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Prozessauftakt gegen Punkband in Moskau

Drei Frauen von Pussy Riot drohen sieben Jahre Haft *

Unter großem Interesse der Öffentlichkeit hat in Moskau am Montag der Prozess gegen drei Mitglieder der feministischen Punkband Pussy Riot begonnen. Ministerpräsident Dmitri Medwedjew rief trotz anhaltender internationaler Kritik zur Gelassenheit auf. In anderen Ländern müssten die Frauen mit deutlich höheren Strafen rechnen als in Russland, sagte er gegenüber der Zeitung »The Times«.

Den seit März inhaftierten Musikerinnen Jekaterina Samuzewitsch (29), Maria Aljochina (24) und Nadeshda Tolokonnikowa (22) wird »Rowdytum aus Motiven des religiösen Hasses« vorgeworfen. Ihnen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Die Band der drei Frauen hatte bei einem spontanen Auftritt in der Moskauer Christi-Erlöser-Kirche am 21. Februar unter anderem den Satz »Maria, Mutter Gottes - vertreibe Putin« gesungen.

Die Vorsitzende Richterin betonte bei der Verlesung der Anklageschrift, die im Internet übertragen wurde, die Musikerinnen hätten »den Gläubigen tiefe geistige Wunden zugefügt« und »die Vorstellungen von der Gerechtigkeit ins Wanken gebracht«. Der Protest habe sich nicht gegen Gläubige gerichtet, sondern gegen den Wahlaufruf des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill für Putin zur Präsidentenwahl am 4. März, erklärte dagegen die Angeklagte Samuzewitsch. Dieser sei »eine klare Verletzung« des Prinzips der Trennung von Kirche und Staat gewesen.

Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, sprach wie russische Menschenrechtler von einem »politischen Schauprozess«, um oppositionelle Regungen im Land zu unterdrücken. Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Stefan Liebich forderte ein umgehendes Prozessende. »Alles andere wäre ein erneuter trauriger Beweis dafür, dass Russland weiter den Weg eines lupenreinen Polizeistaates geht.« Vor dem Gerichtsgebäude riefen Unterstützer »Freiheit für Pussy Riot«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Juli 2012


»Lügenhafte Anschuldigungen«

Künstler wie Sting und Nina Hagen solidarisch mit russischen Pussy Riot-Punkerinnen

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Schon beim gestrigen ersten Tag des Prozesses gegen die feministische Punk-Gruppe Pussy Riot deutete alles darauf hin, dass das Verfahren im Eiltempo durchgezogen werden soll. Unterdessen zeigen sich weltweit Künstler solidarisch mit den drei inhaftierten Frauen.

Der Kreml möchte das Thema Pussy Riot vor allem deshalb schnell vom Tisch haben, weil der Skandal immer größere internationale Kreise zieht und das ohnehin leicht ramponierte Russland- Bild weiter beschädigen könnte. Die Band hatte kurz vor den Präsidentenwahlen im März in der Moskauer Christi-Erlöser-Kirche die Gottesmutter in einem sogenannten Punk-Gebet um Vertreibung Putins gebeten und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert.

Schon im Frühjahr hatten sich mehr als 100 russische Kulturschaffende und Künstler für die seit März inhaftierten Punkerinnen von Pussy Riot eingesetzt. Für ihre Freilassung machen sich inzwischen auch Künstlerkollegen im Ausland stark, darunter Weltstars wie Sting, der kürzlich in Russland Konzerte gab.

Es sei »schrecklich«, sagte Sting hiesigen Medien unmittelbar vor dem Auftritt in Moskau am Abend des 25. Juli, dass die Musikerinnen zu sieben Jahren Gefängnis wegen »Anstiftung zu religiösem Hass«, wie es in der Anklage heißt, verurteilt werden könnten. »Dissidententum ist das logische und natürliche Recht eines jeden in jeder Demokratie und die Politiker von heute müssen dieses Recht tolerieren. Das Gefühl für Maß und das Gefühl für Humor sind Anzeichen für Stärke, nicht für Schwäche. Die Machthaber Russlands täten daher gut daran, die lügenhaften Anschuldigungen gegen die Mädchen fallen zu lassen und ihnen zu erlauben, ins normale Leben und zu ihren Kindern zurückzukehren.«

Mit ähnlichen Worten hatten zuvor schon Alt-Punkerin Nina Hagen und die britische Rockband Franz Ferdinand sowie die Gruppe Red Hot Chili Peppers ihre Solidarität mit den Punkerinnen zum Ausdruck gebracht. Die US-amerikanische Punk-Gruppe Anti-Flag um Frontmann Justin Sane hatte das Anti-Putin-Gebet ihrer russischen Kolleginnen sogar ins Englische übersetzen lassen, die Musik neu gemixt und war mit dieser Version in mehreren Städten aufgetreten. Der Erfolg, so berichtete der US-Auslandssender »Radio Liberty«, sei überwältigend gewesen.

Anti-Flag, eine der bekanntesten Politpunkbands aus den USA, die 2011 auch die Proteste auf der New Yorker Wall Street unterstützte, wird mit ihrer Version des Anti-Putin-Songs auch heute Abend bei einem Solidaritätskonzert in Berlin auftreten. Ihre Teilnahme zugesagt haben zudem die Berliner Bands Radio Havanna und Smile And Burn.

Die gesamten Einnahmen sollen dem »Pussy Riot Defense Fonds« zugute kommen, um davon Protestaktionen und Anwaltskosten zu begleichen. Bei dem Konzert sollen auch Geschenke für die Kinder der Musikerinnen gesammelt werden.

Der Fonds zur Unterstützung der Punkerinnen wurde in Kooperation mit Amnesty International gegründet. Die internationale Menschenrechtsgruppe, die auch eine Sektion in Russland unterhält, hat die drei Frauen – Jekaterina Samuzewitsch, Maria Aljochina und Nadeshda Tolokonnikowa – zu politischen Gefangenen erklärt, ist bei dem Konzert mit dabei und will dort über das Schicksal der Pussy-Riot-Mitglieder informieren.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Juli 2012


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