Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Russlands Samen wollen eigenes Parlament

Skandinavische Länder sind Vorbild / Langer Weg zur sozialen und kulturellen Gleichstellung

Von Andreas Knudsen *

Die Samen in Norwegen, Schweden und Finnland haben es vorgemacht: Sie haben sich ein eigenes Parlament zur Interessenvertretung erkämpft. Nun wollen die Samen in Russland nachziehen.

Ein erster Schritt ist gemacht: Auf der ersten Konferenz der russischen Samen beschloss die Mehrheit der 74 Delegierten, für ein samisches Parlament zu kämpfen, wie es die Samen in Norwegen, Schweden und Finnland schon längst haben. Das Ziel soll es sein, ein gemeinsames Sprachrohr zu bekommen, das die Interessen der Samen gegenüber den regionalen Behörden in Murmansk zum Ausdruck bringt.

Eine neunköpfige Gruppe Freiwilliger soll in den nächsten zwei Jahren an dieser Frage arbeiten, wobei juristische Details die Hauptrolle spielen werden. Als Berater hat sich ein Rechtsanwalt zur Verfügung gestellt, der Kenntnis der föderalen und zentralen Gesetze hat und wie die politische Gruppe gratis arbeiten wird.

Die Aufgabe ist nicht einfach. Denn die russische Verfassung lässt keine ethnischen Parlamente zu – das Kaukasus-Syndrom taucht beim leisesten Anflug einer solcher Versammlung auf. Zudem sind die Samen eine verschwindend kleine Minderheit: Nur etwa 2000 der rund eine Million Einwohner der Kola-Halbinsel sind als Samen registriert. Vermutlich ist ihre Zahl höher, doch viele ziehen es aufgrund der Russifizierung in den letzten Jahrzehnte vor, sich als Russen zu bezeichnen. Der Sprecher der Gruppe, Jewgeni Jushkow, ist trotzdem optimistisch: »Wir glauben, dass der Prozess, den wir in Gang gesetzt haben, zur Einigkeit unter den Samen führen wird und unser Parlament als Beratungsorgan der Kommunen und des Gebiets Murmansk anerkannt werden wird.«

Es gibt mehrere Organisationen der Samen, die von den russischen Behörden jedoch nur als private Vereinigungen betrachtet werden und meistenteils lokal arbeiten. Auch Ole Magga, der Präsident des norwegischen Samethings und der erste Vorsitzende des UN-Forums der Indigenen Völker war, begrüßte die Initiative der russischen Samen. »Ich kann die Argumentation und das Blockieren des Staatsapparats wiedererkennen. So reagierten auch die norwegischen Behörden, als wir vor fast 30 Jahren begannen, für unser Parlament zu kämpfen. Ein russisches Samenparlament ist eine politische Frage und muss mit politischen Mitteln erkämpft werden. Trotzdem wird es schwieriger werden in Russland, denn in Skandinavien riskiert man nicht sein Leben, wenn man für seine Rechte kämpft. Außerdem ist die Anzahl der russischen Urvölker wesentlich größer als bei uns.«

Die soziale Situation für die meisten russischen Samen ist kritisch. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und insbesondere in den kleinen Siedlungen ist Fehlernährung häufig. Auf vielen früheren Rentierweiden wurden Bergwerke und Militärbasen angelegt, die ihrerseits für Umweltverschmutzung verantwortlich sind. Es gibt weiterhin zwei Rentierwirtschaften, in denen Samen Angestellte, aber nicht Besitzer sind. Die leitenden Positionen werden in der Regel von Russen eingenommen.

Sprachunterricht in Samisch ist ein Wahlfach und wird nur in Lowosero, der inoffiziellen Hauptstadt der russischen Samen, angeboten. Lowosero ist eine Kleinstadt mitten in der Tundra im besten sowjetischen Betonstil mit etwa 3000 Einwohnern, von denen etwa jeder Dritte Same ist. Die Stadt hat jedoch ökonomische Probleme und will den Unterricht abschaffen, um zu sparen. Ein Lichtblick ist das Samische Kulturzentrum in Lowosero, das durch die norwegische Regierung finanziert wurde und unter anderem ein samisches Lokalradio umfasst. Seit mehreren Jahren unterstützen sowohl die norwegischen Samen als auch die dänische Nichtregierungsorganisation Infonor die Bestrebungen der Samen, die Rentierzucht wieder in samische Hände zu legen. Bisher wurden mehrere Herden mit unterschiedlichem Erfolg etabliert.

Die russische Verfassung gewährt kulturell-sprachliche Autonomie, die das Sprungbrett für ein Samenparlament werden kann. Neben kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten gewähren die Rechte ökonomische Zuschüsse verschiedener Art sowie Anhörungspflicht der Behörden. Diese Möglichkeiten zu kennen und auszunutzen wird der erste und wesentliche Schritt sein auf dem langen Weg, die samische Identität wieder aufzubauen.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2009


Zurück zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage