Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

In schwierigem Gewässer

Hintergrund. Der St. Petersburger Marinesalon IMDS-2009 – Rußlands maritimes Potential im Spiegel der internationalen Zusammenarbeit

Von Egbert Lemcke *

Durch Zusammenarbeit zu Frieden und Fortschritt« – so lautete nun seit 1992 bereits zum vierten Mal unverändert das Motto des zwischen dem 24. und 28. Juni veranstalteten Salons IMDS (International Maritime Defence Show) in St. Petersburg. Als Organisator fungierte das Ministerium für Industrie und Handel der Russischen Föderation. Ausgerichtet wurde diese Messe durch das Verteidigungsministerium, das Außenministerium, den Föderalen Dienst für militärtechnische Zusammenarbeit Rußlands, die Regierung von St. Petersburg und durch den staatlichen Militärgüterexporteur Rosoboronexport. Die Thematik des Salons erfaßte den gesamten Komplex der Entstehung und des Einsatzes von Schiffen und maritimer Technik: militärischen und zivilen Schiffbau, Antriebsanlagen, Marinetechnik und -bewaffnung, Seefliegerkräfte, Navigations- und Führungssysteme, Infrastruktur zur maritimen Sicherstellung, sowie innovative Materialien und Technologien.

350 Aussteller, darunter 67 ausländische Firmen aus 28 Ländern, kamen nach Piter. 55 offizielle Delegationen aus 47 Ländern belegen die Präsenz faktisch aller Staaten, die sich mit der Entwicklung und dem Einsatz von Marinetechnik befassen. Vertreten waren alle führenden Betriebe der russischen Schiffbaubranche. Jedoch verzichtete ein Fünftel der Teilnehmer des vorherigen Salons in diesem Jahr aus finanziellen Gründen auf die Teilnahme, 65 Prozent reduzierten ihre Ausstellungsfläche. Aber weder optisch noch statistisch war dieser Einschnitt wahrnehmbar. Die Gesamtausstellungsfläche vergrößerte sich im Vergleich zum Jahre 2007 merklich; die Anzahl der präsentierten in- und ausländischen Schiffe erhöhte sich deutlich. Zudem bot ein Rahmenprogramm an wissenschaftlichen Konferenzen und Tagungen den über 29000 Fachbesuchern neben der Visite des erweiterten Ausstellungsgeländes ein im Vergleich zu den Vorjahren zunehmend attraktives Umfeld.

Die wirkliche Faszination der IMDS liegt aber nicht in dieser seit 2003 zunehmend überzeugenden Statistik. Dieser Salon ist sehr viel mehr als eine nüchterne Fachmesse. Die IMDS ist ein nationales Volksfest. Allein die nach meinem Empfinden im Vergleich zu allen bisherigen Messen stark gestiegenen Besucherzahlen der einheimischen Bevölkerung zeugen von der hohen Anteilnahme am Schicksal der eigenen Schiffbauindustrie und Flotte. Ein Besucherticket kostete 200 Rubel (4,57 Euro) – offenbar ein auch in Krisenzeiten akzeptierter Preis. Nicht zuletzt aufgrund ihrer spezifischen Anziehungskraft wird die IMDS künftig in einem Atemzug genannt werden müssen mit der EURONAVAL bei Paris und der IMDEX ASIA in Singapur.

Potential und Realität

In 168 Betrieben sind gegenwärtig etwa 160000 Beschäftigte direkt im Schiffbau tätig. Wobei sich etwa drei Viertel der Gesamtkapazitäten im Nordwesten des Landes konzentrieren – also im Gebiet um St. Petersburg. Gegenwärtig befinden sich insgesamt 120 Schiffe im Bau. Im vergangenen Jahr wurden nach den Worten von Leonid Strugow, dem Chef der Verwaltung Schiffbau beim Ministerium für Industrie und Handel, 36 Schiffe an die Auftraggeber übergeben. In diesem Jahr sei ein ähnlicher Wert zu erwarten. Nach Einschätzung des Ministeriums soll im Ergebnis der Umsetzung der »Strategie zur Entwicklung der Schiffbauindustrie für den Zeitraum bis 2020« u.a. der weltweite Marktanteil russischer Marinetechnik bei etwa 20 Prozent liegen. Im zivilen Schiffbau liegt die Orientierung bei zwei Prozent des Weltmarktes. Der militärischen Exportorientierung soll jedoch eine vollständige Erfüllung des Bedarfs der eigenen Streitkräfte an Schiffen, schwimmenden Mitteln, maritimer Bewaffnung und anderer maritimer Technik in quantitativer und qualitativer Hinsicht vorausgehen. Ein äußerst ambitioniertes Ziel angesichts des gegenwärtigen Zustands der Branche.

Noch im unmittelbaren Vorfeld der IMDS rügte Präsident Dmitri Medwedew es als »unhaltbaren Zustand, daß eine Reihe von Objekten entweder nicht fertiggebaut werden oder sogar die einzigen sind, die überhaupt gebaut werden«. Er kritisierte außerdem, daß es entschieden zu lange dauere, bis moderne Schiffe in Serie gingen, und forderte insbesondere eine Beratung zu aktuellen Fragen der speziellen Entwicklung der U-Bootkräfte. Als eine der Schlüsselfragen bezeichnete er den Bau eines Kampfkerns der Marineschiffskräfte bis zum Jahre 2020 und betonte, daß dazu alle Möglichkeiten vorhanden seien. Die gewaltige Kluft zwischen Anspruch und Potential einerseits und der rauhen Realität in der eigenen Schiffbauindustrie andererseits ist damit angedeutet.

Zur Illustration: Die im vergangenen Jahr in den Flottenbestand übernommene Korvette »Stereguschtschi« wurde über sieben Jahre gebaut. Die weiteren im Bau befindlichen Schiffe dieser Serie werden selbst nach offiziellen Prognosen nicht vor 2011 in die Flotte gelangen. Die am 24. Juli 2009 an die Flotte übergebene Fregatte »Jaroslaw Mudry« wurde bereits 1988 auf Kiel gelegt. Sie befand sich nach mehreren Unterbrechungen 18 Jahre im Bau. Nun ist diese inzwischen modifizierte Einheit das seit 15 Jahren erste neue Schiff für die Baltische Flotte – ein bitterer Grund zum Feiern. Das atomare Mehrzweck-Atom-U-Boot der vierten Generation »Sewerodwinsk« (Typ »YASEN«) liegt seit 1993 (!) in der Werft. Die Kiellegung einer zweiten Einheit, der »Kasan«, erfolgte ebenfalls am 24. Juli. Vorgesehen ist eine Serie von mindestens sechs Schiffen.

Ein nüchterner Blick zurück. Noch im Jahre 2005 gehörten rund 30 Kreuzer, Zerstörer und Fregatten, etwa 50 Korvetten und annähernd 100 Schnell-, Patrouillen-und Räumboote in den aktiven Flottenbestand des Landes. Angesichts der Altersstruktur der Einheiten bedeutet dies, daß allein für den Erhalt dieses Bestands die alljährliche Indienststellung eines Zerstörers bzw. einer Fregatte, zweier Korvetten und weiterer vier, fünf Boote erforderlich wäre. Von U-Booten, Landungs- und Sicherstellungsschiffen ganz zu schweigen. Aber selbst dieses Tempo wäre schon höchst problematisch. Hinzu kommt, daß es außer dem militärischen ja noch den zivilen Schiffbau gibt. Auch dort stehen die Dinge nicht zum besten. Die Fischereiflotte dümpelt dahin, die Flußschiffe erfordern eine Erneuerung. Nötig sind zudem der Bau von Flüssiggastankern für die Absicherung der Energieexporte von Sachalin und aus der Barentssee, sowie der Bau von Bohrplattformen für die Schelflagerstätten insbesondere in der Arktis.

Angesichts des Dienstalters der noch aktiven Schiffseinheiten besagt die einfache Rechnung heute, daß sich der Flottenbestand bis 2020 im Vergleich zu 2005 nochmals halbieren kann. Der Handlungsbedarf ist gigantisch. Geht es doch gegenwärtig in Rußland um nicht weniger als die Wiedergeburt des einheimischen Schiffbaus. Die vom 6. September 2007 datierte »Strategie zur Entwicklung der Schiffbauindustrie für den Zeitraum bis 2020« ist genau diesem Ziel verpflichtet – nun auch noch unter den Bedingungen einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Gelingt diese Wiedergeburt nicht, verkommt nicht nur schlechthin die Formel von einer »maritimen Großmacht« zur Farce. Im Klartext geht es um die Wiederherstellung der maritimen Stärke Rußlands als Voraussetzung für den Erhalt der Souveränität und territorialen Integrität des Landes.

Wer setzt die Prioritäten?

Am 23. Juli 2009 tagte in Moskau unter der Ägide des Marinekollegiums die dritte gesamtrussische wissenschaftlich-praktische Konferenz »Die Strategie zur Entwicklung der maritimen Tätigkeit bis zum Jahre 2020 und die weitere Perspektive«. Zur Erörterung stand das Gesetzes­projekt zur genannten Thematik. Der letzte Satz in diesem Projektdokument lautet: »Falls der Trend zur Trägheit in der Entwicklung der Seekriegsflotte auch in der nächsten Perspektive beibehalten wird, kann diese die reale Möglichkeit verlieren, ihre Funktion der Wahrnahme und des Schutzes der nationalen Interessen im Weltozean zu erfüllen. Dies kann unannehmbare Folgen für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation bewirken.« Dieses Szenario ist keine Übertreibung, sondern eher eine milde Formulierung. Dazu der stellvertretende Regierungschef Sergej Iwanow: »Mehr als 40 Prozent der Mittel des Verteidigungsministeriums fließen in die Seekriegsflotte – weitaus mehr, als in die Strategischen Raketentruppen, die Kosmostruppen und die Luftstreitkräfte zusammen. Im wesentlichen sind diese Gelder auf die strategischen U-Boote ausgerichtet. Es handelt sich um Hunderte Milliarden Rubel.« Der relative Wert von etwa 40 Prozent wird in den USA ebenfalls für die Navy verausgabt, nur eben in absoluten Werten von 150 Milliarden US-Dollar.

Bis zum Jahre 2010 sollte in Sewerodwinsk eigentlich der Bau von drei strategischen Atom-U-Booten des Projekts 955 bzw. 955A (Typ »BOREY«) abgeschlossen sein. Angesichts des im Juli wiederholt fehlgeschlagenen Tests der dazu vorgesehenen strategischen Interkontinentalrakete »Bulawa-M« ist diese Frist nicht zu halten. Dazu kommen noch ganz andere Probleme: Juri Solomonow, der kürzlich zurückgetretene Chefkonstrukteur des »Moskauer Instituts für Wärmetechnik« (MIT), beklagte bereits vor einem Jahr, daß die »instabile Lage im Institut sich negativ auf die Lieferfristen von Komponenten für die ›Bulawa‹ und ›Topol-M‹ auswirkt«. Es geht um die Lieferung genau der hochfesten Materialien, die die Stabilität von Raketen bei drastischen Manövern im Hyperschallbereich gewährleisten sollen. Wer hatte ein Interesse daran, dieses strategische Unternehmen im Herzen von St. Petersburg 2005 in die Insolvenz zu führen, ein geheimes Forschungslaboratorium zu privatisieren (was verhindert wurde)? Wer läßt es zu, einen Großteil der Spezialisten des Instituts in dieser Phase der Erprobung zu entlassen und Gebäude des Instituts einschließlich der Forschungsmittel an einen »strategischen Investor« für den Bau eines Busineßcenters zu verkaufen? Eine elegant gesteuerte »Selbstauflösung« strategischer Betriebe des Militärindustriekomplexes nach den »Gesetzen des Marktes«? Wer zerstört hier wen? – Nach 2018 jedenfalls sollen die »Bulawa-M« die Grundlage der maritimen strategischen Nuklearkräfte Rußlands bilden. Ressourcenbündelung

Trotz all dieser Dramatik lieferte die IMDS-2009 deutliche Belege für eine weitere strukturelle Konzentration der Potentiale im russischen Schiffbau. Beispielhaft dafür steht die »Vereinigte Industriekorporation« (OPK). Seit ihrer Schaffung im Jahre 2003 verfolgt diese das strategische Ziel, auf Grundlage der bestehenden Kapazitäten der Nordwerft, des Baltischen Werkes und des Konstruktionsbüros Ajsberg eine moderne Kompaktwerft zu bilden, die in der Lage ist, das gesamte Spektrum des Überwasserschiffbaus aller Klassen bis zu einer Tragfähigkeit von 300000 Tonnen, einschließlich von Flugzeugträgern, zu bauen. Nach Aussagen des Vorsitzenden des Direktorenrats von OPK, Alexander Gnusarjew, verfügten die Werften bereits heute über ausreichende Kapazitäten, um die Programme zum staatlichen Verteidigungsauftrag mindestens zu verdreifachen. Wie zur Bestätigung dessen stellte allein die Nordwerft zum Beginn dieses Jahres 300 Mitarbeiter ein und plant die Einstellung von weiteren 400 Beschäftigten. Gegenwärtig erfolgt dort u.a. der Serienbau der Korvette vom Projekt 20380 (der eigene Bedarf liegt bei einigen Dutzend Einheiten) sowie der Bau des Nullschiffs der Fregatte vom Projekt 22350 (geplante Übergabe 2011). Vorgesehen ist eine Serie von 20 Fregatten im Zeitraum der kommenden 15 bis 20 Jahre für die eigene Flotte. Nicht später als 2012 soll, wie kürzlich zu erfahren war, die Kiellegung eines neuen Typs in der Zerstörerklasse erfolgen.

Im diesem Jahr beginnt die Umsetzung des Föderalen Zielprogramms zur Entwicklung von ziviler Meerestechnik. Zudem wird eine Reihe weiterer Instrumente staatlicher Unterstützung des Schiffbaus zum Einsatz gebracht. Mit der bis zum April 2009 geschaffenen Offenen Aktionärsgesellschaft Vereinigte Schiffbaukorporation (OAG OSK) sollen entsprechend der oben vorgestellten Strategie die führenden Projektierungs- und Konstruktionsbüros mit den drei bereits formierten Schiffbauzentren im Westen, im Norden und im Fernen Osten strukturell verbunden werden. Die Ziele dieser Korporation wurden durch einen Präsidentenerlaß definiert und umfassen den Bau von Schiffen und U-Booten für die Seekriegsflotte, die Entwicklung des zivilen Schiffbaus, die Produktion von Ausrüstungen und Schiffen zur Erschließung des Kontinentalschelfs. Es soll ein moderner Komplex entstehen, der sowohl den zivilen Schiffbau sicherstellt als auch dem Bedarf der eigenen Seekriegsflotte genügt. Nach den Worten des OSK-Präsidenten Wladimir Pachomow steht dabei das Projekt eines solchen Komplexes unter dem Titel »Primorsker Werft« im Leningrader Gebiet im Mittelpunkt. Pachomow sprach ebenfalls von Plänen zum Bau einer Hochtechnologiewerft für großtonnagigen Schiffbau in Kronstadt am Südwestufer der Insel Kotlin. Auch der Generaldirektor der OAG »Admiralitätswerften«, Wladimir Alexandrow, äußerte kürzlich im Interview, daß eine staatliche Entscheidung zu einem Werftstandort für das weitere Schicksal seines Unternehmens nötig und wünschenswert sei. – An Plänen und guten Absichten mangelte es in Rußland nie. Was zählt, sind sichtbare und baldige Resultate.

Positiv gelesen, kann betont werden, daß sich gegenwärtig für die russische Seekriegsflotte in 16 Schiffbaubetrieben insgesamt 38 Schiffe, U-Boote und verschiedene kleine Überwassereinheiten im Bau befinden (siehe Tabelle 1). Ein Lichtblick für den zivilen Schiffbau: das russische Energieförderunternehmen Gasprom plant bis zum Jahresende die Vertragsunterzeichnung mit der Nordwerft über den Bau von 60 Spezial­schiffen. Es handelt sich um ein Auftragspaket über umgerechnet 20 Milliarden Euro, das zu 90 Prozent an russische Betriebe vergeben werden soll.

Bleibt noch ein letzter brisanter Aspekt. Im Rahmen der diesjährigen Feierlichkeiten anläßlich des Tages der Seekriegsflotte am 27.Juli kündigte der Oberkommandierende der Flotte, Admiral W. Wysotzki, an, daß ab 2010 alljährlich jeweils ein Überwasserschiff und ein U-Boot für die Schwarzmeerflotte auf Kiel gelegt werden sollen. Angesichts der gegenwärtig noch extrem langen Bauzeiten aus Sicht russischer Experten eine sehr optimistische bis völlig unrealistische Wunschvorstellung. Einige Tage zuvor, bei der Eröffnung der IMDS, löste Wysotzki ebenso kontroverse Reaktionen aus, als er den Ankauf von Kampfschiffen aus dem Ausland ausdrücklich nicht ausschloß. Jüngste Meldungen aus Frankreich über einen möglichen Ankauf eines Universallandungsschiffs der »Mistral«-Klasse durch Rußland scheinen diese Ankündigung zu bestätigen. Als bedeutsames Resultat der IMDS steht auch ein zwischen Rosoboronexport und der französischen Firma Thales unterzeichnetes Memorandum über die Entwicklung der Zusammenarbeit. Wie sich zeigt, geht es darum, das gemeinsame Exportpotential auf dem Gebiet der Marinetechnik zu bündeln, um so beispielsweise mit der Korvette vom Projekt 20382 »TIGR« mit elektronischer Ausstattung von Thales auf Drittmärkten aufzutreten.

Russische Exportperspektiven

Die alles dominierende Ausstellerorganisation im Eingangspavillon der IMDS war OSK. Diese Korporation vereinigt nun nicht nur über die Hälfte der Produktionskapazitäten des einheimischen Schiffbaus. Sie realisiert damit auch die Exportpolitik auf dem Gebiet der »militärtechnischen Zusammenarbeit« aus einer Hand. Erfaßt wird der gesamte Lebenszyklus der Marinetechnik. Allein schon die steigenden Kosten der Projektierung und Produktion neuer Marinetechnik drängen hin zu internationalen Projekten, um eine Vereinigung der Potentiale mehrerer Staaten bei der Erfüllung von Aufträgen für Drittstaaten zu erzielen. OSK-Präsident Pachomow bezeichnet in diesem Kontext das gemeinsame Projekt des Konstruktionsbüros RUBIN mit der italienischen Firma Fincantieri zum Bau von nichtatomaren U-Booten als durchaus erfolgreich.

Russische Marktanalysen gehen davon aus, daß in den kommenden zehn bis 15 Jahren weltweit bis zu 30 nichtatomare U-Boote zu verkaufen sind, wobei Rußland sich hier auf einen Marktanteil von bis zu 15 Prozent orientiert. Unbestrittener Marktführer in diesem Segment ist die deutsche Rüstungsindustrie mit einem Drittel. Für den Zeitraum zwischen 2004 und 2013 sieht die Statistik anders aus: Weltweit wurden bzw. sollen mindestens 49 neue nichtatomare U-Booten verkauft werden. Davon entfallen allein 21 (zirka 43 Prozent, knapp sieben Milliarden US-Dollar) auf Deutschland. Es folgt Rußland mit 17 Einheiten für 4,7 Milliarden Dollar (knapp 35 Prozent). Beide Staaten stehen sich in diesem Bereich weltweit als direkte Rivalen gegenüber.

Im Marktsegment der Überwasserkampfschiffe wird für den Zeitraum zwischen 2004 und 2013 der Verkauf von mindestens 204 Einheiten mit einem Gesamtauftragsvolumen von über 40 Milliarden Dollar prognostiziert. Eine Besonderheit ist hier der relativ große Anteil eines Sekundärmarktes. Bei diesem Verkauf von bereits eingesetzten Schiffen aus dem Bestand der eigenen Flotten nehmen die USA die stärkste Position ein. Rußlands Anteil beschränkt sich hier auf den indischen Modernisierungsauftrag für den ehemaligen schweren Flugdeckkreuzer »Admiral Gorschkow«. Bei den Verkäufen von Neubauten (130 Einheiten für 38,5 Milliarden Dollar) ist wiederum Deutschland mit 20 Prozent Marktanteil (26 Einheiten für fast 5,6 Milliarden Dollar) führend. Rußland hat in diesem Segment hinter Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden die fünfte Position inne – über den genannten Zeitraum betrachtet.

Eurasischer Binnenmarkt

Das Motto »Durch Zusammenarbeit zu Frieden und Fortschritt« ist – dialektisch betrachtet – durchaus keine zynische Verhüllung eines amoralischen Rüstungsexports um jeden Preis. Langfristig gesehen geht es um internationale strategische Vernetzungen auf dem Gebiet maritimer Technologien. Der wirkliche Anspruch liegt darin, das Potential eines »eurasischen maritimen Binnenmarktes« zu erkennen. – Und dieser ist seiner Natur nach ein ziviler, auch wenn der aktuelle Macht- und Verwertungsrahmen sowohl in Westeuropa als auch in Rußland selbst einer anderen Logik folgt. Selbst im Rahmen der allgemein vorherrschenden kapitalistischen Verwertungslogik bieten die objektiven geopolitischen Interessenlagen besondere Ansätze für eine solche Zusammenarbeit. Trotz aller Unterschiede zwischen Westeuropa und Rußland verfügt doch die jeweils andere Seite zumeist über gerade jene Fähigkeiten und Ressourcen, die zu einer gleichwertigen sozusagen »natürlichen« kontinentalen Partnerschaft drängen. Transatlantische Herrschaftsambitionen stehen einer solchen zivilisatorischen Strategie für Eurasien seit gut einem Jahrhundert diametral entgegen. Die aktuellen Variationen in der politisch-diplomatischen US-Rhetorik ändern an diesem Prinzip wenig. Auch bleiben die harten Verdrängungskämpfe auf den internationalen Rüstungsmärkten eher ein geopolitischer als ein wirtschaftlicher Ausdruck dieser Rivalität.

* Egbert Lemcke, Korvettenkapitän a.D. der NVA, ist Mitglied der Dresdener Studiengemeinschaft für Sicherheitspolitik

Aus: junge Welt, 4. September 2009



Zurück zur Russland-Seite

Zur Seite Rüstungsproduktion, Rüstungsexport

Zurück zur Homepage