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Oligarch übernimmt Führung der Rechten

Michail Prochorow soll die Fahne der Neoliberalen in Russland aufnehmen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Gerade mal 41 Jahre jung ist Michail Prochorow, der Chef der Finanzgruppe Onexim. Mit einem geschätzten Privatvermögen von 9,5 Milliarden US-Dollar gehört er zu den reichsten Männern Russlands. Jetzt will er seine Qualitäten als effizienter Manager auch auf politischem Gebiet austoben.

Die neoliberale Partei »Rechte Sache« will Michail Prochorow auf ihrem in Kürze stattfindenden Parteitag zum Vorsitzenden wählen und verspricht sich davon Erlösung aus Agonie und Bedeutungslosigkeit. »Rechte Sache« (Prawoje Djelo) ist eines der Spaltprodukte der SPS – der neoliberalen »Union Rechter Kräfte«, die 2003 den Wiedereinzug in die russische Staatsduma verpasste und vor zweieinhalb Jahren das Zeitliche segnete. Der eine Flügel mit Boris Nemzow paktiert seither mehr oder minder erfolglos mit oppositionellen Gruppierungen der Zivilgesellschaft und dem ehemaligen Regierungschef Michail Kasjanow, der andere Flügel, den der Altliberale Anatoli Tschubais diskret aus dem Hintergrund dirigiert, bemühte sich ähnlich glücklos um einen Neustart, scheiterte bei Regionalwahlen jedoch meist an der Sperrklausel und ist derzeit nur im Parlament der Republik Dagestan mit einem Abgeordneten vertreten.

Protestkundgebungen, die die »Rechte Sache« hin und wieder veranstaltet, sind so schwach besucht wie die von Regimekritikern, die Partei hat kein schlüssiges Programm, keine Sponsoren und daher auch kein Geld, ist ohne charismatische Führer und von internen Zwistigkeiten gebeutelt. Zusätzlich unbeliebt machte sich die Truppe mit Forderungen nach Zulassung der 60-Stunden-Arbeitswoche und Anhebung des Renteneintrittsalters.

Einsam hält »Rechte Sache« dennoch die Stellung im neoliberalen Spektrum der russischen politischen Landschaft und bekennt sich zu ähnlichen Werten wie Präsident Dmitri Medwedjew, vor allem zur Modernisierung. Der Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin kann sich daher sogar vorstellen, dass die von Prochorow neu aufgestellte Partei den derzeitigen Präsidenten im innerrussischen Machtgerangel unterstützt.

Der Akzent, glaubt Alexei Muchin vom Moskauer Zentrum für Politische Information, liege dabei jedoch auf »verbal«. Die »Rechte Sache« sei jedenfalls nicht jene Hausmacht, um die Medwedjew seit seinem Amtsantritt kämpft, und alles andere als der liberale Gegenentwurf zur nationalkonservativen »Gesamtrussischen Volksfront«, die Ministerpräsident Wladimir Putin eben ins Leben gerufen hat. Eher sei sie deren Bündnispartner und von Putins Polittechnologen dazu auserkoren, oppositionelle Intellektuelle sowie die Mittelklasse zu integrieren. Die nämlich hätten mit der jetzigen Regierungspartei »Einiges Russland« nichts am Hut und stünden daher auch der Volksfront, in der die Einheitsrussen eine Schlüsselrolle spielen, ablehnend gegenüber. Auch um zu verhindern, dass Regierungsgegner mit eigenen Gruppierungen in das neoliberale Spektrum vorstoßen, seien Putin und seine Leute an einem Neustart der »Rechten Sache« interessiert.

Auch das russische Großkapital steht dem »Einigen Russland« und dessen »Volksfront« kritisch gegenüber, hielt sich eingedenk des Falles Chodorkowski mit Parteigründungen zur Vertretung der eigenen Interessen bisher aber zurück. Jetzt, wo »die Macht« Michail Prochorow als Bündnispartner umwirbt, könne der, wie Muchin glaubt, durchaus auf einer Gegenleistung bestehen und für sich und seinesgleichen Besitzstandsgarantien fordern.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2011


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