten erklären, vermochten
den Sumpf nicht trockenzulegen.
Als nach dem Kalten
Krieg in den NATO-Ländern wie in
der ehemaligen Sowjetunion viele
Berufssoldaten den Dienst quittieren
mussten, wurden sie von privaten
Sicherheitsfirmen angeheuert,
die vor allem nach dem Einmarsch
in Afghanistan 2001 und
in Irak 2003 immer wichtiger
wurden.
Russland sieht für eine Söldner-
Armee derzeit vor allem zwei
Geschäftsfelder: Energiesicherung
und die im Entstehen begriffene
Euroasiatische Gemeinschaft, die
zu Putins außenpolitischen Prioritäten
gehört. Dazu müsse Moskau
jedoch vor allem seine Positionen
in Zentralasien und im Kaukasus –
auch in den international nicht
anerkannten Republiken Abchasien
und Südossetien, die Georgien
weiter als Teil seines Staatsgebiets
betrachtet – festigen, schreibt
die dem Außenministerium nahe
stehenden Nachrichtenagentur
RIA Nowosti.
Denkbar wäre aus ihrer Sicht
auch ein Einsatz in Afghanistan
nach dem geplanten Abzug der
NATO 2014. Moskau geht – zu
Recht – davon aus, dass die
schwache Zentralregierung in Kabul
nicht adäquat auf Sicherheitsbedrohungen
reagieren kann. Es
fürchtet wegen der durchlässigen
Grenzen der zentralasiatischen
Staaten einen neuen Boom im
Drogen- und Waffenschmuggel in
der Region sowie das Vordringen
islamischer Extremisten in die
muslimischen Regionen Russlands
im Nordkaukasus und an der Wolga.
Eine Intervention regulärer
Streitkräfte aber kommt wegen der
leidvollen historischen Erfahrung
der Sowjetunion am Hindukusch,
und weil massiver Widerstand der
Bevölkerung droht, nicht in Frage.
Das Für und Wider von Privatarmeen,
hieß es in der neuen Arbeitsgruppe,
müsse jedoch sorgfältig
abgewogen werden. Die
Strategen treibt neben Bedenken
wegen des völkerrechtlich ungeklärten
Status von Söldner-Armeen
auch die Angst um, ehemalige
Offiziere, die keine Beamten
mehr sind, könnten der Kontrolle
des Staates entgleiten.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 31. Mai 2012
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