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Snowden – Glücksfall für Putin?

Russlands Präsident im zeitweiligen Bündnis mit Menschenrechtlern

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russische Offizielle haben schnelle Prüfung zugesagt, Duma-Abgeordnete aller Fraktionen haben sich für einen günstigen Bescheid ausgesprochen. Derweil lässt Edward Snowdens Gesuch um Asyl in Russland die Spekulationen weiter sprießen.

Drei Tage sind seit dem Treffen im Transitraum des Flughafens Scheremetjewo vergangen, bei dem Edward Snowden Anwälte und Menschenrechtler um Beistand bei der Beantragung zeitweiligen Asyls in Russland gebeten hat. Zumindest bis Sonnabend war ein förmliches Asylgesuch jedoch beim Chef der russischen Migrationsbehörde, Konstantin Romadonowski, noch nicht eingegangen. Die Entscheidung über die Gewährung politischen Asyls, auch zeitweiliges, gehört in Russland zu den Kompetenzen des Präsidenten, der abwägen muss, ob ein Ja Russland eher schadet oder nützt. Genau darüber wird derzeit gestritten.

Nach Angaben des »Guardian«-Journalisten Glenn Greenwald, der Snowden vor Monatsfrist interviewt hatte, verfügt der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter über eine gewaltige Menge an Dokumenten, die auf verschiedene Orte verteilt seien. Doch der Politikwissenschaftler Wjatscheslaw Nikonow, der mit Mandat der Partei »Einiges Russland« in der Duma sitzt, hält Snowden für so wenig gefährlich wie sowjetische und russische Dissidenten, die aus dem Exil gegen Moskau hetzten und hetzen. Russische Geheimdienste sehen das offenbar ähnlich. Der nachrichtendienstliche Wert Snowdens tendiere gegen null, sagen Profis.

Der eigentliche Gewinner in der Affäre Snowden ist daher womöglich Wladimir Putin. Der Präsident, darin sind sich Anhänger und Kritiker einig, lasse sich auch bei Entscheidungen zu internationalen Problemen stets von möglichen innenpolitischen Konsequenzen leiten. Und der Fall Snowden könnte vor allem russischen nichtstaatlichen Organisationen (NGO) auf die Füße fallen. Mit ihren Forderungen nach Schutz für den Mann, der in den USA als Landesverräter gilt, beißen sie nämlich »in die Hand, die sie füttert«. So jedenfalls beschrieb Putin einst die Abhängigkeit dieser Organisationen vom Ausland. Obwohl im Oktober 2012 aus Russland ausgewiesen, gehört die Washingtoner Regierungsagentur USAID noch immer zu den wichtigsten Sponsoren russischer NGO. Sie lieferte dem Kreml die Steilvorlage für das Gesetz, wonach sich politisch orientierte NGO, die Geld aus dem Ausland erhalten, als »ausländische Agenten« registrieren lassen müssen. Die Formulierung impliziert den Verdacht des Vaterlandsverrats. Jetzt aber schob Putin eben solchen Organisationen einen wichtigen Part im Fall Snowden zu. Denn das Treffen mit den Menschenrechtlern in Scheremetjewo wäre ohne höchste Auflassung nicht möglich gewesen. Damit aber verschaffte ausgerechnet Putin seinen Kritikern, was ihnen bisher fehlte: Medienpräsenz und Anerkennung in der Gesellschaft. Ausbauen können sie diesen Erfolg nur, wenn sie sich mit derber Kritik am »Regime« zurückhalten.

Für Putin hat das Bündnis auf Zeit auch den Charme, dass er, sollte der Druck der USA zunehmen, die Verantwortung auf die Zivilgesellschaft abwälzen kann: Als Demokrat habe er sich deren Forderungen nach Schutz für Snowden gebeugt. Der politische Schaden dürfte sich in Grenzen halten. Kooperation mit Moskau bei Rüstungskontrolle und Terrorismusbekämpfung ist für Barack Obama wichtiger als Snowden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Juli 2013


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